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Leihe zu betrachten. Man versöhnte sich um so
leichter mit dem Gedanken leihweisen Besitzes, als
ja auch der Kaiser nur Gottes Vassall war und so
der Lehnsdienst wie ein Gott geleisteter Dienst
angesehen wurde.
Der Vassall hat Schutzanspruch, Nutz= und
beschränktes Verfügungsrecht am Lehen. Er hat
die Pflicht zu Lehnstreue und Lehnsdienst (Heer-
und Hoffahrt, iter in expeditionem, curiam
potero). Der Besuch des Hoflagers war not-
wendig namentlich wegen der Verbindlichkeit, im
Lehnsgericht (Mannengericht) des Herrn zu er-
scheinen und als Lehnsschöffen bei der Entscheidung
von Lehnsstreitigkeiten mitzuwirken. Der Vassall
hat die Pflicht zur Lehnserneuerung (renovatio
investiturae), so oft in der herrschenden (Herrn-,
Thronfall) oder dienenden Hand (Mann-, Neben-,
Lehnfall) eine Veränderung vor sich geht. Das
Gesuch darum binnen Jahr und Tag hieß Mu-
tung, die regelmäßige Abgabe für Lehnserneuerung
Laudemium. Die Lehnserneuerung braucht nur
von einem unter mehreren Rechtsnachfolgern des
Herrn und noch im 13. Jahrh. nur an einen unter
mehreren Vassallenerben zu ergehen. Später kön-
nen die letzteren Belehnung zu gesamter Hand
verlangen. Gegen Kaiser und Reich (und gegen
einen andern Lehnsherrn des Mannes) sollte der
Herr den Mann nicht aufbieten. Bei Burglehen
trat Festungsdienst an Stelle des Reiterdienstes
im offenen Felde. Im Verhinderungsfalle muß
ein Vertreter gestellt oder Heersteuer (adoha) ent-
richtet werden, was auch mit Zustimmung des
Herrn geschehen kann. Die Heerfahrt ist auf
6 Wochen (auf eigene Kosten) festgesetzt; in ebenso-
viel Zeit vorher wie nachher genießt der Vassall
des Reiches Frieden und Waffenruhe. Er kann
da weder zu Reichsdiensten aufgeboten noch zum
Lehnsgericht geladen werden. Zur Reichsfahrt
mußte das Aufgebot ebenfalls sechs Wochen vor-
her erfolgen; der Römerzug aber sollte ein Jahr.
sechs Wochen und drei Tage vorher angesagt wer-
den, und die Dienstpflicht endete mit der Krönung
zu Rom. Wer auf den ronkalischen Feldern, wo#
das Heer auf italienischem Boden gemustert wurde,
nicht in rittermäßiger Rüstung erschien, verlor
sein Lehen. Im Gesetz war nach der Größe des
Lehens die Zahl der vollen Harnische und der
Schildknappen bestimmt. Jene Ortlichkeit liegt
bei Piacenza. Bei Piacenza ist der letzte bequeme
Ubergang über den Po. Dort vereinigten sich die
Straßen Piemonts und der Lombardei, die sich
in der Via Aemilia fortsetzen.
Der Lehnsmann hat das Recht auf die Nutzungen
des Gutes, welches er übrigens jederzeit auf-
geben kann, wodurch das Lehnsverhältnis gelöst
wird. Die Rechte des Herrn und der Umstand,
daß das Lehnsverhältnis ein dauerndes sein soll,
bringen es mit sich, daß keine Verschlechterung des
Lehnsgutes eintreten darf. Dies führt zu Be-
schränkungen hinsichtlich Belastung, Teilung und
Veräußerung. Der Grundsatz der successio ex
Lehnswesen.
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pacto et providentia maiorum ergibt, daß die
Lehnsfolger das Gut in demselben Zustande be-
anspruchen dürfen, wie es der primus acquirens
besaß. In der Regel sind nur die Früchte oder der
Ertrag des Lehens zur Bezahlung von Schulden
zu verwenden, weshalb unter Umständen namens
des Gläubigers sequestriert wird. Persönliche
Schulden haften nur auf dem Allodialvermögen
des Lehnsinhabers. Aus der Substanz des Gutes
zu zahlen (Lehnsschulden) sind nur aus besondern
rechtlichen Gründen zum Besten des Gutes, für
das Begräbnis usw. verwendete Summen oder
vom Herrn und den Agnaten anerkannte Schulden
(verwilligte Lehnsschulden).
Teilung des Lehens war im allgemeinen un-
zulässig. Solange der Kriegsdienst noch als Kern
des Lehnsverhältnisses galt, verbot sich eine Tei-
lung von selbst, nach dem älteren deutschen Lehn-
recht (Todteilung) wäre sie auch für die Vassallen-
familie gefährlich gewesen, da bei kinderlosem Ab-
gang eines Teilbesitzers dessen Lehen an den Lehns-
herrn fiel. Seitdem die Lehen erblich geworden,
kann der Vassall unter Beschränkungen auch ver-
äußern. Bei unerlaubten Veräußerungen hatten
Lehnsherr, Gesamtbelehnte, Agnaten, selbst Nach-
kommen des Veräußerers ein Vorkaufs= oder Re-
traktrecht. Sie konnten die Veräußerung wider-
rufen, sobald an sie die Reihe zum Besitz des
Lehens kam, außer wenn sie selbst oder ihre
zieieigte Aszendenten darin eingewilligt
atten.
Streng geordnet, durch testamentarische Ver-
fügung wenig veränderlich war die Erbfolge
in Lehen. Der Vassall kann dieselben nur auf seine
gesetzlichen Erben bringen und diese mittels letzten
Willens nicht ausschließen. Zur Erblichkeit kam
es für große Lehen unter Heinrich II. (100 2/24),
für kleine unter Konrad II. (1024/39), für die
Lehen der Ministerialen erst später. Bis Ende
des 11. Jahrh. wurde das Lehen nur lebensläng-
lich gegeben und empfangen. Doch gab es schon
im 9. Jahrh. Verträge, wodurch die Leihe über den
Herrn= oder Mannfall hinaus erlangt wurde, und
im 11. Jahrh. wird Erblehen technischer Aus-
druck. Aus dem Brauche, daß ein bisher Be-
lehnter den neuen Lehnsherrn um Wiederbelehnung
zu bitten pflegte und letztere nicht versagt wurde,
entwickelte sich das erwähnte Recht auf Lehns-
erneuerung. Auf dieselbe Art entstand beim Mann-
fall ein Erbrecht mit der Verpflichtung des Erben,
binnen Jahresfrist die Erneuerung des Lehens zu
muten. Mit dem militärischen Sinn des Lehns-
verhältnisses hing es zusammen, daß Frauen von
der Lehnsfolge ganz ausgeschlossen waren oder
(später) den männlichen Nachkommen des ersten
Erwerbers nachstanden. „Kein Weib hat Lehns-
hand“; „Lehen fallen nicht auf die Spindel“.
Selbst bei Weiber= (Schleier-, Kunkel-) Lehen
stritt die Vermutung dafür, daß dieselben nur,
sofern keine Verwandten im Mannesstamme vor-
handen sind, an Frauen gelangen können. Die