Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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herrn, der nur geringen, zerstreuten Hufenbesitz 
hatte, der Großgrundbesitzer. 
Die Abnahme der Bedeutung des Lehnrechts 
war von innern Veränderungen des- 
selben begleitet. Die Lehen wurden immer eigen- 
tumsähnlicher, die persönlichen Dienste immer 
seltener, die Vererbungs= und Veräußerungsrechte 
immer größer. Es bestand zwar auch, nachdem 
der Ritterstand aus einem Berufe ein reiner Ge- 
burtsstand geworden war, die Verpflichtung zu 
Treue noch fort, allein die Verwandlung der Lehns- 
pflicht in Abgaben wurde immer häufiger, und die 
Kriegsdienste (servitia militaria) wurden immer 
seltener geleistet. Ende des 17. Jahrh. war die 
Adäration, d. h. die Entrichtung einer als Ersatz 
für die Lehnsdienste zu betrachtenden Geldleistung 
(Ritterpferdgelder, Rittersteuer) die Regel, wenn 
auch noch im 18. Jahrh. (in Hessen 1794) Lehns- 
aufgebote vorkamen. So ging die Lehnstreue in 
die Pflicht zur Leistung einer bestimmten Geld- 
abgabe (Lehnskanon) über, nahm also die Gestalt 
einer Abgabenpflicht an, wie es die Pflicht des 
Hörigen, von gewissen Grundstücken erblich Zins 
zu entrichten, von je gewesen war, und verlor sich 
damit in der allgemeinen Untertanschaft. Die 
Verpflichtung der Vassallen, im Lehnsgericht des 
Herrn zu erscheinen und als Lehnsschöffen bei 
Entscheidung von Lehnsstreitigkeiten mitzuwirken, 
hatte mit der Errichtung stehender Lehnshöfe 
aufgehört. 
Mit der Abnahme des persönlichen Dienstes 
schwand auch die Bevorzugung des Manns- 
stammes und die beschränkte Erbfolge. Der wirt- 
chaftliche Vorteil, zu dem nach und nach das 
Lehen geworden war, erschien wie ein auch ganz 
entsernten Verwandten zuzuwendendes Gut. Die 
Zahl der Weiberlehen hatte sich vermehrt, und 
Staatsverlegenheiten trugen dazu bei, die Vas- 
sallenrechte (durch Lehnsgnaden) zu vermehren und 
immer mehr Heimfallsrechte aus der Hand zu 
geben. Mit Einwilligung des Herrn, der lehns- 
folgefähigen Agnaten und Mitbelehnten war die 
Veräußerung freigegeben. 
V. Ende und Beurkeilung. Schon vor der 
französischen Revolution kamen Lehnsallodi- 
fikationen (Eigentumsübertragungen an die 
Vassallen) vor. So wurden in Brandenburg 
1717 die niederen-Lehen „vor allodiret“ erklärt 
und der nexus feudalis gegen gewisse Jahres- 
kognitionen (das Ritterpferd zu 40 Talern) auf- 
gehoben. Die altmärkische Ritterschaft remon- 
strierte gegen die Verwandlung der Lehnspferde 
in Jahresrenten für das stehende Heer, weil die 
Lehen auch des Kaisers und des Reiches Lehen 
seien. In Osterreich beschäftigte sich ein Josephi- 
nisches Hofdekret vom 23. Nov. 1786 mit der 
Allodialisierung der Lehen gegen Zahlung von je 
nach Umständen 5/20 % des Wertes. In Frankreich 
wurde noch 1775 das auf Turgots Veranlassung 
verfaßte Werkchen von Boncerv (Sur les incon- 
veniants des droits féodaux) von Henkershand 
Staatslexikon. III. 3. Aufl. 
  
Lehnswesen. 
  
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sverbrannt. Kurze Zeit darauf hoben die Be- 
schlüsse vom 4. Aug. 1789 jene Feudalrechte auf, 
welche die Oberherrschaft einer Person über die 
andere begründeten, und solche, welche als Attri- 
bute der öffentlichen Gewalt zu betrachten sind. 
Die vertragsmäßig begründeten Grundgerechtig- 
keiten und die nicht auf politischen Einrichtungen 
beruhende féöodalité contractante erklärte man 
für ablösbar. Die Beschlüsse von Juni und 
Aug. 1792 beließen Feudal= oder Zinsrechte 
nur, wenn Verträge nachweisbar waren. Ein 
Konventsdekret vom 17. Juli 1793 hob alle 
Feudal= oder Zinsrechte ohne Entschädigung auf. 
Diese Vorgänge waren von Folgen auch für 
das deutsche Lehnswesen, das namentlich in den 
geistlichen Staaten bis zu ihrem nunmehr er- 
folgten Untergang das ausschlaggebende Element 
gewesen war. Die Aufhebung der Reichsverbin- 
dung und die Rheinbundsakte (1806) beseitigten 
mit dem Wegfall der alten Lehnsspitze die Reichs- 
lehen ganz, andere wurden in Landeslehen bzw. 
landesfürstliche Allode verwandelt. Landeslehen 
in Ländern eines andern Bundesfürsten (feuda 
extra curtem, Außenlehen) wurden gegenseitig 
aufgehoben. Den sog. Mediatisierten (s. d. Art. 
Standesherren) behielt Art. 27 der Rheinbunds- 
akte ihre droits seigneuriaux et féodauz vor. 
Art. 14 der deutschen Bundesakte sicherte ihnen 
diejenigen Rechte und Vorzüge zu, welche aus 
ihrem Eigentum und dessen ungestörtem Genuß 
herrühren und nicht zu der Staatsgewalt und 
höheren Regierungsrechten gehören. Eine Über- 
sicht über die deutschen Allodifikationsgesetze, 
welche durch die Bewegung des Jahres 1848 
(Grundentlastung) einen neuen Anstoß erhielten, 
gibt Stobbe, Privatrecht II (1883) 418/423. 
Die wichtigsten sind das preußische vom 2. März 
1850 (unter Wahrung der sog. agnatischen 
Rechte), das österreichische vom 17. Dez. 1862, 
das bayrische und kurhessische aus dem Jahre 
1848, das sachsen-altenburgische von 1851 usw. 
Seit der Allodifikation, wonach das Obereigen- 
tum des Lehnsherrn aufgehoben und der Lehns- 
kanon für ablösbar erklärt wurde, beschränkt sich 
die Anwendung des Lehnrechts wesentlich auf 
die Rechte der Agnaten, der Mit= und Eventual- 
belehnten. Zuweilen ist auch bezüglich dieser die 
Allodifikation durchgeführt oder doch die Um- 
wandlung der Lehen in Fideikommisse für statt- 
haft erklärt worden. Mit Ausnahme weniger 
Länder, wo das Lehnswesen noch größere Bedeu- 
tung hat, z. B. Mecklenburg, gibt es meist nur 
mehr wenige Thronlehen und andere landesherr- 
liche Dotations= oder Gnadenlehen. Auch die 
Kronämter werden vielfach noch zu Lehen ver- 
liehen. Wo es Lehen gibt, finden auch noch Be- 
lehnungsfeierlichkeiten statt, des Sinnes: in der 
Beeidigung solle die allgemeine staatsbürgerliche 
Pflicht der Treue und Ergebenheit durch das 
vassallitische Verhältnis noch erhöht und verstärkt 
werden. Für das öffentliche Recht hat das Lehnrecht 
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