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Volksheeres bewerkstelligen, ihr berittenes Gefolge
(Antrustionen) war anderseits zu gering an Zahl,
um den gesteigerten Ansprüchen zu entsprechen, wie
sie namentlich die feindlichen Einbrüche berittener
Völker, wie der Araber und später der Ungarn,
erforderten. Hier gewann der König leistungs-
fähige Truppen nur durch Ausstattung kriegs-
bereiter Mannen mit entsprechendem Grundbesitz,
von dessen Erträgnissen, wie sie durch angesiedelte
Hörige oder Zinsbauern geleistet wurden, jene
Mannen Pferd, Rüstung und Proviant sowie den
Unterhalt ihrer Familien bestreiten konnten. Nach
dem Vorbild der germanischen Gefolgschaft traten
sie zum Herrscher in ein besonderes engeres Dienst-
verhältnis, das sie zu freienwürdigen Diensten,
zu Amtshandlungen, zum Hofdienste, namentlich
aber zur berittenen Heeresfolge verpflichtete. Als
Aquivalent dafür empfingen die Vassallen zunächst
königliche Landschenkungen auf Lebenszeit; die
Not der Araberkriege zwang aber Karl Martell
dazu, bei den reichen geistlichen Grundherrschaf-
ten Zwangsanleihen aufzunehmen in Gestalt von
Königsbefehlen, durch welche die einzelnen Kir-
chen angewiesen wurden, an bestimmte Vassallen
der Krone Land abzutreten. Da Kirchenland nach
den Grundsätzen des kirchlichen Rechts nicht ver-
äußerlich war, wählte man hierzu die Rechtsform
des aus dem spätrömischen Recht überkommenen
Benefiziums, d. h. der Überlassung des Bodens
zur Nutzung unter Vorbehalt des Eigentums und
gegen Entrichtung einer bestimmten jährlichen
Abgabe. Zunächst war die Maßregel als eine
nur vorübergehende Inanspruchnahme des kirch-
lichen Grundbesitzes gedacht, die nach Abwen-
dung der Kriegsgefahr aufgehoben werden sollte.
Es wurde daraus aber eine stehende Einrichtung.
Die Kirchen sahen sich genötigt, ihren Besitz
dauernd in die terra indominicata, deren Er-
trägnisse dem kirchlichen Eigentümer noch selbst
zufielen, und in die terra inbeneftciata, die an
Vassallen gegebenen Teile des Bodens, zu gliedern.
Scharfsinnige Forschungen der jüngsten Zeit haben
dargetan, daß die Anerkennung des kirchlichen
Zehntrechts unter Pippin den Vergleich zwischen
dem König und der Kirche bedeutete, gegen dessen
staatliche Gewährung die Kirche sich mit der Per-
ennisierung der Benefizialleihen an Vassallen der
Krone einverstanden erklärte. Immer wieder war
in der Folgezeit das Vorbild Karl Martells le-
bendig, wenn es galt, in jenen Jahrhunderten reiner
Naturalwirtschaft die königliche oder herzogliche
Kriegsmacht zu stärken und dazu der Eigenbesitz
des Herrschers nicht ausreichte. Bekannt sind die
Sakularisationen dieser Art, die Arnulf und die
Bayern= und Schwabenherzoge des 10. Jahrh.
vornahmen. Das Reichsheer bestand denn auch
seit dem 10. Jahrh., vielleicht schon früher, über-
wiegend aus den Vassallen, welche von den Reichs-
kirchen gestellt wurden. Mit dem Aufkommen dieses
vassallitischen Reiterheeres sank die Bedeutung des
germanischen Fußheeres, der gemeinfreie Stand
Lehnswesen.
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hatte zudem durch die Grundherrschaftsbildung
eine sehr starke Dezimierung erfahren. Die all-
gemeine Wehrpflicht trat tatsächlich außer Kraft,
das Heer beruhte nur noch auf der besondern
Dienstpflicht der Vassallen, die mit ihren berittenen
Hintersassen, den Ministerialen, seine Reihen füll-
ten. Das Ausfallen des freien Volkes im Heer
drückte seine soziale Wertung, schuf den Gegensatz
von Bauer und Ritter und richtete so im sozialen
Aufbau des Volkskörpers die tiefste Scheidewand
aus, welche die deutsche Ständengeschichte erlebt hat.
Eine politische Bedeutung hatten nur noch die
geistlichen und weltlichen Großen und ihre ritter-
lichen Gefolgschaften, der freie germanische Volks-
staat war dem mittelalterlichen Vassallenstaat ge-
wichen. Aus einem rein privatrechtlichen Verhält-
nisse herkommend, zersetzte das Lehnswesen den
Beamtenstaat des großen Karl, wurde es zum zen-
sai Rechtsinstitut des mittelalterlichen Staats-
rechts.
Das dingliche Element des Lehnswesens, die
Benefizialleihe, war, wie sich schon aus dem Ge-
sagten ergibt, nicht auf die Vassallen beschränkt.
Es war die Rechtsform abgeleiteter Bodennutzung,
wie sie aus dem spätrömischen Rechte der fränki-
schen Zeit überkommen war. Ein begrifflicher
Gegensatz zwischen Benefizium und Precaria, wie
man ebenfalls gegen Naturalleistungen verliehene
Grundstücke nannte, bestand von Anfang an nicht.
Auch die Vassallen sollten nach der Intention der
ersten Karolinger den Kirchen, von denen sie Be-
nefizien erhalten hatten, dafür einen Jahreszins
entrichten, wenigstens einen Rekognitionszins. Es
kam aber bald dahin, daß man die Gegenleistung
des Vassallen ausschließlich in seinen Kriegs= und
Hofdiensten erblickte, ihn dagegen von Natural-
oder Geldgefällen an den Lehnsherrn völlig ent-
band. Man gewöhnte sich daran, als Benefizien
jene Güter ausschließlich zu bezeichnen, die an
Vassallen verliehen waren. Ihnen stellte man die
an Zinsbauern und Hörige verliehenen Besitzungen
als niedere Leihen gegenüber. Für sie hat die mo-
derne Forschung die Ausdrücke Leihe oder Zins-
leihen (auch Erblehen) im Gegensatz zu Lehen oder
echtes Lehen (Ritterlehen) geprägt. Ein dritter
Zweig des Lehnrechts im weiteren Sinne wird
durch das kirchliche Benefizium gebildet, dessen
Grundlagen ebenfalls dieselben wie in den beiden
andern Formen sind. Über die Bauernlehen erhob
sich auch das kirchliche Benefizium dadurch, daß
bald die Versehung des geistlichen Amtes hier als
die Gegenleistung des Benefiziaten angesehen
wurde.
Der Vassall genoß Ehre, Einkommen, Schutz.
Es wurde nicht nur immer üblicher, Landgüter
an Vassallen zu verleihen, auch Freie traten ihr
unabhängiges Grundeigentum (allodium) mäch-
tigen Herren ab, um es als Lehen zurückzu-
empfangen (feudi oblatio). Anderseits verbesserte
der Kriegsdienst und die ritterliche Lebensweise die
Stellung ursprünglich unfreier Volksgenossen.