Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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der in wichtigen ästhetischen und kulturellen Fragen 
auf Regierungen und Gesetzgebung in seinem Sinne 
einzuwirken sucht. 
Die Museen als Staatsanstalten sind auch 
erst Errungenschaften des 19. Jahrhunderts. Sie 
sind alle ohne Ausnahme aus den Kunstkabinetten 
und persönlichen Kunstliebhabereien der Fürsten 
hervorgegangen. Ihr Übergang in den Besitz 
des Staates hat dann ihren systematischen Aus- 
bau gebracht. Den großen Gemäldegalerien 
schlossen sich im Laufe der zweiten Hälfte des 
19. Jahrh. die „Nationalmuseen“, Kunstgewerbe- 
museen, Gipsmuseen usw. an. In neuester Zeit ent- 
stehen mit der Zunahme des Interesses für Lokal- 
kunst und Volkskultur in fast allen kleineren Städten 
Lokalmuseen, deren sich der Staat durch reichliche 
Unterstützung annimmt. Durch das allgemeine 
Interesse für Kunst unter den Gebildeten, sodann 
durch das Fortschreiten der wissenschaftlichen For- 
schung hat die Entwicklung der Museen in den 
letzten Jahrzehnten glänzende Fortschritte zu ver- 
zeichnen. In Deutschland hat besonders General= 
direktor Bode durch seine umfassenden Museums- 
pläne Schule gemacht. Eine starke Konkurrenz 
für die europäischen Sammlungen sind die reichen 
amerikanischen Privatsammler geworden. 
Ergänzend, jedoch nicht selten ihre Bestrebungen 
kreuzend ist in jüngster Zeit die Denkmal- 
pflege den Museen an die Seite getreten. Sie 
steht zur Zeit im Vordergrund des stabtlichen 
Interesses. Die sinnlosen Verwüstungen der 
französischen Revolution und der seichten Auf- 
klärung in Deutschland, die romantischen Restau- 
rationen und der Stilpurismus der folgenden 
Zeit, die Aufstapelungen von Kunstwerken in den 
Museen und Privatsammlungen, wo sie entfernt 
von Entstehungsort und künstlerischer Umgebung 
sich gegenseitig erdrücken, hat die Erhaltung von 
Kunstwerken dem Denkmälerschatz des Landes, der 
Stadt, der Gemeinde in unverändertem Zustand 
immer wichtiger erscheinen lassen. Immer dring- 
licher wird die Frage: Wie kann die Menschheit 
die geistigen Werte, die sie hervorbringt, sich er- 
halten? (Dehio.) Immer klarer wird man sich 
über die ideellen Zwecke der Kunstpflege in ihrer 
Wirkung auf Herz, Geist, Gemüt, Heimatsliebe, 
Patriotismus und Tradition. Nebenbei machen 
sich aber immer mehr materielle Nebenzwecke be- 
merkbar, da mit der Zunahme des Fremden- 
verkehrs kunsthistorisch bedeutende und gut erhal- 
tene Stätten lieber aufgesucht werden. Eine er- 
schöpfende Definition des Wortes „Denkmal“ ist 
bis heute noch nicht vorhanden und wird sich 
auch niemals geben lassen, da die Wertschätzung 
eines Gegenstandes als „Denkmal“ stets nach 
Volk, Land, Zeit, Bildungsstufe, wissenschaft- 
licher Erkenntnis, selbst Modeneigungen wechseln 
wird. Es muß nur in irgend einer Beziehung zur 
Kunst, Geschichte oder Natur stehen. So kann nur 
der Fachmann, niemals der Laie unter Berück- 
sichtigung aller Umstände bestimmen, was als 
  
Kunstpflege. 
  
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Denkmal zu betrachten ist. Der Denkmalschutz 
erstreckt sich in erster Linie auf Werke der Archi- 
tektur, Plastik, Malerei, Kleinkunst, eventuell auch 
auf Handschriften, Urkunden sowie ältere Druck- 
werke. Die vorhandenen Werke sollen unvermin- 
dert, unverändert und ohne jegliche Zutaten der 
Nachwelt erhalten werden. Aufgabe der Denkmal- 
pflege ist „konservieren“, nicht „restaurieren“. 
Abgesehen von Ausnahmefällen und besondern 
Verhältnissen sollen nichtausgebaute Kirchen nach- 
träglich nicht mehr „nach alten Plänen“ aus- 
gebaut werden, Gemälde nicht übermalt, Statuen 
nicht neu gefaßt werden, Zutaten späterer Jahr- 
hunderte, die ja ebenso wertvolle Zeugnisse des 
künstlerischen Strebens und des religiösen Emp- 
findens unserer Vorfahren sind, nicht entfernt 
werden. Mit den Fortschritten der Wissenschaft 
sind wir ja zur Erkenntnis gekommen, daß wir 
niemals einen alten Stil vollständig nachempfin- 
den können, sondern daß die kommende Generation 
das Hinzugefügte sofort erkennen wird (z. B. 
Kölner Dom). So wenig eine moderne Ergän- 
zung des Nibelungenliedes und von Gedichten 
Walthers von der Vogelweide uns gleichwertig 
erscheinen wird, ebensowenig muß sie es uns 
bei Kunstwerken erscheinen. Daher der starke 
Widerwillen in künstlerisch empfindenden Kreisen 
gegen Neubau eines Heidelberger Schlosses, gegen 
Zerstörung alter Städtebilder, gegen Freilegung 
von Kirchen. Natürlich kann der Staat diese 
Grundsätze ohne weiteres nur auf die in seinem 
Besitze befindlichen Gebäude, sodann solche von 
Gemeinden, Körperschaften, Stiftungen und 
Kirchen ausdehnen, die irgendwie seiner Oberauf- 
sicht unterstehen. Doch hier werden schon häufig 
Bedürfnisse der Praxis, der Seelsorge, des Kul- 
tus, des Verkehrs usw. die uneingeschränkte Durch- 
führung des reinen Erhaltungs= und Konservie- 
rungsprinzips unmöglich machen. Deshalb können 
nur eigne Behörden, die sich vollständig frei halten 
von Engherzigkeit, Bureaukratismus und Schema- 
tismus, und das weiteste Entgegenkommen und 
Verständnis für die Forderungen des Tages mit 
aufrichtiger Liebe zur alten Kunst zu verbinden 
wissen, hier in den einzelnen Fällen das Richtige 
treffen. Noch schwieriger wird natürlich die 
Frage, wenn es sich um Kunstwerke handelt, die 
sich im Besitze von Privaten befinden. Doch 
wird auch hier konziliantes Entgegenkommen und 
Aufklärung durch die Behörden vieles zu verhin- 
dern wissen; aber ohne gesetzliche Hilfsmittel und 
vor allem reiche Geldmittel wird auf die Dauer 
in dieser Richtung nichts zu machen sein. 
Damit kommen wir zu der Geschichte der 
Denkmalpflege, besonders im 19. Jahrhundert. 
Neben der konservativen Tendenz macht sich dabei 
immer mehr eine sozialistische geltend, da „ohne 
Beschränkung des Privateigentums, ohne Be- 
schränkung der Interessen des Verkehrs, der Ar- 
beit, der individuellen Nützlichkeitsmotive“ ein 
allgemeiner Denkmalschutz nicht durchführbar sein
	        
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