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trägt auch viel zur Förderung der Einsicht der
Landwirte bei dadurch, daß man bei der Auswahl
der dort zu behandelnden Themata auf das Bil-
dungsbedürfnis der betreffenden Gegenden weit-
gehendste Rücksicht nimmt. Stetig und erfreulich
fortschreitend, finden auch die ländlichen Fort-
bildungsschulen ausgedehnte Pflege. Wenn
auch die Ansicht sich immer mehr geltend macht,
daß Fortbildungsschulen überhaupt den Schwer-
punkt ihrer Aufgabe nicht in die Fachbildung,
sondern in die Gesinnungspflege verlegen sollen,
so kommt naturgemäß doch die durch gute Fort-
bildungsschulen geförderte bessere Allgemeinbildung
auch dem Landwirtschaftsbetrieb zugute, besonders
dann, wenn die Fortbildungsschule ihre besondere
Aufmerksamkeit der Berufsethik zuwendet. Für
das weibliche Geschlecht haben die Haushal-
tungsschulen ähnliche Aufgaben zu erfüllen
wie die Winterschulen und Fortbildungsschulen
für die männliche Jugend. Die Rolle, welche die
Frau in der Landwirtschaft für die Rentabilität
des Betriebes spielt, macht es verständlich, daß
man auch die der Vorbildung der Frauen ge-
widmeten Lehranstalten in ihrer zweckentsprechen-
den Ausgestaltung stetig zu fördern sucht. Große
Beachtung verdienen zu dem Ende auch die Wan-
derhaushaltungsschulen. Nur ist bei den letzteren
zu beachten, daß die Kurse nicht zu kurz sind; ist
letzteres der Fall, verlieren sie ihren erziehlichen
Einfluß und damit ihren wesentlichen Wert.
3. Weitere Ausgestaltung. Infolge des
Anwachsens der landwirtschaftlichen Nebenbetriebe
und der Verbreitung des landwirtschaftlichen Ge-
nossenschaftswesens macht sich für den modernen
Landwirt das Bedürfnis nach kaufmännischen
Kenntnissen und kaufmännischer Gewandtheitimmer
mehr geltend. Da ist nun ein Vorschlag sehr be-
achtenswert, den Professor Dr Riesenfeld gemacht
hat. Unter Zugrundelegung der Einteilung der
gesamten Landwirtschaftslehre in Technik des
Landbaues oder landwirtschaftliche Produktions-
lehre und Okonomilk des Landbaues oder land-
wirtschaftliche Wirtschaftslehre denkt sich Dr Riesen-
feld eine „Gewerbelehre des Landbaues“
neben der landwirtschaftlichen Betriebslehre, der
landwirtschaftlichen Taxationslehre und der land-
wirtschaftlichen Rechnungslehre als einen eignen,
selbständigen und gleichberechtigten
Zweig der Okonomik des Landbaues
gestellt. Diese landwirtschaftliche Gewerbelehre als
Wissensgebiet betrachtet soll nach Dr Riesenfelds
Idee die Summe aller derjenigen Kenntnisse ent-
halten, über welche der moderne Landwirt als
Unternehmer eines einzelwirtschaftlichen Betriebes
bei seiner Beteiligung am geschäftlichen Verkehrs-
leben verfügen muß, um den wirtschaftlichen Er-
folg seiner gewerblichen Tätigkeit, welcher in der
Erzielung von Überschüssen und Reingewinn be-
stehen soll, zu erreichen. Die „Gewerbelehre"
würde demnach verschiedenartige Wissensgebiete
und Lehrfächer umfassen, und zwar einen handels-
Landwirtschaftliches Bildungswesen.
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wissenschaftlichen Teil, nämlich die „land=
wirtschaftliche Handelskunde“ als die Lehre
von 1) den handelsgewerblichen Nebenbetrieben,
2) den Handelsgebräuchen, 3) den Handels-
geschäften des Landwirtes beim Einkauf der land-
wirtschaftlichen Bedarssgegenstände und beim Ver-
kauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, 4) der
Nutzbarmachung der öffentlichen Anstalten und
Einrichtungen des Handelsverkehres für die Zwecke
der Förderung des landwirtschaftlichen Güter-
austausches, nämlich Verkehrswesen (Post. Eisen-
bahn, Schiffahrt usw.), Zahlungs= und Kredit-
wesen, Bank= und Börsenwesen, 5) den Handels-
vertragsbeziehungen und Zöllen auf landwirt-
schaftliche Betriebsmittel und Erzeugnisse, sowie
einen gewerbetechnischen Teil, nämlich land-
wirtschaftliche Gewerbekunde im engeren Sinne
als die Lehre von 1) dem landwirtschaftlichen Ge-
nossenschaftswesen, 2) dem landwirtschaftlichen
Kreditwesen, 3) dem landwirtschaftlichen Versiche-
rungswesen, 4) dem landwirtschaftlichen Besteue-
rungswesen, 5) der landwirtschaftlichen Gewerbe-
verwaltung und Polizei, 6) der landwirtschaftlichen
Gewerbeförderung, insbesondere bezüglich länd-
licher Arbeiterverhältnisse, 7) der ländlichen Wohl-
fahrtpflege und dem landwirtschaftlichen Vereins-
und Bildungswesen. 1
In der „Deutschen landwirtschaftlichen Presse“
(Jahrg. 31, Nr 57, S. 499) wurde dieses Pro-
gramm vom Chefredakteur Dr Müller in seiner
privat= und volkswirtschaftlichen Bedeutung sehr
eingehend gewürdigt. Sehr treffend wurde dabei
ausgeführt, daß, seitdem der große Landwirtschafts-
reformator Albrecht Thaer in seinen „Grundsätzen
der rationellen Landwirtschaft" (§32) die Unentbehr-=
lichkeit merkantiler Kenntnisse für den praktischen
Landwirt betonte, die damalige verhältnismäßige
Einfachheit und Übersichtlichkeit der landwirt-
schaftlichen Gütererzeugung, des landwirtschaftlichen
Güterabsatzes und der Marktpreisbildung dermaßen
unter dem Einfluß des modernen Weltverkehrs
und seiner Mittel zu einem verwickelten, von
allerlei spekulativen Faktoren des Weltmarktes und
des internationalen Zwischenhandels beeinflußten
Vorgange sich umgestaltet hat, daß Thaers Forde-
rung merkantiler Kenntnisse für den praktischen
Landwirt heute ganz beträchtlich mehr denn damals
an Berechtigung gewonnen hat und für den auch
nur halbwegs größeren Landwirt als bedingungs-
los gelten muß. Besonders wird in der „Deutschen
landwirtschaftlichen Presse“ die fortschreitende Kom-
merzialisierung und Industrialisie-
rung des landwirtschaftlichen Gewerbes als die
hervorstechendsten Züge in dem Gesamtbilde be-
zeichnet, das die Landwirtschaft auf der gegenwär-
tigen Stufe ihrer Entwicklung darbietet. Und wenn
schon diese Erkenntnis eine gesteigerte Forderung
zur Ausbildung der Landwirte in der Gewerbe-
lehre enthalte, so sei aber besonders auch noch der
idealen Mission dieses Faches zu gedenken: durch
den Einblick, welchen mit seiner Hilfe der Landwirt
in das länderverbindende, weltumspannende Ge-
triebe des Handels gewinnt, sollen sich auf ihn all-
mählich eine Reihe von mehr persönlichen Eigen-
schaften übertragen, welche jetzt eigentümliche