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ist einerseits das starke Wachsen der Dampferflotte
— von 1877 bis 1902 beinahe verfünffacht (von
570 auf 2604) — und anderseits das Zurückgehen
der Kleinschiffahrt, insbesondere der Schiffe von
einer Tragfähigkeit von 50 bis 150 t; letztere
haben sich von 1877 bis 1902 um ½ vermindert.
Nähere Angaben über den Bestand der Fluß-,
Kanal., Haff= und Küstenschiffe finden sich in den
Vierteljahrsheften der Statistik des Deutschen Rei-
ches 1904, 2. Hft, S. 174.
Die Kosten für Wasserbauten werden, ohne
daß bestimmte Grundsätze maßgeblich wären,
regelmäßig entweder vom Reiche unter besonderer
Beteiligung eines oder mehrerer Bundesstaaten
oder von einem Bundesstaat unter Heranziehung
von andern Bundesstaaten, Provinzen, Kreisen,
Gemeinden oder Privaten aufgebracht. Insbe-
sondere wird in Preußen auf die Beteiligung der
Interessenten an den Aufwendungen für Schiff-
fahrtzwecke Wert gelegt.
Die Transportkosten der Binnenschiffahrt sind
infolge der vielen eingeführten Verbesserungen be-
deutend heruntergegangen. Von 1885/87 bis
1900/02 sind in einer Reihe wichtiger Verkehrs-
relationen die Frachten von durchschnittlich 0.96
auf 0,74 (einschließlich der Abgaben bei Kanälen)
Pfg pro tkm, also um 28 % gefallen. Sie be-
tragen heute regelmäßig 0,5—1 Pfg pro tkm,
gehen ausnahmsweise sogar auf 0,2 Pfg pro tkm
herunter. Hierzu können freilich bei Kanälen und
kanalisierten Flüssen Abgaben hinzutreten. Aber
auch wenn das der Fall ist, ist der Transport auf
der Wasserstraße, vorausgesetzt, daß er eine ge-
nügend große Versandlänge hat, immer noch billiger
als der auf der Eisenbahn. Es kommt das daher,
daß der Staat sich im einseitigen Interesse des
Wasserstraßenverkehrs mit großen Ausgaben be-
lastet, während er aus dem Eisenbahnverkehr hohe
Überschüsse herausschlägt. Vom Standpunkte der
ausgleichenden Gerechtigkeit ist diese verschiedene
Behandlung des Wasserstraßen- und des Eisen-
bahnverkehrs nicht zu rechtfertigen.
Die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnen-
schiffahrt sind geregelt durch das Reichsgesetz vom
15. Juni 1895 (Reichsgesetzblatt 1895, Nr 23,
S. 301). Durch 8§ 120 dieses Gesetzes ist für
Dampfschiffe und andere Schiffe mit eigner
Triebkraft, deren Tragfähigkeit mehr als 15 t be-
trägt, sowie für sonstige Schiffe mit einer Trag-
fähigkeit von mehr als 20 t die Registerpflichtigkeit
eingeführt. Die Schiffsregister werden regelmäßig
von den Amtsgerichten geführt. Über die Ein-
tragung wird ein Schiffsbrief erteilt. Verpfändung
eines eingetragenen Schiffes kann nur durch Ein-
tragung in das Schiffsregister erfolgen. Die privat-
rechtlichen Verhältnisse der Flößerei sind durch ein
Reichsgesetz, ebenfalls vom 15. Juni 1895 (Reichs-
gesetzblatt 1895, Nr 23, S. 341), geordnet.
Literatur. van der Borght, Das Verkehrswesen,
III. Abschn.; Eger, Die Binnenschiffahrt in Europa
u. Nordamerika (mit Karten, 1899); C. V. Suppän,
Wasserstraßen u. Binnenschiffahrt (1902); Führer
Landwirtschaft.
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auf den deutschen Schiffahrtstraßen, bearbeitet im
kgl. preuß. Ministerium für öffentliche Arbeiten
(5/1907); Graf Hue de Grais, Handbuch der Ver-
fassung u. Verwaltung in Preußen u. im Deutschen
Reiche (181907); Lotz, Verkehrsentwicklung in
Deutschland 1800/1900 (1906; enthält ausführ-
liche Literaturangaben); „Das Schiff“, Zeitung für
Binnenschiffahrt (seit 1879).
Über die Tätigkeit der preuß. Bauverwaltung
in Bezug auf die Ausführung von Wasserbauten
in den Jahren 1890/1900 spricht der oben (I am
Ende) erwähnte Bericht des Ministers der öffentl.
Arbeiten 150 f. über Kanäle (Schiffahrtskanäle)
insbes. vgl. diesen Art. (Bd 1I, Sp. 1565 ff).
IAm Zehnhoff.]
Landwirtschaft. lBedeutung; Produk-
tionsprozeß, Produktionszweige, Betrieb; Die
Landwirtschaft betr. Zustände und Einrichtungen:
Klima, Boden, Rechtsordnung, Staat.]
I. Bedentung. Die Landwirtschaft bildet
denjenigen Zweig der volkswirtschaftlichen Pro-
duktion, der die Erzeugung pflanzlicher und tieri-
scher Rohstoffe zum Zweck hat, daher mit der Be-
bauung des Bodens sowie mit der Züchtung,
Auszucht und Pflege der Haustiere sich beschäftigt.
Sie spielt im Leben der Völker eine hervorragende
Rolle. Zwei Ursachen sind es hauptsächlich, wel-
chen sie dieselbe verdankt, einmal die der landwirt-
schaftlichen Bevölkerung eignen physischen und
moralischen Vorzüge und zum zweiten die grund-
legende Bedeutung der landwirtschaftlichen Pro-
duktion für das gesamte wirtschaftliche Leben.
Normale Ernährung vorausgesetzt, ist die land-
wirtschaftliche Bevölkerung immer gesunder,
kräftiger und leistungsfähiger als die städtische,
welche sich infolge ihrer Tätigkeit sowohl als auch
aus Anlaß des in der Stadt sich breit machenden
Luxus nicht desselben Grades körperlicher Gesund-
heit erfreut. Die Landwirtschaft ist es, welche den
Ersatz für die verbrauchte Volkskraft zu leisten hat.
Das Leben in Gemeinschaft mit der Natur und
im Kampfe gegen die Naturkräfte bringt den
Menschen gleichsam in unmittelbare Berührung
mit dem Schöpfer. Das ländliche Leben und der
Betrieb der Landwirtschaft fordert gebieterisch den
Bestand der Familie als Vorbedingung der in-
dividuellen Existenz; der Besitz von Grund und
Boden erhöht die Liebe zur Heimat, das Gefühl
der Zugehörigkeit zur Nation. Die örtliche Ab-
geschiedenheit hält den Landbewohner fern von
der Beteiligung an Umtrieben, die geeignet sind,
den innern Frieden zu stören. Mit andern
Worten: Religion, gute Sitte, Nationalgefühl
und gesunder Sinn, diese Grundpfeiler des staat-
lichen Lebens, pflegen im Herzen der Landwirt-
schaft treibenden Bevölkerung besonders tiefe
Wurzeln zu schlagen.
Mit der Bezeichnung der landwirtschaftlichen
Produktion als eines Teiles der Urproduktion
ist auf denjenigen Punkt hingewiesen, durch den
sie sich grundsätzlich von allen andern Produktions-
arten unterscheidet. Die Materie, d. h. die uns