675
ganzen Jahres vernichten, wenn das Korn auf
dem Halme bleibt, was bei gewerblichen Produkten
in der Regel nicht die Folge einer Arbeitsein-
stellung sein wird. Ein allgemeiner Streik würde
zudem die Volksernährung erschweren. Besondere
Bestimmungen für diesen Fall erscheinen danach
zulässig. Anderseits ist zu erwägen, daß die länd-
lichen Arbeitsbedingungen und die gewerblichen
sehr ungleichartig sind. Die Löhne sind je nach
den Verhältnissen der Gegenden und der einzelnen
Betriebe verschiedenartig und werden dies auch
bleiben; die Arbeiten zerfallen in Klassen mit ver-
schiedenen Interessen, sie sind zudem verstreut und
in größeren gleichartigen Massen mit gleichem
Interesse an den einzelnen Arbeitsstellen kaum
vorhanden. Es fehlt sonach an der Konzentration
größerer Massen, die den gewerkschaftlichen Zu-
sammenschluß der Industriearbeiter wesentlich er-
leichtert hat. Es ist deshalb kaum anzunehmen,
daß eine allgemeine wirtschaftliche Organisation
der Landarbeiter zustande kommen würde. Dies
zeigt auch das Beispiel der Gegenden, in denen
kein Streikverbot herrscht. Von bedenklichen Er-
scheinungen aus diesem Grunde ist nichts bekannt
geworden. Das Streikverbot kann zudem um-
gangen werden. Der trockene Streik, die Verab-
redung, langsam und schlecht zu arbeiten, kann
tatsächlich nicht verhindert werden; ebensowenig
z. B. die Gründung einer Unterstützungskasse für
den Fall verschuldeter oder unverschuldeter Arbeits-
losigkeit oder die Verabredung, nach Erfüllung des
geltenden Arbeitsvertrages einen neuen nur ge-
meinsam eingehen zu wollen. Unter diesen Um-
ständen ist die Frage nicht unberechtigt, ob das
Streikverbot, soweit es noch gilt, überhaupt einen
praktischen Wert hat; von einer agitatorischen Aus-
nutzung des Verbotes mit seinen hohen Strafen
würden infolge der dadurch herbeigeführten Ver-
bitterung leicht mehr Nachteile für den Arbeit-
geber zu befürchten sein als von seiner Aufhebung.
Ferner wird zugegeben werden müssen, daß das
Verhalten des Arbeitgebers einen sittlich einwand-
freien Grund zur Arbeitseinstellung bieten kann;
auch kann man niemand zwingen, nach Ablauf
des Arbeitsvertrages wiederum Arbeit anzuneh-
men, wenn man nicht das alte Dienstbarkeits-
verhältnis wieder einführen will.
Was den Kontraktbruch anlangt, so wird man
seine strafrechtliche Verfolgung nicht billigen kön-
nen. Die besondern Verhältnisse des landwirt-
schaftlichen Gewerbes bieten keinen Anlaß, die
Landarbeiter einem Ausnahmegesetz gegenüber den
andern Arbeitern zu unterstellen. Anderseits ist
die Feststellung des Schadenersatzes, soweit der
Vertragsbrüchige hierzu nach dem bürgerlichen
Rechte angehalten werden kann, häufig weitläufig
und schwierig, die Ersatzsumme auch nicht immer
beitreibbar. Es wäre deshalb zu erwägen, ob
nicht eine Bestimmung ähnlich der des § 124b
der Gew.O. einzuführen wäre, die dem Arbeit-
geber auch ohne Nachweis eines Schadens ge-
Landarbeiter.
676
stattet, einen bestimmten Teil des Lohnes einzu-
behalten oder, wenn dies nicht geschehen ist, ein-
zuklagen. Wegen der besondern Verhältnisse des
Gesindes in den hier behandelten Fragen vgl. d.
Art. Gesinde.
Deckung des Bedarfs; Landflucht; TLeute-
not. Ein sehr großer Teil der Wirtschaftsbetriebe
kann ohne Arbeiter nicht auskommen. Sonst ist
er genötigt, den Boden mehr oder weniger extensiv
zu bewirtschaften, die Viehzucht einzuschränken.
Hierdurch wird aber nicht nur die Rentabilität
des einzelnen Betriebes ungünstig beeinflußt, son-
dern die Ernährung des gesamten Volkes mit-
betroffen. Das Ziel, die Lebensbedürfnisse mög-
lichst im Inlande zu decken, die Abhängigkeit vom
Auslande, die besonders in Kriegszeiten zu großen
Schwierigkeiten führen kann, zu beseitigen, wird
unerreichbarer, da es eben möglichste Intensität
des Betriebes voraussetzt. Die Kaufkraft der länd-
lichen Bevölkerung wird geringer und damit der
sicherste Markt für die Industrie geschwächt. So
ist die Deckung des Bedarfs an ländlichen Arbeits-
kräften eine Frage, die nicht nur den Landwirt,
sondern die ganze Volkswirtschaft, insbesondere
auch jeden ernstlich angeht, dem die gesunde Ent-
wicklung der Industrie am Herzen liegt.
Der Bedarf ist sehr verschieden. Am stärksten
ist er naturgemäß im Großbetriebe und in den
Ländern, in denen dieser vorherrscht, in weiten
Teilen des östlichen Deutschlands. Am schwächsten,
vielfach gar nicht vorhanden, dort, wo die Erb-
gewohnheit der realen Teilung der Grundstücke
unter die Miterben herrscht. Das sind die Ge-
genden des Kleinbetriebes und der Zwergwirt-
schaft. Das Besitztum ist häufig nicht so groß,
um die Arbeitskraft des Besitzers und seiner Fa-
milie voll zu beschäftigen. Die Abwanderung in
die Industriestädte entzieht deshalb dort der Land-
wirtschaft verhältnismäßig wenig notwendige Ar-
beitskräfte. In der Mitte stehen die Gegenden
des Westens und Südens, in denen der Besitz an
eines der Kinder ungeteilt vererbt wird. Dort
finden sich häufiger Bauernwirtschaften mittlerer
Größe, die die Arbeitskraft des Besitzers und seiner
Familie voll in Anspruch nehmen und ohne fremde
Hilfe bewirtschaftet werden können. Anders bei
größeren Bauerngütern. Die Nähe industrieller
Bezirke befördert hier noch die Abwanderung.
Im ganzen läßt sich feststellen, daß weite Kreise
der ländlichen Besitzer der notwendigen Arbeiter
entbehren, und zwar gerade die, welche vermöge
ihrer Fachbildung und der Größe ihres Besitzes
zunächst berufen sind, die Ergebnisse der wissen-
schaftlichen Forschung in die Praxis des land-
wirtschaftlichen Betriebes überzuführen und damit
die Produktivität der Landwirtschaft und die Kauf-
kraft der ländlichen Bevölkerung zu vermehren.
Die Leutenot in diesen Kreisen hat verschiedene
Ursachen. Vor der Agrarreform zu Beginn des
19. Jahrh. war der Bedarf an Arbeitern in ge-
nügender Weise gedeckt. Die Agrarreform hat