Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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sie nicht zurück, so mußte sie voran. Eine dritte 
Serie von Gesetzen folgte: eine Gesetzgebung 
der Exekution durch materiellen Druck. Kurz vor- 
her hatte Fürst Bismarck die Ministerpräsident- 
schaft in Preußen wieder übernommen. Während 
er nachmals seine Beteiligung an den bisherigen 
Maigesetzen abzuschwächen suchte, hat er für die 
folgenden Gesetze, welche er als „eigentliche Kampf- 
gesetze“ bezeichnete, die „volle Verantwortlichkeit“ 
übernommen. Sie wurden von der Majorität 
des Landtages mit derselben Bereitwilligkeit ge- 
nehmigt wie die früheren. Sogar die protestan- 
tisch-orthodoxen Konservativen des Herrenhauses 
stimmten diesmal freudig zu. 
Das erste der neuen Gesetze, das „Gesetz 
betr. die Einstellung der Leistungen aus Staats- 
mitteln für die römisch-katholischen Bistümer und 
Geistlichen“" vom 22. April 1875 — meist 
„Sperrgesetz“ oder „Brotkorbgesetz“ genannt, 
weil von liberaler Seite mit dem Ausdruck be- 
grüßt, „man müsse der katholischen Geistlichkeit 
nur den Brotkorb höher hängen, dann werde sie 
sich schon beugen“ — verfügte die Einstellung 
„sämtlicher für die Bistümer, die zu denselben 
gehörigen Institute und die Geistlichen bestimmten 
Leistungen aus Staatsmitteln“, obwohl diese Lei- 
stungen auf einem privatrechtlichen Titel beruhten: 
sie waren der Entgelt für die zu Anfang des 
Jahrhunderts säkularisierten Kirchengüter. Die 
eingestellten Leistungen sollten für den Umfang 
des Sprengels wieder aufgenommen werden, „so- 
bald der jetzt im Amt befindliche Bischof oder 
Bistumsverweser der Staatsregierung gegenüber 
durch schriftliche Erklärung sich verpflichtet, die 
Gesetze des Staates zu befolgen“. Außerdem er- 
mächtigte das Gesetz die Staatsregierung, die 
eingestellten Leistungen einzelnen Empfangsberech- 
tigten gegenüber wieder aufzunehmen, „wenn sie 
durch Handlungen die Absicht an den Tag legen, 
die Gesetze des Staates zu befolgen“. Uber die 
Verwendung der so gesperrten Beträge sollte „ge- 
setzliche Bestimmung“ vorbehalten sein. 
Das „Gesetz betr. die geistlichen Orden 
und ordensähnlichen Kongregationen der katho- 
lischen Kirche“ vom 31. Mai 1875 schloß „alle 
Orden und ordensähnlichen Kongregationen der 
katholischen Kirche“ von dem Gebiet der preußi- 
schen Monarchie aus, verfügte die Auflösung der 
bestehenden Niederlassungen binnen sechs Monaten 
und die Übernahme ihres Vermögens in staatliche 
„Verwahrung und Verwaltung“. Ausgenommen 
wurden nur, und zwar auf die nachdrückliche Ver- 
wendung des Kriegsministers hin, welcher erklärte, 
im Kriege diese Orden nicht entbehren zu können, 
diejenigen, welche „sich ausschließlich der Kranken- 
pflege widmen“; doch wurden auch diese einer 
unbegrenzten „Aussicht des Staates“ unterworfen 
und sollten jederzeit durch königliche Verordnung 
aufgehoben werden können. 
Das Gesetz vom 18. Juni 1875 hob die be- 
reits abgeänderten Art. 15, 16 und 18 der preu- 
Kulturkampf ufsw. 
  
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ßischen Verfassungsurkunde gänzlich auf, 
um, wie die Motive sagten, der Gesetzgebung 
„freie Bahn“ zu schaffen. 
Das „Gesetz über die Vermögensverwaltung in 
den katholischen Kirchengemeinden“ vom 20. Juni 
1875 säkularisierte das katholische Kirchenver- 
mögen, indem es davon ausgeht, dafß dieses nicht 
der Kirche als Anstalt, sondern der Pfarrgemeinde 
gehört, demokratisiert sodann die Verwaltung, in- 
dem es unter Beseitigung des Pfarrers vom Vor- 
sitz diese von der Gemeinde frei zu wählenden 
Organen überträgt, und teilt endlich die Verwal- 
tung zwischen zwei Körperschaften, von denen die 
eine die andere kontrolliert und beschränkt. Beie 
allen Streitigkeiten zwischen diesen beiden, dem 
Kirchenvorstand und der Gemeindevertretung, so- 
wie bei Differenzen mit der bischöflichen Behörde 
ist die Entscheidung der staatlichen Instanz vor- 
behalten. Der letzteren wurden außerdem zahl- 
reiche Aufsichts= und Zwangsrechte eingeräumt, 
während die bischöflichen Aufsichtsrechte in vielen 
Punkten beschränkt wurden. Zu diesem Gesetzerging 
eine Ausführungsverordnung vom 27. Sept. 1875. 
Das „Gesetz betr. die Rechte der altkatho- 
lischen Kirchengemeinschaften am kirchlichen 
Vermögen“ vom 4. Juli 1875 überträgt in 
denjenigen katholischen Kirchengemeinden, aus 
welchen eine „erhebliche Anzahl“ von Gemeinde- 
mitgliedern einer altkatholischen Gemeinschaft bei- 
getreten sind, diesen ein Benutzungs= und Mit- 
eigentumsrecht an dem katholischen Kirchenver- 
mögen, vor allem den Mitgebrauch der Kirche, 
und schützt einen Pfründeninhaber, welcher der 
altkatholischen Gemeinschaft beitritt, im Besitz und 
Genuß der Pfründe. 
Auch die Reichsgesetzgebung wurde nochmals 
in Anspruch genommen. Das „Reichsgesetz über 
die Beurkundung des Personenstandes und die 
Eheschließung“ vom 6. Febr. 1875 dehnt das 
preußische Zivilehegesetz auf ganz Deutsch- 
land aus; es macht die Eheschließung vor dem 
bürgerlichen Standesbeamten obligatorisch, unter- 
sagt die kirchliche Eheschließung vor Abschluß der 
bürgerlichen bei Strafe für den fungierenden 
Pfarrer und führt die ausschließliche Zuständig- 
keit der bürgerlichen Gerichte in streitigen Ehe- 
und Verlöbnissachen ein. 
Doch auch diese Zwangsgesetzgebung verfehlte 
ihren Zweck, wie schwer sie auch auf dem katho- 
lischen Volke lastete. Nur eine verschwindende 
Zahl von Geistlichen nahm trotz des Sperrgesetzes 
das Staatsgehalt an. Im ganzen wurden auf 
Grund dieses Gesetzes bis zur Aufhebung der 
Sperre 16 003033 K einbehalten. Der Unter- 
halt der Geistlichen wurde beschafft durch Almosen, 
welche teils durch Opfergänge in den Kirchen, 
welche die Regierung nicht hinderte, teils durch 
Vereine gesammelt wurden. — Das Ordensgesetz 
wurde mit der größten Schärfe durchgeführt: 
296 Niederlassungen mit 1181 männlichen und 
2776 weiblichen Ordenspersonen wurden ganz 
 
	        
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