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Gebiete angehört, für die Stelle nicht geeignet
ist“, hebt den staatlichen Zwang zur dauernden
Besetzung der Pfarrämter auf, beseitigt die „Er-
ledigung der Stelle“ als Folge staatlicher Ver-
urteilung eines Geistlichen zu Zuchthausstrafe,
gibt das „Abhalten von Messen und die Spen-
dung der Sakramente" frei für alle Weltgeistlichen
und die Mitglieder der zugelassenen Orden, hebt
die Verpflichtung der geistlichen Obern zur Mit-
teilung kirchlicher Disziplinarentscheidungen an
den Oberpräsidenten auf, beseitigt das Gesetz vom
13. Mai 1873 über die Grenzen des Rechts zum
Gebrauch kirchlicher Straf= und Zuchtmittel bis
auf dessen § 1 und läßt endlich diejenigen Orden
und ordensähnlichen Kongregationen wieder zu,
welche „sich a) der Aushilfe in der Seelsorge,
b) der Ubung der christlichen Nächstenliebe, c) dem
Unterricht und der Erziehung der weiblichen
Jugend in höheren Mädchenschulen und gleich-
artigen Erziehungsanstalten widmen, d) deren
Mitglieder ein beschauliches Leben führen“. Diesen
sowie den bisher schon zugelassenen Orden soll
durch den Minister auch die Ausbildung von
Missionären für den Dienst im Auslande gestattet
werden können. Das vom Staat in Verwahrung
und Verwaltung genommene Vermögen der auf-
gelösten Niederlassungen soll zurückgegeben werden.
Die schon vielfach durchlöcherten 85 4/19 des Ge-
setzes vom 20. Mai 1874 über die Verwgltung
erledigter katholischer Bistümer werden vollständig
aufgehoben.
3. Noch einmal nahm der Papst Gelegenheit,
über das Gesetz sich zu äußern, und zwar in der
Allokution vom 23. Mai 1887. Nachdem er
die Katholiken im preußischen Landtage gelobt
hatte, „welche in der besten Sache als höchst stand-
hafte Männer sich erwiesen haben, aus deren Aus-
dauer und Eintracht die Kirche nicht geringe Vor-
teile gezogen hat und weitere für die Zukunft er-
wartet“, fuhr er fort: „Sicherlich ist jenem höchst
erbitterten Kampfe, welcher der Kirche Wunden
schlug und dem Staate nicht zum Vorteile ge-
reichte, ein Ziel gesetzt. ... Wenn auch noch manche
Punkte übrig bleiben, bezüglich deren die Katho-
liken nicht ohne Grund Wünsche hegen, so muß
man sich doch erinnern, daß viel mehr und
Größeres erreicht worden ist. . . . Was das übrige
anlangt, so werden Wir nicht zögern mit der Fort-
setzung unserer Ratschläge, und da Wir den Willen
des erhabenen Monarchen und nicht minder die
Gesinnung seiner Minister erkannt haben, so
haben Wir gewiß Grund, zu wünschen, daß die
Katholiken jener Nation sich aufrichten und
stärken; denn Wir zweifeln nicht, daß Wir noch
bessere Resultate erreichen werden.“
Einzelne weitere derartige Besserungen sind
denn auch erreicht. Im Aug. 1887 gestand die
Regierung dem Papste gegenüber in bindender
Form zu, daß, wie schon Bischof Kopp im
Herrenhause ohne Erfolg beantragt hatte, das
Einspruchsrecht nicht geltend gemacht werden
Kulturkampf usw.
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würde aus einem Grunde, welcher aus der Aus-
übung eines bürgerlichen oder staatsbürgerlichen
Rechts oder der Erfüllung einer kirchlichen Pflicht
hergenommen wäre. Die Frage der rheinischen
Sukkursalpfarrer, von denen es zweifelhaft war,
ob sie als „dauernd angestellt“ unter die Anzeige-
pflicht fielen, wurde bejahend entschieden: Anfang
1889 wurden die neu angestellten, welche bis da-
hin als Hilfsgeistliche fungiert hatten, angezeigt
und definitiv angestellt, nachdem Einsprüche nicht
erfolgt waren. Auch sonst wurden im Westen
keine Einsprüche erhoben. Aus dem Osten ver-
lautete von einigen Einsprüchen in der Erzdiözese
Posen aus Gründen, welche mit der Bekämpfung
des „Polonismus“ zusammenhängen. Das Po-
sener Seminar (theologische Lehranstalt) konnte
am 1.Okt. 1899 wieder eröffnet werden, nachdem
der König seine Genehmigung erteilt und der
Kullusminister am 24. Sept. im Reichsanzeiger
bekannt gemacht hatte, daß es zur wissenschaftlichen
Vorbildung der Geistlichen geeignet sei. Über die
Personen der Professoren hatte eine Verständigung
zwischen der Regierung und dem Erzbischof statt-
gefunden. Die Besetzung der Bischofsstühle konnte
bald wieder in alter Form geschehen. Bischof
Kopp von Fulda wurde im Aug. 1887 an Stelle
des am 25. Dez. 1886 gestorbenen Herzog zum
Fürstbischof von Breslau noch ohne Mitwirkung
des Domkapitels durch päpstliches Breve ernannt.
Auf den dadurch erledigten Stuhl von Fulda
konnte aber schon im Nov. 1887 Prälat Wey-
land von Wiesbaden wieder durch Wahl des
Domkapitels in der regelmäßigen Weise erhoben
werden. Die abgeschaffte katholische Feldpropstei
wurde wieder errichtet: am 1. Juni 1888 wurde
Propst Aßmann von St Hedwig in Berlin durch
päpstliches Breve zum Bischof ernannt, am 15.Okt.
geweiht und am 24. Okt. mit der Allerhöchsten
Bestallung als „katholischer Feldpropst"“ versehen.
Die den Altkatholiken überlieferten katholischen
Kirchen wurden nach und nach den Katholiken
zurückgegeben. Auch zur Beseitigung der „Staats-
pfarrer“ bot die Regierung die Hand: im März
1889 bestanden deren nur noch zwei in der
Gidichese Posen-Gnesen, im Jan. 1890 keiner
mehr.
Am 22. Mai 1888 erging, einer Anregung
des Zentrumsabgeordneten Prinzen Arenberg
gemäß, ein Gesetz, welches, um eine juristische
Schwierigkeit zu beseitigen, den wieder zugelas-
senen Ordensniederlassungen diejenigen Kor-
porationsrechte zurückgab, welche sie vor dem
Kulturkampf gehabt hatten. Dagegen wurde am
3. März 1888 und abermals am 18. Jan. 1890
im Reichstag ein Antrag des Zentrums, die Be-
stimmungen der Generalakte der Berliner Kon-
ferenz vom 26. Febr. 1886 (Kongoakte), betr.
Gewährleistung der Gewissensfreiheit und reli-
giösen Duldung, auf alle deutschen Schutzgebiete
und damit auch auf die deutschen Schutzgebiete in
Westafrika auszudehnen, so daß in denselben ebenso
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