Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Leihe zu betrachten. Man versöhnte sich um so 
leichter mit dem Gedanken leihweisen Besitzes, als 
ja auch der Kaiser nur Gottes Vassall war und so 
der Lehnsdienst wie ein Gott geleisteter Dienst 
angesehen wurde. 
Der Vassall hat Schutzanspruch, Nutz= und 
beschränktes Verfügungsrecht am Lehen. Er hat 
die Pflicht zu Lehnstreue und Lehnsdienst (Heer- 
und Hoffahrt, iter in expeditionem, curiam 
potero). Der Besuch des Hoflagers war not- 
wendig namentlich wegen der Verbindlichkeit, im 
Lehnsgericht (Mannengericht) des Herrn zu er- 
scheinen und als Lehnsschöffen bei der Entscheidung 
von Lehnsstreitigkeiten mitzuwirken. Der Vassall 
hat die Pflicht zur Lehnserneuerung (renovatio 
investiturae), so oft in der herrschenden (Herrn-, 
Thronfall) oder dienenden Hand (Mann-, Neben-, 
Lehnfall) eine Veränderung vor sich geht. Das 
Gesuch darum binnen Jahr und Tag hieß Mu- 
tung, die regelmäßige Abgabe für Lehnserneuerung 
Laudemium. Die Lehnserneuerung braucht nur 
von einem unter mehreren Rechtsnachfolgern des 
Herrn und noch im 13. Jahrh. nur an einen unter 
mehreren Vassallenerben zu ergehen. Später kön- 
nen die letzteren Belehnung zu gesamter Hand 
verlangen. Gegen Kaiser und Reich (und gegen 
einen andern Lehnsherrn des Mannes) sollte der 
Herr den Mann nicht aufbieten. Bei Burglehen 
trat Festungsdienst an Stelle des Reiterdienstes 
im offenen Felde. Im Verhinderungsfalle muß 
ein Vertreter gestellt oder Heersteuer (adoha) ent- 
richtet werden, was auch mit Zustimmung des 
Herrn geschehen kann. Die Heerfahrt ist auf 
6 Wochen (auf eigene Kosten) festgesetzt; in ebenso- 
viel Zeit vorher wie nachher genießt der Vassall 
des Reiches Frieden und Waffenruhe. Er kann 
da weder zu Reichsdiensten aufgeboten noch zum 
Lehnsgericht geladen werden. Zur Reichsfahrt 
mußte das Aufgebot ebenfalls sechs Wochen vor- 
her erfolgen; der Römerzug aber sollte ein Jahr. 
sechs Wochen und drei Tage vorher angesagt wer- 
den, und die Dienstpflicht endete mit der Krönung 
zu Rom. Wer auf den ronkalischen Feldern, wo# 
das Heer auf italienischem Boden gemustert wurde, 
nicht in rittermäßiger Rüstung erschien, verlor 
sein Lehen. Im Gesetz war nach der Größe des 
Lehens die Zahl der vollen Harnische und der 
Schildknappen bestimmt. Jene Ortlichkeit liegt 
bei Piacenza. Bei Piacenza ist der letzte bequeme 
Ubergang über den Po. Dort vereinigten sich die 
Straßen Piemonts und der Lombardei, die sich 
in der Via Aemilia fortsetzen. 
Der Lehnsmann hat das Recht auf die Nutzungen 
des Gutes, welches er übrigens jederzeit auf- 
geben kann, wodurch das Lehnsverhältnis gelöst 
wird. Die Rechte des Herrn und der Umstand, 
daß das Lehnsverhältnis ein dauerndes sein soll, 
bringen es mit sich, daß keine Verschlechterung des 
Lehnsgutes eintreten darf. Dies führt zu Be- 
schränkungen hinsichtlich Belastung, Teilung und 
Veräußerung. Der Grundsatz der successio ex 
Lehnswesen. 
  
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pacto et providentia maiorum ergibt, daß die 
Lehnsfolger das Gut in demselben Zustande be- 
anspruchen dürfen, wie es der primus acquirens 
besaß. In der Regel sind nur die Früchte oder der 
Ertrag des Lehens zur Bezahlung von Schulden 
zu verwenden, weshalb unter Umständen namens 
des Gläubigers sequestriert wird. Persönliche 
Schulden haften nur auf dem Allodialvermögen 
des Lehnsinhabers. Aus der Substanz des Gutes 
zu zahlen (Lehnsschulden) sind nur aus besondern 
rechtlichen Gründen zum Besten des Gutes, für 
das Begräbnis usw. verwendete Summen oder 
vom Herrn und den Agnaten anerkannte Schulden 
(verwilligte Lehnsschulden). 
Teilung des Lehens war im allgemeinen un- 
zulässig. Solange der Kriegsdienst noch als Kern 
des Lehnsverhältnisses galt, verbot sich eine Tei- 
lung von selbst, nach dem älteren deutschen Lehn- 
recht (Todteilung) wäre sie auch für die Vassallen- 
familie gefährlich gewesen, da bei kinderlosem Ab- 
gang eines Teilbesitzers dessen Lehen an den Lehns- 
herrn fiel. Seitdem die Lehen erblich geworden, 
kann der Vassall unter Beschränkungen auch ver- 
äußern. Bei unerlaubten Veräußerungen hatten 
Lehnsherr, Gesamtbelehnte, Agnaten, selbst Nach- 
kommen des Veräußerers ein Vorkaufs= oder Re- 
traktrecht. Sie konnten die Veräußerung wider- 
rufen, sobald an sie die Reihe zum Besitz des 
Lehens kam, außer wenn sie selbst oder ihre 
zieieigte Aszendenten darin eingewilligt 
atten. 
Streng geordnet, durch testamentarische Ver- 
fügung wenig veränderlich war die Erbfolge 
in Lehen. Der Vassall kann dieselben nur auf seine 
gesetzlichen Erben bringen und diese mittels letzten 
Willens nicht ausschließen. Zur Erblichkeit kam 
es für große Lehen unter Heinrich II. (100 2/24), 
für kleine unter Konrad II. (1024/39), für die 
Lehen der Ministerialen erst später. Bis Ende 
des 11. Jahrh. wurde das Lehen nur lebensläng- 
lich gegeben und empfangen. Doch gab es schon 
im 9. Jahrh. Verträge, wodurch die Leihe über den 
Herrn= oder Mannfall hinaus erlangt wurde, und 
im 11. Jahrh. wird Erblehen technischer Aus- 
druck. Aus dem Brauche, daß ein bisher Be- 
lehnter den neuen Lehnsherrn um Wiederbelehnung 
zu bitten pflegte und letztere nicht versagt wurde, 
entwickelte sich das erwähnte Recht auf Lehns- 
erneuerung. Auf dieselbe Art entstand beim Mann- 
fall ein Erbrecht mit der Verpflichtung des Erben, 
binnen Jahresfrist die Erneuerung des Lehens zu 
muten. Mit dem militärischen Sinn des Lehns- 
verhältnisses hing es zusammen, daß Frauen von 
der Lehnsfolge ganz ausgeschlossen waren oder 
(später) den männlichen Nachkommen des ersten 
Erwerbers nachstanden. „Kein Weib hat Lehns- 
hand“; „Lehen fallen nicht auf die Spindel“. 
Selbst bei Weiber= (Schleier-, Kunkel-) Lehen 
stritt die Vermutung dafür, daß dieselben nur, 
sofern keine Verwandten im Mannesstamme vor- 
handen sind, an Frauen gelangen können. Die
	        
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