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Grasschaften und schließlich sogar Herzogtümer
ihre Höhepunkte fand, ließen in der Vorstellung
der Zeit die Beziehung des Königs zu den Bi-
schöfen und Abten als Eigenkirchenherrschaft der
Krone über die betreffenden Kirchen, nach dem
älteren Vorgange des grundherrlichen Eigenkirchen-
wesens, erscheinen. Bistümer und Abteien waren
zu Reichskirchen geworden. Zwischen der Über-
lmwiagung des kirchlichen Amtes und jener weltlichen
Ausstattung der Bistümer und Abteien wurde in
der Zeit des anerkannten königlichen Besetzungs-
rechts nicht unterschieden, die kirchliche Konsekra-
tion war zu einer Zeremonie ohne rechtliche Be-
deutung geworden. Gegen diese Verweltlichung der
Investitur in die Kirchenämter wandte sich die kirch-
liche Reformbewegung des 11. Jahrhunderts. Der
Investiturstreit, dessen Verlauf als bekannt gelten
kann, führte mit seiner reichen Publizistik an Flug-
schriften und Traktaten zu einer Klärung der An-
schauungen. Man lernte zwischen der Ausstattung
der Kirche mit weltlichen Gütern und Hoheits-
rechten einerseits und zwischen dem Kirchenamt und
dem unmittelbaren kirchlichen Vermögen (den sog.
heiligen Sachen) anderseits unterscheiden. Das
Wormser Konkordat überließ die kirchlichen In-
bestitursymbole von Ring und Stab dem kirchlichen
Konsekrationsakt, anerkannte das kanonische Wahl-
recht der nach Kirchenrecht berufenen Wähler und
gab dem Könige das Recht der Belehnung in die
Regalien mittels des aus dem weltlichen Rechte
entnommenen Zepters. Seitdem nannte man die
geistlichen Fürstentümer Zepterlehen, eine Be-
zeichnung, die seit dem 15. Jahrh. wieder ver-
schwand. Das deutsche Staatsrecht kannte seither
nur noch Fürstenlehen schlechthin. Die volle Ein-
fügung der geistlichen Reichsfürsten in den Lehns-
verband wurde übrigens durch den seit dem
10. Jahrh. nachweisbaren Mannschaftsschwur be-
wirkt, den nach dem Verfall der allgemeinen karo-
lingischen Huldigungspflicht auch die geistlichen
Herren dem Könige schwuren.
Mit dem Lehnrecht zeigten auch der bäuer-
liche Grundbesitz und die städtisch--gewerbliche
Ordnung verwandte Züge. Das Hofrecht der
Gutsuntertanen hatte sich dem Lehnrecht ähnlich
entwickelt. Das Wort Lehen diente in der Land-
zuteilung der Grundherrschaften an ihre Hörigen
und Hintersassen vielfach im Sinne der alten Be-
zeichnung Hube, Hufe, Mansus als Ausdruck der
bäuerlichen Wirtschaftseinheit. Der Unterschied
gegenüber dem alten Lehen bestand in der Gegen-
leistung. Das rechte Lehen zeichnete sich aus durch
die ehrenvolle Natur desselben, den Ritterdienst
und durch das Refutationsrecht, da der Vassall
unter Aufgabe des Lehens das Verhältnis kündigen
durfte. Dagegen war der Zins eine bäuerliche,
unritterliche Leistung. Der Gegensatz war kein
unvermittelter; es gab Übergänge.
Auch in den Städten hatte der Leihegedanke
wichtige Funktionen zu erfüllen. Er begegnet hier
als Bodenleihe zu Zinsrecht, zunächst auf Lebens-
Lehnswesen.
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zeit des Berechtigten, später allgemein als Erb-
leihe. Dieser Ableger der niederen fränkischen
Prekarie bot in den Jahren des mächtigen An-
wachsens der städtischen Bevölkerung den Zu-
ziehenden, soweit es ihnen nicht gelang, freies
Grundeigentum zu erwerben, die Rechtsform für
dauernd gesicherten Aufenthalt in der Stadt. Erst
allmählich kam daneben die Miete als eine un-
gleich freiere, aber darum auch weniger sichere
städtische Siedlungsform auf. In einer jüngeren
Periode der Städtegründung, etwa seit dem Be-
ginn des 12. Jahrh. (erstes Beispiel Freiburg
i. Br. 1120), verliehen die Stadtgründer den
Anziehenden nach einheitlichem Schema und Zins-
betrag die Baustellen, auf denen sie ihre städti-
schen Wohnhäuser erbauen konnten; das war eine
Leiheform, die das alte Bodeneigentum des Grün-
ders zum Ausdruck brachte, durch ihre Gleich-
förmigkeit aber früh den Charakter einer öffent-
lichen Grundsteuer annahm (sog. Gründerleihe, im
Norden Leihe gegen Wortzins oder Weichbild, im
Süden Leihe zu Marktrecht oder Burgrecht genannt).
IV. Perfall. Wohl am frühesten verfiel das
Lehnswesen in Italien. Der ritterbürtige Adel
flüchtete sich vor den mächtigen Herzogen und
Markgrafen in die Stadt. Mit den kaufmänni-
schen Bestrebungen, welche die Städte groß mach-
ten, verlor sich das Rittertum der adligen Patrizier.
Außerdem benutzten die Städte die so folgenreichen
Zwistigkeiten der Kaiser mit den Päpsten und der
Kaiser mit den Vassallen und arbeiteten auch be-
wußt dem Lehnswesen entgegen. Entsprechend dem
eingeschlagenen Wirtschaftsgange breitete sich das
Söldnertum aus. Eine der frühesten Söldner-
scharen waren die spanischen Almovaren, die Peter
von Aragon 1282 nach Italien geführt hatte. Zu
großer Bedeutung gelangten die Söldnerführer
des Quattrocento, die capitani di ventura.
Auch bei den mit Lehnsfragen zusammenhän-
genden englisch-französischen Kriegen war die
Unterstützung durch die deutschen (niederländischen)
Großen von Wichtigkeit. Man einigte sich in
Soldverträgen, die auf herkömmliche Bedingungen
der Lehnsverpflichtungen (Kammerlehen) geschlos-
sen waren. So gab Heinrich I. von England dem
Grafen von Flandern 400 M Silber zu Lehen,
daß er ihm gegen diese jährlich auszuzahlende
Summe 500 Krieger schicke. Umgekehrt soll be-
reits Heinrich II. von England um 1160 Ab-
lösung des Dienstes seiner Vassallen verlangt haben,
um dafür Söldner aufzunehmen. — In Frank-
reich trachtete die auf die Bürger der Städte ge-
stützte Zentralgewalt mit Erfolg nach Vereinigung
der großen Lehen mit der Krone.
Die Bevorzugung der Söldner hängt mit
der Verlängerung der Kriege seit Schwächung des
Kaisertums zusammen. Die geworbenen, noch
mehr die ständigen Söldner pochten nicht auf das
Recht der Lehnsleute, nach Umlauf der für den
Lehnsdienst festgesetzten Zeit beurlaubt zu werden,
sie gehorchten willenlos.