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wirtschaftliche Revolution einsetzt, die eine schlei-
chende wirtschaftliche Krisis im Gefolge hat; diese
führt zur Verschärfung der engherzigen Privilegien-
wirtschaft. „Auch die öffentlichen Gewalten griffen
ein, und wo sie Mißstände, die aus der Arbeits-
vermittlung und der eignen Gerichtsbarkeit der
Gesellen sich entwickelt hatten, bekämpften, schmä-
lerten sie indirekt das Koalitionsrecht“ (M. Bier-
mer). Hierdurch wurde die Lage der Gesellen we-
sentlich verschlechtert.
Inzwischen begann der erste Aufschwung der
Manufakturen, und damit brach eine neue Zeit-
periode an. Die merkantilistische Regierungs-
politik förderte die Entwicklung der Manufakturen
durch Konzessionen, Privilegien aller Art, unbe-
kümmert um die alte Ordnung des Gewerbe-
wesens. Die Gesellen, durch alle diese Verhältnisse
schwer in Mitleidenschaft gezogen, riefen Auf-
stände hervor, welche in steigendem Maße einen
bedrohlichen Charakter annahmen, so daß schließ-
lich die inzwischen erstarkte öffentliche Gewalt,
namentlich in Preußen, energisch eingriff. Wenn-
gleich die Gesellen die Erhaltung ihrer Verbände
mit allen Mitteln erstrebten, so gelang ihnen
dieses gegenüber der vereinten Macht der Meister-
schaft, der Manufaktur und der öffentlichen Gewalt
nicht mehr, sie unterlagen immer mehr, und die
Regierungen des 18. Jahrh. unterdrückten das
Koalitionsrecht der Gesellen auf Grund des erst
1726 publizierten Reichsgutachtens vom Jahre
1672 infolge von vermehrten Gesellenunruhen.
Die Regierungen, namentlich die preußische, be-
trieben infolge dieser Unruhen dringend eine völlige
Neuordnung der Zunftverhältnisse durch das Reich
und brachten nach langen Verhandlungen den
Beschluß des deutschen Reichstags vom 16. Aug.
1731 zustande. Dieses Gesetz beraubte die Ge-
sellenverbände der Gerichtsbarkeit, führte die von
der sächsischen Regierung in Vorschlag gebrachte
„Kundschaft“, d. h. das obrigkeitliche Führungs-
zeugnis, die Wanderlegitimation, ein und stellte
die Gesellen und ihre Verbände dadurch unter die
strengste Aufsicht. Mit ihr war der Geselle ver-
pflichtet, sich auf der Wanderung beim Meister zu
melden. Während der Dauer der Arbeit mußte
der Geselle die „Kundschaft“ nebst den Abschriften
seines Geburts= und Lehrbriefes in der Lade be-
lassen; er erhielt diese und seine neue Kundschaft
nur bei guter Führung wieder.
Preußen erließ zu dem Gesetz von 1731 noch
die Handwerksordnung von 1733, wonach gegen
die ruhestörenden Bewegungen des Gesellenstandes
energisch vorgegangen werden sollte. „Wenn die
Gesellen sich gelüsten lassen sollten, sich zusammen
zu rottieren, einen Aufstand zu machen, und was
dergleichen rebellischen Unfugs mehr wäre, so würde
man sie mit Gefängnis-, Zuchthaus-, Festungs-
bau und Galeerenstrafe belegen, auch wohl nach
Beschaffenheit der Umstände am Leben strafen. Die
Teilnehmer eines Gesellenaufstandes sowie die-
jenigen, welche die Anführer unterstützen würden,
Lehrlings= und Gesellenwesen.
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erklärte man für vogelfrei.“ Niederlegung der
Arbeit und Verleitung anderer Gesellen hierzu
wurde schwer bestraft. Die „wider alle Vernunft
laufenden heimlichen Gesellengerichte, die lächer-
lichen und ärgerlichen Gebräuche bei der Auf-
nahme in die Gesellenschaft, als Hobeln, Schleifen,
Predigen, Taufen“ usw., wurden abgeschafft. Die
Gesellenladen, die Gesellenbriefe, die Gesellensiegel
und die schwarzen Tafeln wurden beschlagnahmt,
dagegen das Herbergswesen, die Stellenvermitt-
lung, die Krankenpflege unter steter Kontrolle der
Regierung den Gesellen belassen. — Ahnlich gingen
andere Staaten vor. Die alte Wirtschaftsweise
löste sich nach B. Schönlank auf, mit ihr schwanden
die natürlichen Bedingungen für die Existenz der
Gesellenverbände. Denn sie waren aus dem Erd-
reich des mittelalterlichen Handwerks emporge-
sproßt, waren das eigentliche Komplement der
Meisterzünfte und mußten mit dem Zunftwesen
absterben und eingehen. Die polizeiliche Gewalt
führte die letzten tödlichen Schläge gegen eine Or-
ganisation, die veraltet und überlebt war; aber
sie zertrümmerte zugleich auch das Koalitions-
recht der Gesellen.
Dieser Zustand blieb im allgemeinen so bis zum
Jahre 1869. Obgleich aber „das Endziel der
Reform des 18. Jahrh. die Umgestaltung des
Arbeitsrechts der Gesellen im Sinne ihrer Unter-
ordnung unter Polizei, Meister und ruhigen Gang
der Geschäfte war“ (Schmoller), so wurden trotz
alledem die Gesellengebräuche heimlich weiter fort-
gesetzt. Es lag das nicht zum geringsten Teile
daran, daß die Zünfte selbst nach der Einführung
der Gewerbefreiheit von 1810 noch einen großen
Einfluß auf das Gesellenwesen ausübten (ogl.
H. Röhl, Beiträge zur preuß. Handwerkerpolitik).
Die Gesellenverbände setzen sich fort in der moder-
nen Gewerkschaft und in den Gesellenvereinen.
3. Die Entwicklung der Gesellenverbände hat
ihren Einfluß auch im Ausland, speziell in Frank-
reich, geltend gemacht. Die französischen Ge-
sellenverbände (compagnonnages), welche sich
vornehmlich über die baugewerbetreibenden Ge-
sellen erstreckten, hatten das Eigentümliche der
Dreiteilung nach drei verschiedenen Stiftern: en-
fants de Salomon (angeblich von König Salo-
mon gegründet), enfants de mastre Jacques
und enfants de pere Soubise. Die Gründung
aller ist schon zur Blütezeit der Zünfte vor sich
gegangen in Verbindung mit dem Aufschwung
der Gewerbe als Schutzbündnisse gegen große
soziale Schäden in den einzelnen Gewerben, na-
mentlich im Baugewerbe. Im allgemeinen gleicht
ihr Entwicklungsgang dem der deutschen Gesellen-
verbände. Ihre Organisation war eine straffe und
tadellose. Die Compagnonnages standen jedoch
nicht auf gesetzlicher Grundlage, sie umgaben sich
deshalb mit einer großen Geheimniskrämerei. Die
einzelnen Verbände standen sich oft sehr schroff
gegenüber, oft auch liierten sie sich zum gemein-
samen Handeln. Ihre Kampfmittel gegen die