Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Katholiken-Emanzipation in Groß- 
britannien. (Die alten Strafgesetze; die Er- 
leichterungsgesetze von 1778, 1791 und 1793; 
die Uneinigkeit wegen des irischen Vetos; die Nicht- 
annahme der Bill von 1813; das Gesetz von 1829; 
geltendes Recht.) 
I. Die Gesetze, welche auf den Bekennern der 
alten Kirche lasteten, kann man in drei Gruppen 
zerlegen: 1. Gesetze gegen die Katholiken über- 
haupt. Bekenner der „päpstlichen Religion“ unter- 
liegen schweren Geldbußen beim Nichtbesuch des 
anglikanischen Gottesdienstes. Wer nach voll- 
endetem 18. Lebensjahre dem „Irrtume“ nicht 
entsagt, wird damit unfähig, Grund und Boden 
durch Erbschaft oder Vertrag zu erwerben. Im 
Alter von 21 Jahren hat jeder Katholik ein Ver- 
zeichnis seiner Anwesen der Behörde einzureichen. 
Unfähig zur Ausübung des Patronatsrechts in 
eigener Person, darf der Katholik ebensowenig 
einen Stellvertreter damit betrauen. Wer eine 
Schule errichtet oder Unterricht darin erteilt, 
unterliegt lebenslänglicher Verbannung. Liest 
jemand Messe oder wohnt er ihr an, so treffen 
ihn schwere Geldbußen und Gefängnisstrafe. 
Verweigerung des Besuches der anglikanischen 
Kirche zieht den Verlust von zwei Dritteln aller 
Ländereien nach sich, welche der Krone anheim- 
fallen. Wenn jemand einen englischen Untertan 
behufs Erziehung in der katholischen Religion 
nach dem Ausland sendet oder zu diesem Zweck 
einem religiösen Institut anvertraut, so verlieren 
beide wie auch alle Helfer die Fähigkeit, vor den 
Rechts= und Billigkeitsgerichten ihr Recht zu ver- 
folgen, das Amt eines Exekutors oder Verwalters 
zu übernehmen, ein Vermächtnis zu erben, ein 
öffentliches Amt zu verwalten, und außerdem auf 
Lebenszeit alle Mobilien und Immobilien. Schär- 
ser noch ahndete das Gesetz den Abfall von der 
etablierten Kirche. Wer zum Katholizismus über- 
tritt oder andere zu diesem Schritt veranlaßt, be- 
geht Hochverrat. 
2. Gesetze gegen päpstliche Rekusanten (Re- 
cusants convict). Der Katholik, welcher des 
Nichtbesuchs der anglikanischen Kirche vor dem 
Richter überführt wurde, unterlag der Strafe der 
Exkommunikation. Er war unfähig zur Bekleidung 
eines Amtes, durfte keine Waffen im Hause haben, 
widrigenfalls er Wegnahme derselben durch den 
Richter zu gewärtigen hatte, und wurde mit einer 
Geldbuße von 100 Pfund Sterling belegt, wenn 
er sich London auf zehn Meilen näherte. Ein- 
bringung einer Klage vor einem Rechts= oder 
Billigkeitsgericht war ihm untersagt. Entfernte er 
sich ohne vorher eingeholte Erlaubnis fünf Meilen 
weit vom Wohnort, so traf ihn der Verlust aller 
Güter, und eine Buße von 100 Pf. St., falls 
er wagte, bei Hofe zu erscheinen. Einsegnung der 
Ehe sowie Vornahme des Begräbnisses eines sol- 
chen Rekusanten nebst der Taufe seiner Kinder 
stand ausschließlich den Geistlichen der Hochkirche 
zu. Jeden andern Religionsdiener, welcher sich 
Katholiken-Emanzipation ufw. 
  
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dessen vermaß, belegte das Gesetz mit schweren 
Strafen. Jede Ehefrau verlor, wenn sie als Re- 
kusantin überführt wurde, zwei Drittel ihrer Mit- 
gift; sie konnte die Verwaltung der Güter ihres 
Gemahls nicht übernehmen noch auch ihn beerben. 
Während der Dauer der Ehe traf sie Gefängnis- 
strafe, wenn ihr der Gatte nicht mit einer monat- 
lichen Summe von 10 Pf. St. oder Abtretung 
des dritten Teils seiner liegenden Güter die 
Freiheit erkaufte. Alle übrigen Rekusanten muß- 
ten binnen drei Monaten nach erfolgtem Richter- 
spruch ihren „Irrtum“ abschwören und sich 
unterwerfen oder aber das Land verlassen. Wer 
diesem Gesetz nicht entsprach oder aber später ohne 
Erlaubnis des Regenten den heimatlichen Boden 
wieder zu betreten wagte, lud die Schuld des Hoch- 
verrats auf sich und verwirkte das Leben. Eine 
niedere Art der Rekusanz bestand in der Wei- 
gerung, den unter Karl II. (30. Carol. II. c. 2) 
gegen den Papst vorgeschriebenen Testeid nach 
gehöriger Aufforderung seitens der Beamten zu 
leisten. Der Rekusant wurde, wenn er innerhalb 
einer Entfernung von zehn Meilen von London 
wohnte, zu einem Rekusanten erster Klasse. Hatte 
er weiter im Lande sein Domizil, so verlor er 
seinen Sitz im Parlament nebst dem Recht, Waffen 
sowie ein Pferd von mehr denn 5 Pf. St. Wertes 
zu besitzen. 
3. Nach 11. und 12. Will. III. c. 4 traf 
katholische Bischöfe oder Priester, falls sie irgend 
eine Funktion ihres Amtes, ausgenommen in den 
Häusern der Gesandten, in England vollzogen, 
lebenslänglicher Kerker. Schon früher hatte ein 
Gesetz (27. Elizab. c. 2) erklärt, daß jeder in 
England geborene katholische Priester, welcher 
(ausgenommen den Fall eines Seeunglücks) vom 
Ausland kommend den Boden des Reichs betreten, 
oder aber, ohne den Eid zu leisten, drei Tage lang 
dort sich aufhalten würde, desgleichen diejenigen, 
welche ihm Obdach gewährten, das Verbrechen 
des Hochverrats begehen und ihr Leben verwirken 
würden (Broom-Hadley, Commentaries IV. 
61/63). Wer einen katholischen Priester derart 
anzeigte, daß er der gesetzlichen Strafe verfiel. 
erhielt von Gesetzes wegen eine Belohnung von 
100 Pf. St. — Vielfach stand man nach 
Niederwerfung der letzten Stuartschen Erhebung 
(1746) von der Durchführung dieser Gesetze ab. 
Aber noch 1767 wurde der Priester John Ma- 
lony, weil er einem Sterbenden die Tröstungen 
der Religion gespendet, zu Croydon bei London 
mit lebenslänglichem Kerker belegt, den man nach 
einigen Jahren in Verbannung umwandelte. 
Die Zerwürfnisse zwischen dem englischen 
Mutterlande und den nordamerikanischen Kolo- 
nien hatten schon 1774 zum Erlaß der Quebec- 
akte geführt, welche die katholische Kirche in Ka- 
nada freistellte. Die Aufhebung der Strafgesetze 
im Bereiche des Mutterlandes wurde angebahnt 
unter dem Toryministerium des Lord North, 
welcher 1778 mit einem Komitee angesehener
	        
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