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Interesse der Arbeitgeber erfolgen würde, ohne die
Interessen der Arbeiter zu berücksichtigen. Viel-
mehr werden zunächst die wirtschaftlichen Verhält-
nisse der Arbeiter so zu regeln sein, daß sie diese
befriedigen und nicht zur Abwanderung verleiten.
Der Naturallohn wäre den Bedürfnissen mehr an-
zupassen, der Anteil am Gewinn ließe sich aus-
bauen, das vielfach lästige Hofgängerwesen be-
seitigen, der Barlohn wäre unter Berücksichtigung
der Bedürfnisse des Arbeiters zu bemessen. In
manchen Gegenden des Ostens, in denen lang-
dauernder Frost kaum eine andere Arbeit ge-
stattet, könnte die Rückkehr zum Flegeldrusch dem
Arbeiter dauernde Erwerbsgelegenheit für das
ganze Jahr verschaffen.
Die sozialpolitische Fürsorge in obigem Sinne
würde zugleich den vom Landarbeiter in ungün-
stigem Sinne gezogenen Vergleich mit dem In-
dustriearbeiter beseitigen und ihm das Gefühl
größerer Selbständigkeit geben. Hierzu kommen
die in den letzten Jahren immer mehr hervortre-
tenden Bestrebungen, den durch die Agrarreform
und die Betriebsentwicklung gelockerten Zusammen-
hang des Arbeiters mit dem Lande durch ihre
Seßhaftmachung wieder zu festigen. Neben
der Selbsthilfe der Arbeitgeber und der Hilfe der
Kommunalvberbände kann der Staat hier erheblich
mitwirken durch Gewährung von Kredit, Mit-
hilfe der staatlichen Organe, Bereitstellung von
Grund und Boden aus den Domänen. Es ist
nach dieser Richtung schon manches geschehen
(ogl. d. Art. Kolonisation, innere). In Literatur
und Praxis werden hierbei zwei Richtungen er-
örtert und empfohlen: die Ansetzung der Arbeiter
auf Pachtländereien mit langfristigen Verträgen
und die Ansetzung unter Gewährung von Eigen-
tum, etwa in der Form von Rentengütern. Die
Ansetzung reiner Arbeiterkolonien hat sich gegen
die Ansiedlung in etwa neu zu gründenden
Bauerndörfern als weniger günstig erwiesen. In
diesen ist der Zukauf von Grundstücken, die Aus-
übung eines Handwerks als Nebengewerbe und
damit größere persönliche Unabhängigkeit und
soziales Aufsteigen eher möglich. Über die bis-
herigen Versuche und Erfahrungen unterrichtet
eingehend das unten angeführte Werk von Gerlach.
Von Wichtigkeit sind schließlich die Bestrebungen
der ländlichen Wohlfahrtspflege, die sich auf die
Pflege der allgemeinen und der Berufsbildung
durch Fortbildungsschulen, Rektoratschulen, ge-
meinnützige Bibliotheken, hygienische und Kran-
kenpflege, Sorge für echte Freude und Gesellig-
keit, Erweckung und Erhaltung des Heimats-
gefühles richten. Sie sind geeignet, manche von
dem Arbeiter als Vorzüge empfundene Seiten
des städtischen Lebens auch auf dem Lande zu
bieten und damit die Neigung zur Abwanderung
zu schwächen. Auch Arbeitervereine können in
dieser Richtung Ersprießliches wirken.
Literatur. Knapp, Die Bauernbefreiung u. der
Ursprung der L. in den älteren Teilen Preußens
Landeshoheit — Landeskulturgesetzgebung.
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(1887); v. Lengerke, Ländl. Arbeiterfrage (1849);
Verhältnisse der L in Deutschland, Erhebungen
des Vereins für Sozialpolitik (1892); Verhand-
lungen desselben Vereins (1893); Weber, L. in
den evang. Gebieten Norddeutschlands (1899);
v. d. Goltz, Ländl. Arbeiterfrage u. ihre Lösung
(1874); derf., Lage der ländl. Arbeiter (1875);
ders., Ländl. Arbeiterklassen u. preußischer Staat
(1893); ders., L.frage im nordöstl. Deutschland
(1896); derf. in Gesch. der deutschen Landwirtschaft
(Stuttgart u. Berlin 1902, 1903), im Handwörierb.
der Staatswissenschaften u. im Wörterb. der Volks-
wirtschaft; v. Kahlden, Ländl Arbeiter in Meitzen,
Boden u. landwirtschaftl. Verhältnisse des preuß.
Staates (1908); Kärger, Arbeiterpacht (1893);
Stumpfe, Seßhaftmachung der L. (1906); Gerlach,
Ansiedlung von L.n in Norddeutschland, Erhebungen
der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (1909);
Schlegelberger, L. recht (1907); Hitze, Abriß der
Agrarfrage (1908); Herold, Ländl. Arbeiterfrage,
in Zeitschrift für Agrarpolitik 1889; v. Trzeinfki,
Russische polnische u. galizische Wanderarbeiter
im Großhrzgt. Posen (1906); Berichte der deut-
schen Feldarbeiterzentrale 1907/08; Ehrenberg u.
Gehrke, Kontraktbruch der L. als Massenerscheinung
(1907); Heim, Ländl. Dienstbotenorganisationen
(1907). (Klocke.]
Landeshoheit s. Souveränität.
Landeskirchen s. Staatskirchentum.
Landeskulturgesetzgebung. Prin-
zipiell könnte in der Frage der Landeskultur die
freie Tätigkeit des einzelnen als erstrebenswertes
Ziel der staatlichen Gesetzgebung erscheinen, so
daß dieser nur die Aufgabe zufallen würde, die
Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche die
freie Entfaltung des Individuums bei der Kultur-
arbeit hemmen. Man könnte auch hier den Satz
aufstellen wollen, daß das eigne Interesse des ein-
zelnen an möglichst vorteilhafter Ausnutzung der
ihm zur Verfügung stehenden Mittel stark genug
sei, um ihn anzueifern, durch rege Kulturtätigkeit
zur Hebung der gesamten Landwirtschaft nach
Kräften beizutragen, und daß im freien Wett-
bewerbe der Konkurrenz auch hier wie allenthalben
das Wohl der volkswirtschaftlichen Entwicklung
gelegen sei. Doch die Zeit, welcher die wirtschaft-
liche Isolierung des einzelnen als Heilmittel für
alle wirtschaftlichen Leiden erschien, ist glücklicher-
weise vorbei; in unserer Frage zumal ist das
Prinzip des Individualismus schon längst einer
gesunden Sozialpolitik gewichen. Denn rationeller
Betrieb der Landwirtschaft ist nicht allein maß-
gebend für die ökonomische Lage der Landwirte,
sondern auch gleichbedeutend mit der Sicherung
der Ernährung des Volkes, dieser unentbehrlichsten
Grundlage seiner Existenz. Mit zunehmendem
Wachstum der Bevölkerung tritt die Nahrungs-
frage in den Vordergrund des allgemeinen Inter-
esses. Die Zunahme der Einfuhr der notwen-
digsten Lebensmittel aus dem Auslande, das
sicherste Zeichen, daß die Produktion der einheimi-
schen Landwirtschaft zur entsprechenden Ernährung
der Bevölkerung nicht ausreichend ist, läßt sodann