Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

763 
Erben müssen dem Erblasser ebenbürtig und kör- 
perlich geeignet sein. 
Von mehreren Lehnserben ist der Herr nur 
einen zu belehnen verpflichtet, ein Satz, woraus 
sich die Primogeniturfolge in Lehen entwickelte. 
Ursprünglich mag das Zusammenbleiben die Regel 
gewesen sein. Manchmal war bei solchen ritter- 
schaftlichen Ganerbschaften aus Rücksicht auf das 
Familieninteresse auf Grund besonderer Verträge 
die Teilungsklage ausgeschlossen. Später nahmen 
wohl die Gesamthänder, statt gemeinsamer Wirt- 
schaft, Verteilung (Mutschierung, Orterung) der 
gemeinsam erhobenen Früchte und Einräumungen 
besonderer Wohnungen vor. Die mehreren Erben 
dürfen aber das Gut nicht beliebig teilen. Seit 
dem 14. Jahrh. kam Belehnung zu gesamter Hand 
aus, wobei einer als Lehnsträger aufgestellt wird. 
Nach langobardischem Lehnrecht fand Teilung mit 
Sukzessionsrecht der Linien statt. Während bei 
der Primogenitur der Vorzug der Geburt und der 
Linie das Recht zum Eintritt in die Sukzession 
bestimmt, ist Sekundogenitur die Anordnung, in 
welcher der Stifter seinen zweitgebornen Sohn 
zur Sukzession in ein bestimmtes Lehen beruft. 
Ist der Lehnserbe unmündig, so tritt Lehnsvor- 
mundschaft ein, d. h. der Herr bezieht, bis der 
Lehnemann zu seinen Jahren kommt, die Nutz- 
nießung des Lehens (Angefälle). 
Das Lehnsverhältnis endet, wenn Ober- 
eigentum und Nutzeigentum in ein und derselben 
Person zusammentrifft (Konsolidation), oder wenn 
der Vassall das Obereigentum an sich bringt (Ap- 
propriation). Die Veranlassung zum Heimfall 
kann sein: Felonie, Absterben aller Abkömmlinge 
und Mitbelehnten, Ersitzung des nutzbaren Eigen- 
tums, Refutation des Vassallen. Im Lehns- 
gericht wurde das Finden des Rechts durch die 
Genossen besorgt. Vor dem Lehnsgericht, welches 
der Herr mit seinen Mannen als Beisitzern ab- 
hielt, wurden Handlungen freiwilliger Gerichts- 
barkeit vorgenommen und Lehnsstreitigkeiten ent- 
schieden. 
III. Staatsrechkliche Bedeutung des LTehn- 
rechts; Verhältnis zu andern Rechtsgebieten. 
Im Lehnswesen war nicht nur der Gegensatz von frei 
und unfrei überbrückt, es waren auch mit ihm die 
Grundsätze einer neuen gesellschaftlichen Ordnung 
gegeben, es war der wichtigste Bestandteil der 
öffentlichen Rechtsordnung geworden. Auf der 
fortlaufenden Kette zusammenhängender Lehns- 
verbindungen, vermöge deren es geschah, daß der 
Vassall des einen zugleich Lehnsherr des andern 
(Aftervassallen) war, beruhte eine Einteilung der 
Personen, die unter dem Namen Heerschildord- 
nung bekannt ist und die Stufen der Lehnsver- 
bindung anzeigt. Heerschild ist das Standesrecht 
der Rittermäßigen. Nur wer zum ordo militaris 
gehört, ist lehnsfähig. Heerschild hieß auch die 
Klasse innerhalb des durch das Lehnrecht begrün- 
deten Standes. Auf die Stufe wirkte die Stellung 
im Lehnsnexus ein. Niemand durfte seines Ge- 
Lehnswesen. 
  
764 
nossen oder Untergenossen Lehnsmann sein, ein 
solcher fiel in den nächstniederen Schild. Die ur- 
sprüngliche Heerschildordnung umfaßte nur drei 
Stufen: den König (princeps), die Fürsten (capi- 
tanei) und die freien Herren (regis valvassores). 
Durch Aufstaffelung weiterer Aftervassallitäten, ins- 
besondere aber durch Einfügung der Ministerialen 
und ihrer eventuellen Mannen stieg die Zahl der 
Heerschilde auf sechs bis sieben. Eike v. Repgow, 
der Verfasser des Sachsenspiegels, hat sie, soweit 
nachweislich, zuerst in ein System gebracht. Den 
ersten Heerschild hat der König, da er ist der oberste 
Lehnsherr. Die vom Reiche belehnten geistlichen 
Fürsten hatten den zweiten, die weltlichen, weil 
sie der geistlichen Fürsten Mannen geworden sind, 
den dritten; die freien Herren den vierten, die 
Schöffenbarfreien und die Mannen der freien 
Herren den fünften; den sechsten die Mannen der 
Inhaber des fünften Schildes; der siebte Schild 
bleibt im Sachsenspiegel unbenannt. Nach dem 
Schwabenspiegel stehen im vierten Heerschilde die 
Hochfreien, im fünften die Mittelfreien, im sechsten 
die Ministerialen, im siebten alle übrigen ritter- 
mäßigen Leute. Seit dem 14. Jahrh. gerieten 
die Heerschildregeln in Vergessenheit. Für den 
militärischen Grad hatten sie durch den Zerfall 
des Lehnsheeres ihre Bedeutung eingebüßt, für 
den Verkehr mit Lehnsgütern wurden sie als lästige 
Schranke umgangen und schließlich beseitigt. 
Eine der wichtigsten Fragen des mittelalterlichen 
Staatsrechts ist die der Einfügung der geistlichen 
Reichsfürsten in den Lehnsverband zum Könige. 
Von ihrer vorurteilslosen Würdigung hängt das 
Verständnis des 50jährigen Investiturstreites ab. 
Die Bischöfe und die Abte der großen fränkischen 
Klöster gehörten von Anfang an zu den Beratern 
der Krone, wurden seit Ausbildung des Fürsten- 
standes diesem zugerechnet, mußten seit Karl 
Martell Kirchenland zur Ausstattung königlicher 
Vassallen leisten und trugen, wie wir sahen, seit 
Bildung des vassallitischen Reiterheeres die Haupt- 
heereslast in Gestalt der von ihnen dem Könige 
geleisteten Kontingente an Vassallen und Mini- 
sterialen. Gleichwohl waren sie von Anfang weder 
Heerführer noch Vassallen des Königs. Allein der 
theokratische Charakterzug des karolingischen Rei- 
ches gab dem Könige den maßgebendsten Einfluß 
auf die Besetzung der Bistümer und Abteien. In 
steigendem Maße wurde die alte kanonische Wahl 
durch das königliche Besetzungsrecht beseitigt oder, 
was viel häufiger geschah, auf ein Scheinrecht herab- 
gedrückt. Als Symbol der Verleihung dieser höhe- 
ren Kirchenämter diente zunächst vereinzelt, seit 
dem 11. Jahrh. ganz allgemein der Hirtenstab des 
Bischofs, seit Heinrich III. trat der Ring hinzu. 
Die Tatsache der Ausstattung der Bistümer und 
Abteien mit königlichem Grundbesitz, ihre zu- 
nehmende Entwicklung zu großen, machtvollen 
Grundherrschaften, die Verleihung der königlichen 
Immunität und zahlreicher anderer Hoheitsrechte 
seitens des Königs, die in der Ubertragung ganzer
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.