Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

765 
Grasschaften und schließlich sogar Herzogtümer 
ihre Höhepunkte fand, ließen in der Vorstellung 
der Zeit die Beziehung des Königs zu den Bi- 
schöfen und Abten als Eigenkirchenherrschaft der 
Krone über die betreffenden Kirchen, nach dem 
älteren Vorgange des grundherrlichen Eigenkirchen- 
wesens, erscheinen. Bistümer und Abteien waren 
zu Reichskirchen geworden. Zwischen der Über- 
lmwiagung des kirchlichen Amtes und jener weltlichen 
Ausstattung der Bistümer und Abteien wurde in 
der Zeit des anerkannten königlichen Besetzungs- 
rechts nicht unterschieden, die kirchliche Konsekra- 
tion war zu einer Zeremonie ohne rechtliche Be- 
deutung geworden. Gegen diese Verweltlichung der 
Investitur in die Kirchenämter wandte sich die kirch- 
liche Reformbewegung des 11. Jahrhunderts. Der 
Investiturstreit, dessen Verlauf als bekannt gelten 
kann, führte mit seiner reichen Publizistik an Flug- 
schriften und Traktaten zu einer Klärung der An- 
schauungen. Man lernte zwischen der Ausstattung 
der Kirche mit weltlichen Gütern und Hoheits- 
rechten einerseits und zwischen dem Kirchenamt und 
dem unmittelbaren kirchlichen Vermögen (den sog. 
heiligen Sachen) anderseits unterscheiden. Das 
Wormser Konkordat überließ die kirchlichen In- 
bestitursymbole von Ring und Stab dem kirchlichen 
Konsekrationsakt, anerkannte das kanonische Wahl- 
recht der nach Kirchenrecht berufenen Wähler und 
gab dem Könige das Recht der Belehnung in die 
Regalien mittels des aus dem weltlichen Rechte 
entnommenen Zepters. Seitdem nannte man die 
geistlichen Fürstentümer Zepterlehen, eine Be- 
zeichnung, die seit dem 15. Jahrh. wieder ver- 
schwand. Das deutsche Staatsrecht kannte seither 
nur noch Fürstenlehen schlechthin. Die volle Ein- 
fügung der geistlichen Reichsfürsten in den Lehns- 
verband wurde übrigens durch den seit dem 
10. Jahrh. nachweisbaren Mannschaftsschwur be- 
wirkt, den nach dem Verfall der allgemeinen karo- 
lingischen Huldigungspflicht auch die geistlichen 
Herren dem Könige schwuren. 
Mit dem Lehnrecht zeigten auch der bäuer- 
liche Grundbesitz und die städtisch--gewerbliche 
Ordnung verwandte Züge. Das Hofrecht der 
Gutsuntertanen hatte sich dem Lehnrecht ähnlich 
entwickelt. Das Wort Lehen diente in der Land- 
zuteilung der Grundherrschaften an ihre Hörigen 
und Hintersassen vielfach im Sinne der alten Be- 
zeichnung Hube, Hufe, Mansus als Ausdruck der 
bäuerlichen Wirtschaftseinheit. Der Unterschied 
gegenüber dem alten Lehen bestand in der Gegen- 
leistung. Das rechte Lehen zeichnete sich aus durch 
die ehrenvolle Natur desselben, den Ritterdienst 
und durch das Refutationsrecht, da der Vassall 
unter Aufgabe des Lehens das Verhältnis kündigen 
durfte. Dagegen war der Zins eine bäuerliche, 
unritterliche Leistung. Der Gegensatz war kein 
unvermittelter; es gab Übergänge. 
Auch in den Städten hatte der Leihegedanke 
wichtige Funktionen zu erfüllen. Er begegnet hier 
als Bodenleihe zu Zinsrecht, zunächst auf Lebens- 
Lehnswesen. 
  
766 
zeit des Berechtigten, später allgemein als Erb- 
leihe. Dieser Ableger der niederen fränkischen 
Prekarie bot in den Jahren des mächtigen An- 
wachsens der städtischen Bevölkerung den Zu- 
ziehenden, soweit es ihnen nicht gelang, freies 
Grundeigentum zu erwerben, die Rechtsform für 
dauernd gesicherten Aufenthalt in der Stadt. Erst 
allmählich kam daneben die Miete als eine un- 
gleich freiere, aber darum auch weniger sichere 
städtische Siedlungsform auf. In einer jüngeren 
Periode der Städtegründung, etwa seit dem Be- 
ginn des 12. Jahrh. (erstes Beispiel Freiburg 
i. Br. 1120), verliehen die Stadtgründer den 
Anziehenden nach einheitlichem Schema und Zins- 
betrag die Baustellen, auf denen sie ihre städti- 
schen Wohnhäuser erbauen konnten; das war eine 
Leiheform, die das alte Bodeneigentum des Grün- 
ders zum Ausdruck brachte, durch ihre Gleich- 
förmigkeit aber früh den Charakter einer öffent- 
lichen Grundsteuer annahm (sog. Gründerleihe, im 
Norden Leihe gegen Wortzins oder Weichbild, im 
Süden Leihe zu Marktrecht oder Burgrecht genannt). 
IV. Perfall. Wohl am frühesten verfiel das 
Lehnswesen in Italien. Der ritterbürtige Adel 
flüchtete sich vor den mächtigen Herzogen und 
Markgrafen in die Stadt. Mit den kaufmänni- 
schen Bestrebungen, welche die Städte groß mach- 
ten, verlor sich das Rittertum der adligen Patrizier. 
Außerdem benutzten die Städte die so folgenreichen 
Zwistigkeiten der Kaiser mit den Päpsten und der 
Kaiser mit den Vassallen und arbeiteten auch be- 
wußt dem Lehnswesen entgegen. Entsprechend dem 
eingeschlagenen Wirtschaftsgange breitete sich das 
Söldnertum aus. Eine der frühesten Söldner- 
scharen waren die spanischen Almovaren, die Peter 
von Aragon 1282 nach Italien geführt hatte. Zu 
großer Bedeutung gelangten die Söldnerführer 
des Quattrocento, die capitani di ventura. 
Auch bei den mit Lehnsfragen zusammenhän- 
genden englisch-französischen Kriegen war die 
Unterstützung durch die deutschen (niederländischen) 
Großen von Wichtigkeit. Man einigte sich in 
Soldverträgen, die auf herkömmliche Bedingungen 
der Lehnsverpflichtungen (Kammerlehen) geschlos- 
sen waren. So gab Heinrich I. von England dem 
Grafen von Flandern 400 M Silber zu Lehen, 
daß er ihm gegen diese jährlich auszuzahlende 
Summe 500 Krieger schicke. Umgekehrt soll be- 
reits Heinrich II. von England um 1160 Ab- 
lösung des Dienstes seiner Vassallen verlangt haben, 
um dafür Söldner aufzunehmen. — In Frank- 
reich trachtete die auf die Bürger der Städte ge- 
stützte Zentralgewalt mit Erfolg nach Vereinigung 
der großen Lehen mit der Krone. 
Die Bevorzugung der Söldner hängt mit 
der Verlängerung der Kriege seit Schwächung des 
Kaisertums zusammen. Die geworbenen, noch 
mehr die ständigen Söldner pochten nicht auf das 
Recht der Lehnsleute, nach Umlauf der für den 
Lehnsdienst festgesetzten Zeit beurlaubt zu werden, 
sie gehorchten willenlos.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.