Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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umgebenden festen, flüssigen und gasförmigen 
Körper, sind zusammengesetzt aus einer verhältnis- 
mäßig beschränkten Anzahl chemischer Elemente. 
Die Verbindungen, zu welchen sich diese Elemente 
vereinigen, sind von der mannigfaltigsten Art, und 
es findet in der schaffenden Natur teils mit teils 
ohne Mitwirkung des Menschen eine fortwährende 
Auflösung und Neubildung solcher Verbindungen 
statt (Kreislauf des Stoffes). Zwischen allen 
diesen Vorgängen besteht aber ein grundsätzlicher, 
wohl zu beachtender Unterschied. Während bei der 
einen Kategorie ein gewisses Quantum von Kraft 
oder Wärme frei, d. h. verfügbar wird, hat die 
andere ein solches zu ihrer Entstehung nötig. Alle 
die verschiedenen Erscheinungen, welche man als 
Lebensäußerungen der organisierten Materie zu 
bezeichnen pflegt, haben den Verbrauch solcher 
Kraft= oder Wärmequantitäten zur Folge. Das 
Wachstum des Pflanzen-und Tierkörpers, Muskel- 
bewegung und Muskelarbeit des letzteren sind nur 
möglich unter der Voraussetzung des Vorhanden- 
seins latenter chemischer Kraftmengen. Die Er- 
zeugung von mechanischer Kraft mit Hilfe von 
Dampfmaschinen oder andern Motoren ist eben- 
falls zurückzuführen auf den Verbrauch der in dem 
betreffenden Brennmaterial aufgespeicherten chemi- 
schen Kraft. 
Es ist leicht einzusehen, daß bei andauernder 
einseitiger Fortsetzung dieses Prozesses allmählich 
der Vorrat dieser kraftliefernden chemischen Ver- 
bindungen zur Neige gehen müßte. Für die Auf- 
rechterhaltung des Gleichgewichts ist aber dadurch 
gesorgt, daß in den grünen Pflanzenteilen, oder 
genauer gesagt, in der blattgrünhaltigen lebenden 
Pflanzenzelle aus der der Pflanze zugeführten 
unorganischen Nahrung im ausgedehntesten Maße 
solche Verbindungen zur Entstehung kommen, 
welche ihrerseits wieder latente chemische Kraft in 
sich bergen. Auch hier in der Pflanzenzelle wird 
diese Kraft nicht aus dem Nichts geschaffen, sie 
wird vielmehr nur dort festgehalten, und die 
Quelle, aus welcher die Pflanze schöpft, ist die 
Sonne, welche in der Form ihrer Lichtstrahlen 
jene Kraft= oder Wärmemenge spendet. Nur mit 
Hilfe der Sonnenstrahlen ist die Pflanze befähigt, 
ihre für alles Leben so hochwichtige Funktion zu 
erfüllen. 
Die Landwirtschaft, die ja das Pflanzenwachs- 
tum zu ihren vorzüglichsten Produktionsmitteln 
zählt, verdient deshalb mit Recht den Namen der 
Urproduktion. Die Werterzeugung in allen übri- 
gen Produktionszweigen besteht eben darin, daß 
vorhandene Stoffe durch Aufwand von Arbeit in 
ihrem Wert erhöht werden. Jener Arbeitsaufwand 
hat aber wieder die geschilderte Tätigkeit der 
Pflanzen zur Voraussetzung. Wohl ist es in 
neuerer Zeit der Chemie gelungen, eine Anzahl 
von Stoffen auf synthetischem Wege herzustellen, 
für deren Entstehung man bisher die Tätigkeit des 
organisierten Pflanzen= oder Tierkörpers als un- 
umgänglich notwendig erachtete. Allein um die 
Landwirtschaft. 
  
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Kräfte zu gewinnen, mit deren Hilfe man diesen 
Erfolg erzielt, muß man eben wieder eine Anleihe 
bei den durch Vermittlung der Pflanzenproduktion 
erzeugten Kraftmengen machen, und darum ist die 
Herstellung jener Werte auf synthetischem Wege 
zum mindesten teurer als ihre Erzeugung im 
landwirtschaftlichen Betrieb. Eine Ausnahme 
hiervon machen einige in der Natur sehr spärlich 
auftretende Farb- und aromatische Stoffe, welche 
die chemische Industrie heute allerdings mit viel 
geringerem Aufwand herzustellen vermag, als dies 
früher mit Hilfe von organischen Kräften mög- 
lich war. 
II. Der kandwirkschaftliche Produktions- 
prozeß. A. 1. Die Pflanzenproduktion. 
In Rücksicht auf die zur Verwendung kommenden 
Rohstoffe zeichnet sich die Pflanzenproduktion 
wesentlich dadurch aus, daß ein Teil der Stoffe 
vor der Verarbeitung durch die Pflanze einen 
wirtschaftlichen Wert nicht hatte; der andere Teil 
allerdings erfährt auch hier nur eine Werterhöhung. 
Zu der ersten Kategorie gehören der Kohlenstoff, 
Wasserstoff und Sauerstoff, zum Teil auch der 
Stickstoff; außerdem können hierher gerechnet 
werden diejenigen Pflanzennährstoffe, welche die 
Pflanze zu ihrer Ernährung zwar unbedingt 
nötig hat, die aber in den geringen Mengen, um 
die es sich hier handelt, sich stets in den Kultur- 
böden finden, daher bei der Stoffzufuhr voll- 
kommen vernachlässigt werden können, z. B. der 
Schwefel, das Magnesium und das Eisen. 
Zur zweiten Kategorie gehört vor allem wieder 
der Stickstoff. Dieser nimmt deshalb eine Zwitter- 
stellung ein, weil eine Klasse der landwirtschaft- 
lichen Kulturpflanzen, die Leguminosen, also spe- 
ziell Erbsen, Linsen, Wicken, Bohnen, Lupinen, 
Klee usw. die Fähigkeit besitzen, ihren Stickstoff- 
bedarf aus dem in ungemessenem Umfang und 
kostenlos zur Verfügung stehenden Vorrat der 
atmosphärischen Luft zu decken. Sie verdanken 
diese Fähigkeit den sog. Knöllchenbakterien, welche 
in den Wurzelknöllchen der Schmetterlingsblütler 
leben und eigentümlicherweise imstande sind, den 
elementaren Stickstoff der Lufst zum Aufbau ihres 
Leibes zu verwenden und so in Saldpetersäure- 
verbindungen zu überführen, welch letztere von den 
Leguminosen als Stickstoffnahrung aufgezehrt wer- 
den. Alle übrigen Kulturpflanzen sind hinsichtlich 
der Deckung ihres Stickstoffbedarfes auf den Nähr- 
stoffvorrat des Bodens angewiesen. Für sie ge- 
hört also der Stickstoff in die zweite der von uns 
unterschiedenen Stoffgruppen, und der Bedarf der 
Pflanzen an diesem Stoffe ist ein sehr beträcht- 
licher. Dahin gehört außerdem der Rest der mi- 
neralischen Nährstoffe, welche die Pflanzen nur 
dem Bodenvorrat entnehmen können und deren sie 
in so großem Maße bedürfen, daß eine kosten- 
verursachende Zufuhr ganz allgemein erforderlich 
ist. Das ist die Phosphorsäure, das Kali und in 
vielen Fällen auch der Kalk. Vorwiegend sind 
es jedoch Stickstoff, Phosphorsäure und Kali,
	        
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