Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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welche für die Düngung zum Zweck der Pflanzen- 
ernährung Berücksichtigung finden müssen. Wenn 
auch in manchen Kulturböden ein dem Nahrungs- 
bedürfnis der Pflanzen genügender Kalkvorrat 
enthalten ist, so ist doch eine gelegentliche Zufuhr 
von Kalk wegen der verschiedenen, indirekten, 
bodenverbessernden Wirkungen in den seltensten 
Fällen zu entbehren. Als besonders wichtige 
Wirkungen einer sachgemäßen Kalkdüngung sind 
zu nennen: die Entsäuerung des Bodens, die Un- 
schädlichmachung der in manchen Böden vorkom- 
menden pflanzengiftigen Eisenverbindungen, die 
Beförderung der Salpeterbildung sowie die Um- 
setzung der Nährstoffe des Bodens überhaupt, die 
Verbesserung des mechanischen Zustandes des 
Bodens, indem schwere, zähe Böden durch Kalkung 
gelockert und erwärmt, leichte Böden durch Merge- 
lung bindiger und somit wasserhaltender werden. 
Als kalkhaltige Düngemittel kommen in Betracht: 
gebrannter Kalk, Kalkasche, Staubkalk, gemahlener 
Kalkstein, Kalkmergel und der Scheideschlamm der 
Zuckerfabriken. 
Es ist nun aber sehr wesentlich, darauf hin- 
zuweisen, daß der Anteil der unentgeltlich zur 
Verfügung stehenden Stoffe an der Zusammen- 
setzung des fertigen Pflanzenkörpers um das Viel- 
fache größer ist als derjenige, welchen die zweite 
Gruppe umfaßt. Daher kommt es auch, daß die 
Düngerzufuhr einen größeren Zuwachs an der 
Erntemasse bewirkt, als den zugeführten Stoff- 
mengen entspricht. Es ist deshalb eine der Haupt- 
aufgaben des produzierenden Landwirts, dafür zu 
sorgen, daß die Pflanze stets einen vollkommen 
hinreichenden Vorrat jener Stoffe im Boden vor- 
finde. Diese auf den ersten Blick sich sehr einfach 
darstellende Anforderung enthältnichtsdestoweniger 
die schwierigsten Fragen der Düngerlehre. Es ist 
allerdings der wissenschaftlichen Forschung ge- 
lungen, das Bedürfnis der einzelnen Kultur- 
pflanzen an jenen wichtigen Stoffen genau fest- 
zustellen. Die Chemie kann uns über den im 
Boden vorhandenen Vorrat Aufschluß geben, aber 
es fehlt jede Beziehung zwischen jenen beiden 
Größen, weil es nicht darauf ankommt, wie groß 
jener Bodenvorrat überhaupt ist, sondern vielmehr 
darauf, welcher Teil desselben in dem gegebenen 
Augenblick für die Pflanze verwendbar ist und sich 
in einer für sie aufnehmbaren Form vorfindet. 
In den Kreis dieser Erwägungen fällt auch die 
Frage nach dem Ursprung der den Bodenvorrat 
zusammensetzenden Elemente. Die mineralischen 
Nährstoffe, also die Phosphorfäure, das Kali und 
der Kalk, entstammen den Gesteinsarten, aus 
denen der betr. Boden durch Verwitterung ent- 
standen ist. Der Vorrat ist also ein beschränkter, 
und wenn der Verwitterungsprozeß abgeschlossen 
ist, ist eine fernere Vermehrung undenkbar. Einen 
andern Ursprung hat der Stickstoff. Er gelangt 
durch die atmosphärischen Niederschläge, welche die 
in der Luft stets vorhandenen geringen Mengen 
gebundenen Stickstoffs (Ammonial) mit sich reißen, 
Landwirtschaft. 
  
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in den Boden, wo dieselben teilweise von den in 
Vegetation befindlichen Pflanzen aufgenommen 
werden. Wenn dann diese Pflanzen absterben, 
so werden annähernd dieselben Mengen für die 
nächstfolgende Generation verfügbar; es kann sich 
also auf diese Weise mit der Zeit ein Vorrat von 
stickstoffhaltiger Substanz im Boden ansammeln, 
sofern die auf dem betreffenden Orte entstandenen 
Pflanzen nicht entfernt werden; das letztere ist aber 
in der Landwirtschaft regelmäßig der Fall, und zwar 
werden die in der Ernte weggeführten Mengen 
größer sein als der Zufluß aus der genannten 
Quelle; es wird also auch hier eine Abnahme des 
vorhandenen Vorrats Platz greifen. 
Die wissenschaftliche Düngerlehre hat in 
Bezug auf ihre Stellung zu diesen Fragen im 
Laufe der Zeit die verschiedenartigsten Wand- 
lungen erfahren. Den Anfang bildete die ins- 
besondere von Thaer (Grundsätze der rationellen 
Landwirtschaft (1808/12.) ausgebildete Humus- 
theorie, der durch die Beobachtung, daß humus- 
haltige Böden sich für die Regel auch als ertrag- 
reich erwiesen, sich zu der Annahme verleiten ließ, 
der Humus sei diejenige Substanz, welche allein 
das Nahrungsbedürfnis der Pflanze zu befrie- 
digen fähig sei. Das Fundament für die gedeih- 
liche Weiterentwicklung wurde aber erst durch 
Liebig (Chemie in ihrer Anwendung auf die 
Agrikultur (1840.) gelegt, der durch die Einfüh- 
rung chemischer Anschauungsweise in den Ideen- 
kreis der landwirtschaftlichen Wissenschaft ein ganz 
anderes Licht in diese Frage brachte. Zwar ver- 
fiel er bezüglich des Stickstoffs in die Täuschung, 
daß dieser in hinreichenden Mengen von der 
atmosphärischen Luft geliefert werden könne, und 
legte deshalb den Hauptnachdruck auf die mine- 
ralischen Nahrungsstoffe. Er bildete die sog. Er- 
satztheorie aus, welche in der Forderung gipfelt, 
daß diejenigen Stoffmengen, welche in der Form 
der Ernte dem Boden entzogen werden, zum min- 
desten durch den Dünger demselben wieder zu- 
geführt werden müßten. Da nun aber alle die 
Stoffquantitäten, welche in Form von Getreide, 
Vieh und andern Produkten hinaus in den freien 
Verkehr gehen, in der Regel nicht mehr in den be- 
treffenden landwirtschaftlichen Betrieb zurückkehren, 
so ist nach dieser Theorie eine Betriebsführung, 
welche nicht für den Ersatz der so dem Boden 
entnommenen Stoffe besorgt ist, als Raubbau zu 
bezeichnen. Die Konsequenz dieser Anschauungs- 
weise bildet sodann die Forderung, daf die städti- 
schen Auswurfstoffe möglichst vollkommen in die 
Landwirtschaft zurückkehren müßten. Damit wären 
allerdings die Bedingungen der Ersatztheorie nach 
Möglichkeit erfüllt; nur diejenigen Stoffquanti- 
täten, die als Substanz des menschlichen Körpers 
in den Friedhöfen aufgespeichert werden, gingen 
dann der Produktion verloren. 
Im weiteren Lauf der Entwicklung stellte so- 
dann die Wissenschaft eine zweite Theorie auf, 
die als Variation der Ersatztheorie zu betrachten
	        
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