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auch gewiß gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß
von dem Stande der inländischen Produktion an
Nahrungsmitteln das Wohlergehen der Gesamt-
heit der Staatsangehörigen in hohem Grade ab-
hängig ist. Sodann bietet die landwirtschaftliche
Vereinsorganisation dem Staate ein willkommenes
Hilfsmittel bei der Erfüllung einzelner Aufgaben
der Verwaltung (Statistik, Verteilung von Staats-
mitteln) und zur Durchführung wirtschaftspoliti-
scher Maßnahmen (beratende Tätigkeit der Ver-
einsorgane bei der Gesetzgebung). Aus diesen Be-
ziehungen hat sich in den einzelnen Staatsgebieten
ein bald mehr bald weniger enger Anschluß der
oberen Vereinsorgane an die Landes= resp. Pro-
binzialbehörden ergeben.
2. Organisation. In Preußern bestan-
den im Jahre 1909 im ganzen 23 Provinzial-
bzw. Zentralvereine und 3238 Zweigvereine mit
etwa 260 000 Mitgliedern. Seit der Einführung
der Landwirtschaftskammern (s. d. Art.) sind die
alten Zentralvereine größtenteils in diese über-
gegangen resp. eng mit denselben verbunden. Das
Landesökonomiekollegium (reorganisiert
auf Grund der durch allerhöchste Ordre vom
13. Nov. 1898 genehmigten neuen Satzungen)
stellt das oberste Organ der Vereine dar; 25 Mit-
glieder, die gleichzeitig Mitglieder des Deutschen
Landwirtschaftsrates sind, werden von den Land-
wirtschaftskammern von 3 zu 3 Jahren gewählt.
Die Zahl der vom Minister ernannten Mitglieder
darf ½ der gewählten nicht übersteigen. Das
Landesökonomiekollegium hat den Minister als
regelmäßiger Beirat zur Förderung der Land-
und Forstwirtschaft zu unterstützen und ist gleich-
zeitig befugt, selbständige Anträge an den Mi-
nister zu stellen, es dient außerdem den Landwirt-
schaftskammern als Geschäftsstelle zur Bearbeitung
gemeinsamer Angelegenheiten. In Bayern wur-
den dem 1809 durch königliches Restkript entstan-
denen, das ganze Königreich umfassenden Verein
im Jahre 1870 durch den König Korporations-
rechte verliehen; sein Vertretungskörper sind der
Bayrische Landwirtschaftsrat mit den
1895 allerhöchst genehmigten Satzungen als Or-
gan des Gesamtvereins und die Ausschüsse der
landwirtschaftlichen Vereine der einzelnen Kreise
als Organe der letzteren. Der Verein zählt heute
rund 130 000 Mitglieder. In Sachsen ist dem
landwirtschaftlichen Verein insofern die Mitwir-
kung bei der Verwaltung gesichert, als die Vor-
sitzenden der 5 landwirtschaftlichen Kreisvereine
Mitglieder des Landeskulturrates sind, der
durch das Gesetz vom 30. April 1906 neu orga-
nisiert, ziemlich weit gehende Befugnisse besitzt, von
welchen namentlich hervorzuheben ist das Recht,
von den wahlberechtigten land= und forstwirt-
schaftlichen Unternehmern Beiträge zu erheben
für den Fall, daß der vom Staat gewährte
Zuschuß zur Deckung der Ausgaben nicht hin-
reichen sollte. In Württemberg gliedert
sich der 1817 ebenfalls als Zentralverein für
Landwirtschaftliche Vereine.
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das ganze Land gegründete landwirtschaftliche
Verein nicht nach Verwaltungsbezirken, vielmehr
ist das ganze Gebiet nach der geographischen
Lage und den obwaltenden landwirtschaftlichen
Verhältnissen in 12 Gaue mit 64 Bezirksvereinen
eingeteilt. Jeder Gauverband wählt einen Ver-
treter zu dem der Zentralstelle für die Landwirt-
schaft koordinierten Beirat. In Baden ist der
landwirtschaftliche Verein (gegr. 1819) zur Zeit
in 67 Bezirksvereine geteilt, von welchen 4/10
zu einem Gauvberbande vereinigt sind. Bis 1891
war er neben dem 1868 eingerichteten Landes-
kulturrat zugleich Interessenvertretung der Land-
wirtschaft. In dieser Eigenschaft wurde er 1891
abgelöst durch den badischen Landwirtschaftsrat,
der sich aus Vertretern der Gauverbände und an-
dererlandwirtschaftlicher Vereinigungen zusammen-
setzte. Seit 1907 trat an dessen Stelle die Land-
wirtschaftskammer. Ahnlich sind die Verhältnisse
in den übrigen deutschen Staaten geordnet. —
Schon sehr frühzeitig traten Bestrebungen zutage,
welche einen Zusammenschluß sämtlicher Vereine
Deutschlands bezweckten; sie fanden ihren Ausdruck
in den von 1835 bis 1865 bestandenen Wander-
versammlungen deutscher Landwirte, später in dem
Kongreß deutscher Landwirte. Eine feste Form
nahmen diese Bestrebungen aber erst nach Grün-
dung des Deutschen Reiches an. Im Jahre 1872
wurde der Deutsche Landwirtschaftsrat
ins Leben gerufen, welcher in sich 75 Vertreter
und Abgeordnete sämtlicher Landwirtschaftskam-
mern und der sonstigen landwirtschaftlichen Inter-
essenvertretungen vereinigt. Der Deutsche Land-
wirtschaftsrat tritt jährlich einmal zusammen, hat
sich über die landwirtschaftlichen Tagesfragen
gutachtlich zu äußern und ist zwischen den Sitzungs-
perioden durch einen geschäftsführenden ständigen
Ausschuß vertreten.
3. Die Tätigkeit der landwirtschaftlichen
Vereine hat sich bis vor kurzem darauf beschränkt,
dem Staat bei der Verteilung und Verwendung
der zur Förderung der Landwirtschaft ausgewor-
fenen Mittel und bei andern Aufgaben der Ver-
waltung, z. B. der Statistik, behilflich zu sein und
im übrigen durch Veranstaltung von Ausstellungen
belehrend und anregend auf die Entwicklung der
Landwirtschaft zu wirken.
4. Freie Vereinigungen. Neben der all-
gemeinen Vereinsorganisation bestehen noch in
großer Zahl freie Vereinigungen, die in der Mehr-
zahl spezielle Zwecke verfolgen. Dahin gehören
namentlich die verschiedenen Züchtervereinigungen,
Pferde-, Rindvieh-usw. Zuchtvereine, Obst-, Wein-
bauvereine, Hopfen-, Flachsbauvereine. Das Ge-
nossenschaftsprinzip hat sodann in der neuesten
Zeit begonnen, auf dem Gebiete der landwirt-
schaftlichen Erwerbstätigkeit eine ausgedehnte An-
wendung zu finden. Insbesondere ist dies der
Fall, seitdem das Gesetz vom 1. Mai 1889 in
Kraft getreten ist (ugl. d. Art. Erwerbs= und
Wirtschaftsgenossenschaften). Von hervorragender