Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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welche in enger Beziehung zum landwirtschaft- 
lichen Betrieb stehen, von demselben nicht be- 
liebig getrennt werden können. Dahin gehört 
namentlich die Kartoffeln verarbeitende Brannt- 
weinbrennerei, die auf den leichten Bodenarten 
hauptsächlich den Zweck hat, das auf andere Weise 
schwer zu beschaffende Futter in Form von 
Schlempe zu liefern. Fortschritte sind hier ins- 
besondere nach der Richtung zu verzeichnen, daß 
die mehr und mehr sich vervollkommnende Technik 
eine immer weiter gehende Ausnutzung des Stärke- 
mehlgehaltes des Rohmaterials ermöglicht. Die 
Stärkefabrikation tritt der Spiritusbrennerei 
gegenüber sehr in den Hintergrund. — Ferner 
ist unter die landwirtschaftlich-technischen Gewerbe 
zu rechnen das Molkereigewerbe. Dieses hat nun 
im Lauf der letzten Jahrzehnte einen außerordent- 
lich raschen Aufschwung an den Tag gelegt. Ins- 
besondere hat die Einführung der Milchzentrifuge 
eine viel vollkommenere Ausnutzung des Milch- 
fettes und eine weitgehende Verbesserung der 
Qualität der Produkte zur Folge gehabt. Die 
Technik hat mit bewunderungswürdiger Rührig- 
keit in kurzer Frist eine Anzahl äußerst brauch- 
barer Handzentrifugen geliefert, die insbesondere 
die Einführung dieses Systems in weitere land- 
wirtschaftliche Produktionskreise, namentlich auch 
in den Kreis der kleinen Einzelwirtschaften, er- 
möglichte. — Die Zuckerfabrikation, Brauerei 
und Müllerei stehen ebenfalls in engster Beziehung 
zur Landwirtschaft, sind aber, als in der Haupt- 
sache für sich bestehend, zu den landwirtschaftlich- 
technischen Gewerben im engeren Sinne nicht zu 
rechnen. 
B. Der Betrieb. Unter landwirtschaftlichem 
Betrieb versteht man die Vereinigung mehrerer 
Produktionszweige zu einem organischen Ganzen. 
Während bisher der Produktionszweig mehr von 
der rein technischen Seite betrachtet wurde, sind 
es hier Momente wirtschaftlicher Art, welche in 
erster Linie Berücksichtigung finden müssen; aus- 
schlaggebend für die Beurteilung eines Betriebes 
im konkreten Falle ist der bei denselben erzielte 
Erfolg, die Differenz zwischen der Größe der auf- 
gewandten und der produzierten Werte. 
1. Die Betriebsmittel. Dieselben bestehen 
wie bei jedem andern Produktionsprozeß in 
Kapital und Arbeit. Das Kapital zerfällt aber 
hier in eine Reihe von einzelnen Gliedern, deren 
jedem für sich ein eigentümlicher Charakter zu- 
kommt. Der Grund und Boden ist das 
wichtigste der Produktionsmittel. Seine Aus- 
dehnung ist, wenigstens im allgemeinen, maß- 
gebend für die Größe des Betriebes, wenn auch 
allerdings die Größe der umgesetzten Werte hier 
mitzusprechen hat. Eine besonders schwer wiegende 
Eigentümlichkeit des Bodens besteht darin, daß 
er unzerstörbar ist, eine Eigenschaft, die den meisten 
andern Kapitalskategorien nicht zukommt. Er 
hat deshalb den Vorzug der größten Sicherheit. 
Gleichzeitig ist er innerhalb eines bestimmten Ge- 
Landwirtschaft. 
  
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bietes nur in beschränktem Umfange vorhanden. 
Diese beiden Umstände bewirken, daß die in Grund 
und Boden angelegten Werte sich mit einer sehr 
geringen Rente begnügen. 
Ülber die landwirtschaftlichen Gebäude ist 
zu sagen, daß dieselben für sich einen Ertrag ab- 
zuwerfen nicht fähig sind. Sie tun dies nur 
insofern, als sie den ganzen Produktionsprozeß 
ermöglichen und unterstützen. Daraus geht schon 
ohne weiteres hervor, daß diejenige Sachlage die 
günstigste sein wird, bei welcher der Aufwand für 
Gebäude so gering als möglich ist und doch das 
der Wirtschaft nach dieser Richtung 
hin wird. Das Gerätekapital muß 
o sein, daß es allen Zwecken der Pro- 
duktion in möglichst vollkommener Weise zu dienen 
fähig ist. Der für das Gerätekapital gemachte 
Aufwand ist in hohem Grade lohnend, weil ein 
Mangel an den Geräten durch einen unverhältnis- 
mäßig größeren Aufwand von Arbeitskraft aus- 
geglichen werden muß. 
Das Rohstoffkapital besteht hauptsächlich 
in Dünger und Futterstoffen. Besonders die er- 
steren nehmen eine hervorragende Bedeutung in 
Anspruch. Bezüglich des Verhältnisses, in welchem 
der Aufwand für das Düngerkapital zu den 
übrigen Unkosten der Produktion steht, greifen 
die solgenden Erwägungen Platz. Die übrigen 
Unkosten, insbesondere der Zinsbetrag des Boden- 
wertes, die zu entrichtende Steuer, die aufzuwen- 
dende Arbeitskraft, bemessen sich im allgemeinen 
nach der Größe der Fläche. Der Aufwand für 
diese Faktoren ist für einen gut gedüngten Boden 
ebensogroß wie für einen schlecht gedüngten. Es 
gilt deshalb, auf den gegebenen Flächen möglichst 
viel zu produzieren, um jenen unumgänglichen 
Aufwand auf eine möglichst große Zahl von Wert- 
einheiten zu verteilen. Wenn auf einem Morgen 
20 Zentner Weizen geerntet werden, so ist die 
auf den Zentner entfallende Quote der Unkosten 
nur halb so groß, als wenn nur 10 Zentner auf 
demselben produziert worden wären. Darum kann 
man mit der Verabreichung des Düngers meist 
bis zu derjenigen Grenze gehen, bei deren Über- 
schreitung eine Steigerung der Produktion nicht 
mehr eintreten würde, ohne daß darunter die Ren- 
tabilität des gemachten Aufwandes Not leidet. 
Sehr der Beachtung wert sind die Umstände, 
welche bezüglich der Preisbestimmung der ein- 
zelnen Produktionsmittel obwalten. Der Preis 
der Arbeit wird bestimmt auf dem allgemeinen 
Arbeitsmarkt; die Landwirtschaft hat ausgehört, 
einen solchen für sich zu besitzen. Die Preise für 
Dünger, Geräte usw. bestimmen sich ebenfalls nach 
Gesichtspunkten, die außerhalb des Machtbereichs 
des einzelnen Landwirts liegen. Aber auch auf 
die Preise der Produkte übt weder der produ- 
zierende Landwirt noch der Umfang der inländi- 
schen Produktion einen Einfluß aus, seitdem die- 
selben durch die auf dem Weltmarkt herrschenden 
Konjunkturen bedingt sind. Der einzig veränder- 
  
    
   
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