Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

753 
Gründen des öffentlichen Wohles eine Rechts- 
wirkung zuzuerkennen, die ihr an und für sich 
nicht zukommen kann und auch anfänglich nicht 
zukam. Ebensowenig ist eine genau abgegrenzte 
Verjährungsfrist erfordert. Es genügt, daß ein- 
mal ein Zeitpunkt eintrete, wo die Übertragung 
der Krone auf eine andere Regentenfamilie tat- 
sächlich ohne schwere öffentliche Gefahren für einen 
ganzen Staat unmöglich scheint. Wann nun 
solche Verhältnisse in einem besondern Falle wirk- 
lich eingetreten seien, ist nicht leicht zu entscheiden 
und muß schließlich dem vernünftigen Ermessen 
der Beteiligten anheimgegeben werden, welche sich 
die nötige Einsicht zu verschaffen verpflichtet sind. 
7. Moderner Legitimismusin Deutsch- 
land. In jüngster Zeit ist auch in Bezug auf 
Preußen von „Legitimisten“ die Rede gewesen. 
Bis zum Jahre 1848 galt der König von Preußen 
unbestritten als der alleinige Träger der staat- 
lichen Souveränität; er war Souverän im eigent- 
lichen Sinne des Wortes. Im genannten Jahre 
gewährte Friedrich Wilhelm IV. die jetzige kon- 
stitutionelle Verfassung. Ist durch diese Ver- 
fassung das gesamte Volk der Träger der Sou- 
veränität geworden, oder ist nach wie vor der 
König der alleinige Träger der Souveränität? 
Die Anhänger der letzteren Ansicht, zu denen be- 
sonders Professor Zorn (Bonn) gehört, werden 
von ihren Gegnern (3. B. Prof. Jellinek, Heidel- 
berg) als „moderne Legitimisten“ bezeichnet. Die 
Streitfrage ist von geringer praktischer Bedeutung. 
Denn daß der König durch die Verfassung und 
seinen Eid auf dieselbe rechtlich an die Mitwirkung 
der Volksvertretungen gebunden ist, geben alle zu. 
Rein theoretisch gesprochen scheint aber die Ver- 
fassung von 1848 die Grundlagen der Monarchie 
nicht geändert zu haben. Nach wie vor ist der 
König unverantwortlich. Daß er an die Mit- 
wirkung der Volksvertretung gebunden ist und das 
Volk ein Recht auf diese Mitwirkung hat, beweist 
in keiner Weise die Volkssouveränität. Auch daß 
sich der König gelegentlich den ersten Diener des 
Staates nennt, ist kein Beweis dafür. Denn ob 
der König im strengen Sinne souverän sei oder 
nicht, in beiden Fällen ist er ein Diener des 
Staates, insofern ihm die souveräne Gewalt nur 
zum Wohle seines Volkes verliehen wurde (ogl. 
Archiv für Rechts= u. Wirtschaftsphilosophie 1I 
163 ff. 
Literatur. J. Held, L. u. L. sprinzip (1859); 
ders., Staat u. Gesellschaft II (1863) 687 ff; Brock- 
haus, Das L. sprinzip (1868); Zöpfl, Staatsrecht 
15556; F. Walter, Naturrecht (1871) 170; Jarcke, 
Vermischte Schriften III (1828) 106; Ventura, 
Essai sur le pouvoir publique (1859) 383; Des- 
orges, De Torigine et de la nature du pouvoir 
(1869) 130; M. Block, Dictionnaire général de 
la politique, art. Légitimité; Jellinek, Allgemeine 
Staatslehre (1900) 257 f (mit bedenklicher Hin- 
neigung zur Theorie der vollendeten Tatsachen); 
Th. Meyer S. J., Die Grundsätze der Sittlichkeit 
u. des Rechts (1868) 216 ff; ders., Institutiones 
Lehnswesen. 
  
754 
Luris natur. II (1900) 500 ff; Cathrein S. J., Mo- 
ralphilosophie II (1904) 665; Hammerstein 8. J., 
Kirche u. Staat (1883) 200 ff. [Cathrein S. J. 
Lehnswesen. (Geschichtliche Einleitung; 
Das Lehnrecht; Sein Verhältnis zur allgemeinen 
Rechtsordnung; Verfall: äußere Geschichte und 
innere Umgestaltungen des Lehnswesens; Ende 
und Beurteilung.) 
I. Geschichtliche Einleitung. Bald in ge- 
ringerem bald in größerem Maße bestehen Be- 
ziehungen zwischen einzelnen spätrömischen und 
einzelnen Einrichtungen der aufkeimenden germa- 
nischen Rechtsordnung. So kamen auch Bestand- 
teile des Lehnsverhältnisses teilweise schon in der 
spätrömischen Zeit vor. Sie kannte Übergabe von 
Grundstücken gegen Kriegsdienst, den Grund- 
gedanken des späteren Benefiziums, wodurch die 
germanischen Könige die Großen an sich fesselten. 
Neu war das den deutschen Stämmen schon in der 
frühesten Zeit geläufige persönliche Treue- 
verhältnis, wenn es auch Schutzherrschaft 
(patrocinium) der Großgrundbesitzer (posses- 
sores) über die Hintersassen (tributarüs gab. 
Dem germanischen Volksstaate folgte die königliche 
Gewalt und damit der Dienstadel. Die Mero- 
winger hatten ihre Gefolgsgenossen (antrustio- 
nes), die Karolinger und ihre Großen Vassallen. 
Dieses Schutz= und Dienstverhältnis wurde be- 
festigt durch Verleihung eines Benefiziums, 
was bei der Hausgenossenschaft der alten Gefolgs- 
leute nicht notwendig gewesen war. Es wurde 
Sitte, jedem Vassallen ein Benefizium zu geben 
und für ein Benefizium Vassall zu werden. Aus 
dieser etwa im 9. Jahrh. erfolgenden Verschmel- 
zung des Benefiziums mit der Vassallität entstand 
das Lehnswesen. 
Dergermanische Volksstaat baute auf der breiten 
Schicht der gleichberechtigten Gemeinfreien auf. 
Die allgemeine volksmäßige Wehrpflicht wurde 
als öffentliche Last getragen und zu Fufß geleistet. 
Auch das Königtum der Franken hatte zunächst den 
allgemeinen Untertanenverband des freien Volkes 
zur Grundlage, die allgemeine Wehrpflicht dauerte 
unter ihm weiter. Gleichzeitig setzte aber in der 
fränkischen Periode die Bildung größerer Grund- 
herrschaften ein, welche zu einer tiesgehenden Wand- 
lung der Besitzverhältnisse, zum Hochkommen staat- 
licher Zwischenglieder, zu einer Durchbrechung 
des direkten Untertanenverhältnisses, zu einer voll- 
ständigen Umgestaltung der Heeresverfassung 
führten. Die nur die Freien belastende Wehr- 
pflicht veranlaßte seit den Tagen Karls d. Gr. 
und seiner zahlreichen Kriege die Freien, in Haufen 
sich der Wehrpflicht durch Begebung in die Hörig- 
keit eines der immer zahlreicher gewordenen Grund- 
herren zu entziehen. Der große Grunderwerb der 
fränkischen Klöster und Bischofskirchen durch pri- 
vate Landschenkungen hängt zum Teil damit 
zusammen. Die Könige selbst aber konnten 
größere Kriegsunternehmungen nicht mehr mit den 
schwer beweglichen Fußtruppen des germanischen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.