Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

755 
Volksheeres bewerkstelligen, ihr berittenes Gefolge 
(Antrustionen) war anderseits zu gering an Zahl, 
um den gesteigerten Ansprüchen zu entsprechen, wie 
sie namentlich die feindlichen Einbrüche berittener 
Völker, wie der Araber und später der Ungarn, 
erforderten. Hier gewann der König leistungs- 
fähige Truppen nur durch Ausstattung kriegs- 
bereiter Mannen mit entsprechendem Grundbesitz, 
von dessen Erträgnissen, wie sie durch angesiedelte 
Hörige oder Zinsbauern geleistet wurden, jene 
Mannen Pferd, Rüstung und Proviant sowie den 
Unterhalt ihrer Familien bestreiten konnten. Nach 
dem Vorbild der germanischen Gefolgschaft traten 
sie zum Herrscher in ein besonderes engeres Dienst- 
verhältnis, das sie zu freienwürdigen Diensten, 
zu Amtshandlungen, zum Hofdienste, namentlich 
aber zur berittenen Heeresfolge verpflichtete. Als 
Aquivalent dafür empfingen die Vassallen zunächst 
königliche Landschenkungen auf Lebenszeit; die 
Not der Araberkriege zwang aber Karl Martell 
dazu, bei den reichen geistlichen Grundherrschaf- 
ten Zwangsanleihen aufzunehmen in Gestalt von 
Königsbefehlen, durch welche die einzelnen Kir- 
chen angewiesen wurden, an bestimmte Vassallen 
der Krone Land abzutreten. Da Kirchenland nach 
den Grundsätzen des kirchlichen Rechts nicht ver- 
äußerlich war, wählte man hierzu die Rechtsform 
des aus dem spätrömischen Recht überkommenen 
Benefiziums, d. h. der Überlassung des Bodens 
zur Nutzung unter Vorbehalt des Eigentums und 
gegen Entrichtung einer bestimmten jährlichen 
Abgabe. Zunächst war die Maßregel als eine 
nur vorübergehende Inanspruchnahme des kirch- 
lichen Grundbesitzes gedacht, die nach Abwen- 
dung der Kriegsgefahr aufgehoben werden sollte. 
Es wurde daraus aber eine stehende Einrichtung. 
Die Kirchen sahen sich genötigt, ihren Besitz 
dauernd in die terra indominicata, deren Er- 
trägnisse dem kirchlichen Eigentümer noch selbst 
zufielen, und in die terra inbeneftciata, die an 
Vassallen gegebenen Teile des Bodens, zu gliedern. 
Scharfsinnige Forschungen der jüngsten Zeit haben 
dargetan, daß die Anerkennung des kirchlichen 
Zehntrechts unter Pippin den Vergleich zwischen 
dem König und der Kirche bedeutete, gegen dessen 
staatliche Gewährung die Kirche sich mit der Per- 
ennisierung der Benefizialleihen an Vassallen der 
Krone einverstanden erklärte. Immer wieder war 
in der Folgezeit das Vorbild Karl Martells le- 
bendig, wenn es galt, in jenen Jahrhunderten reiner 
Naturalwirtschaft die königliche oder herzogliche 
Kriegsmacht zu stärken und dazu der Eigenbesitz 
des Herrschers nicht ausreichte. Bekannt sind die 
Sakularisationen dieser Art, die Arnulf und die 
Bayern= und Schwabenherzoge des 10. Jahrh. 
vornahmen. Das Reichsheer bestand denn auch 
seit dem 10. Jahrh., vielleicht schon früher, über- 
wiegend aus den Vassallen, welche von den Reichs- 
kirchen gestellt wurden. Mit dem Aufkommen dieses 
vassallitischen Reiterheeres sank die Bedeutung des 
germanischen Fußheeres, der gemeinfreie Stand 
  
Lehnswesen. 
  
756 
hatte zudem durch die Grundherrschaftsbildung 
eine sehr starke Dezimierung erfahren. Die all- 
gemeine Wehrpflicht trat tatsächlich außer Kraft, 
das Heer beruhte nur noch auf der besondern 
Dienstpflicht der Vassallen, die mit ihren berittenen 
Hintersassen, den Ministerialen, seine Reihen füll- 
ten. Das Ausfallen des freien Volkes im Heer 
drückte seine soziale Wertung, schuf den Gegensatz 
von Bauer und Ritter und richtete so im sozialen 
Aufbau des Volkskörpers die tiefste Scheidewand 
aus, welche die deutsche Ständengeschichte erlebt hat. 
Eine politische Bedeutung hatten nur noch die 
geistlichen und weltlichen Großen und ihre ritter- 
lichen Gefolgschaften, der freie germanische Volks- 
staat war dem mittelalterlichen Vassallenstaat ge- 
wichen. Aus einem rein privatrechtlichen Verhält- 
nisse herkommend, zersetzte das Lehnswesen den 
Beamtenstaat des großen Karl, wurde es zum zen- 
sai Rechtsinstitut des mittelalterlichen Staats- 
rechts. 
Das dingliche Element des Lehnswesens, die 
Benefizialleihe, war, wie sich schon aus dem Ge- 
sagten ergibt, nicht auf die Vassallen beschränkt. 
Es war die Rechtsform abgeleiteter Bodennutzung, 
wie sie aus dem spätrömischen Rechte der fränki- 
schen Zeit überkommen war. Ein begrifflicher 
Gegensatz zwischen Benefizium und Precaria, wie 
man ebenfalls gegen Naturalleistungen verliehene 
Grundstücke nannte, bestand von Anfang an nicht. 
Auch die Vassallen sollten nach der Intention der 
ersten Karolinger den Kirchen, von denen sie Be- 
nefizien erhalten hatten, dafür einen Jahreszins 
entrichten, wenigstens einen Rekognitionszins. Es 
kam aber bald dahin, daß man die Gegenleistung 
des Vassallen ausschließlich in seinen Kriegs= und 
Hofdiensten erblickte, ihn dagegen von Natural- 
oder Geldgefällen an den Lehnsherrn völlig ent- 
band. Man gewöhnte sich daran, als Benefizien 
jene Güter ausschließlich zu bezeichnen, die an 
Vassallen verliehen waren. Ihnen stellte man die 
an Zinsbauern und Hörige verliehenen Besitzungen 
als niedere Leihen gegenüber. Für sie hat die mo- 
derne Forschung die Ausdrücke Leihe oder Zins- 
leihen (auch Erblehen) im Gegensatz zu Lehen oder 
echtes Lehen (Ritterlehen) geprägt. Ein dritter 
Zweig des Lehnrechts im weiteren Sinne wird 
durch das kirchliche Benefizium gebildet, dessen 
Grundlagen ebenfalls dieselben wie in den beiden 
andern Formen sind. Über die Bauernlehen erhob 
sich auch das kirchliche Benefizium dadurch, daß 
bald die Versehung des geistlichen Amtes hier als 
die Gegenleistung des Benefiziaten angesehen 
wurde. 
Der Vassall genoß Ehre, Einkommen, Schutz. 
Es wurde nicht nur immer üblicher, Landgüter 
an Vassallen zu verleihen, auch Freie traten ihr 
unabhängiges Grundeigentum (allodium) mäch- 
tigen Herren ab, um es als Lehen zurückzu- 
empfangen (feudi oblatio). Anderseits verbesserte 
der Kriegsdienst und die ritterliche Lebensweise die 
Stellung ursprünglich unfreier Volksgenossen. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.