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Erben müssen dem Erblasser ebenbürtig und kör-
perlich geeignet sein.
Von mehreren Lehnserben ist der Herr nur
einen zu belehnen verpflichtet, ein Satz, woraus
sich die Primogeniturfolge in Lehen entwickelte.
Ursprünglich mag das Zusammenbleiben die Regel
gewesen sein. Manchmal war bei solchen ritter-
schaftlichen Ganerbschaften aus Rücksicht auf das
Familieninteresse auf Grund besonderer Verträge
die Teilungsklage ausgeschlossen. Später nahmen
wohl die Gesamthänder, statt gemeinsamer Wirt-
schaft, Verteilung (Mutschierung, Orterung) der
gemeinsam erhobenen Früchte und Einräumungen
besonderer Wohnungen vor. Die mehreren Erben
dürfen aber das Gut nicht beliebig teilen. Seit
dem 14. Jahrh. kam Belehnung zu gesamter Hand
aus, wobei einer als Lehnsträger aufgestellt wird.
Nach langobardischem Lehnrecht fand Teilung mit
Sukzessionsrecht der Linien statt. Während bei
der Primogenitur der Vorzug der Geburt und der
Linie das Recht zum Eintritt in die Sukzession
bestimmt, ist Sekundogenitur die Anordnung, in
welcher der Stifter seinen zweitgebornen Sohn
zur Sukzession in ein bestimmtes Lehen beruft.
Ist der Lehnserbe unmündig, so tritt Lehnsvor-
mundschaft ein, d. h. der Herr bezieht, bis der
Lehnemann zu seinen Jahren kommt, die Nutz-
nießung des Lehens (Angefälle).
Das Lehnsverhältnis endet, wenn Ober-
eigentum und Nutzeigentum in ein und derselben
Person zusammentrifft (Konsolidation), oder wenn
der Vassall das Obereigentum an sich bringt (Ap-
propriation). Die Veranlassung zum Heimfall
kann sein: Felonie, Absterben aller Abkömmlinge
und Mitbelehnten, Ersitzung des nutzbaren Eigen-
tums, Refutation des Vassallen. Im Lehns-
gericht wurde das Finden des Rechts durch die
Genossen besorgt. Vor dem Lehnsgericht, welches
der Herr mit seinen Mannen als Beisitzern ab-
hielt, wurden Handlungen freiwilliger Gerichts-
barkeit vorgenommen und Lehnsstreitigkeiten ent-
schieden.
III. Staatsrechkliche Bedeutung des LTehn-
rechts; Verhältnis zu andern Rechtsgebieten.
Im Lehnswesen war nicht nur der Gegensatz von frei
und unfrei überbrückt, es waren auch mit ihm die
Grundsätze einer neuen gesellschaftlichen Ordnung
gegeben, es war der wichtigste Bestandteil der
öffentlichen Rechtsordnung geworden. Auf der
fortlaufenden Kette zusammenhängender Lehns-
verbindungen, vermöge deren es geschah, daß der
Vassall des einen zugleich Lehnsherr des andern
(Aftervassallen) war, beruhte eine Einteilung der
Personen, die unter dem Namen Heerschildord-
nung bekannt ist und die Stufen der Lehnsver-
bindung anzeigt. Heerschild ist das Standesrecht
der Rittermäßigen. Nur wer zum ordo militaris
gehört, ist lehnsfähig. Heerschild hieß auch die
Klasse innerhalb des durch das Lehnrecht begrün-
deten Standes. Auf die Stufe wirkte die Stellung
im Lehnsnexus ein. Niemand durfte seines Ge-
Lehnswesen.
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nossen oder Untergenossen Lehnsmann sein, ein
solcher fiel in den nächstniederen Schild. Die ur-
sprüngliche Heerschildordnung umfaßte nur drei
Stufen: den König (princeps), die Fürsten (capi-
tanei) und die freien Herren (regis valvassores).
Durch Aufstaffelung weiterer Aftervassallitäten, ins-
besondere aber durch Einfügung der Ministerialen
und ihrer eventuellen Mannen stieg die Zahl der
Heerschilde auf sechs bis sieben. Eike v. Repgow,
der Verfasser des Sachsenspiegels, hat sie, soweit
nachweislich, zuerst in ein System gebracht. Den
ersten Heerschild hat der König, da er ist der oberste
Lehnsherr. Die vom Reiche belehnten geistlichen
Fürsten hatten den zweiten, die weltlichen, weil
sie der geistlichen Fürsten Mannen geworden sind,
den dritten; die freien Herren den vierten, die
Schöffenbarfreien und die Mannen der freien
Herren den fünften; den sechsten die Mannen der
Inhaber des fünften Schildes; der siebte Schild
bleibt im Sachsenspiegel unbenannt. Nach dem
Schwabenspiegel stehen im vierten Heerschilde die
Hochfreien, im fünften die Mittelfreien, im sechsten
die Ministerialen, im siebten alle übrigen ritter-
mäßigen Leute. Seit dem 14. Jahrh. gerieten
die Heerschildregeln in Vergessenheit. Für den
militärischen Grad hatten sie durch den Zerfall
des Lehnsheeres ihre Bedeutung eingebüßt, für
den Verkehr mit Lehnsgütern wurden sie als lästige
Schranke umgangen und schließlich beseitigt.
Eine der wichtigsten Fragen des mittelalterlichen
Staatsrechts ist die der Einfügung der geistlichen
Reichsfürsten in den Lehnsverband zum Könige.
Von ihrer vorurteilslosen Würdigung hängt das
Verständnis des 50jährigen Investiturstreites ab.
Die Bischöfe und die Abte der großen fränkischen
Klöster gehörten von Anfang an zu den Beratern
der Krone, wurden seit Ausbildung des Fürsten-
standes diesem zugerechnet, mußten seit Karl
Martell Kirchenland zur Ausstattung königlicher
Vassallen leisten und trugen, wie wir sahen, seit
Bildung des vassallitischen Reiterheeres die Haupt-
heereslast in Gestalt der von ihnen dem Könige
geleisteten Kontingente an Vassallen und Mini-
sterialen. Gleichwohl waren sie von Anfang weder
Heerführer noch Vassallen des Königs. Allein der
theokratische Charakterzug des karolingischen Rei-
ches gab dem Könige den maßgebendsten Einfluß
auf die Besetzung der Bistümer und Abteien. In
steigendem Maße wurde die alte kanonische Wahl
durch das königliche Besetzungsrecht beseitigt oder,
was viel häufiger geschah, auf ein Scheinrecht herab-
gedrückt. Als Symbol der Verleihung dieser höhe-
ren Kirchenämter diente zunächst vereinzelt, seit
dem 11. Jahrh. ganz allgemein der Hirtenstab des
Bischofs, seit Heinrich III. trat der Ring hinzu.
Die Tatsache der Ausstattung der Bistümer und
Abteien mit königlichem Grundbesitz, ihre zu-
nehmende Entwicklung zu großen, machtvollen
Grundherrschaften, die Verleihung der königlichen
Immunität und zahlreicher anderer Hoheitsrechte
seitens des Königs, die in der Ubertragung ganzer