Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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zwischen Meistern und Gesellen, Fürsorge für 
das Herbergswesen, Nachweisung von Gesellen- 
arbeit, Errichtung und Leitung von Fachschulen, 
Förderung der gewerblichen und technischen 
Ausbildung der Gesellen, Veranstaltung von 
Gesellen= und Meisterprüfungen und Ausstel- 
lung von Prüfungserzeugnissen, Errichtung von 
charitativen Anstalten fürerkrankte Gesellen, Schlich- 
tung von Streitigkeiten usw. zwischen ihren 
Mitgliedern und deren Gesellen durch Schieds- 
gerichte. Daneben regelte der Titel 7 der Gew.O. 
das Verhältnis zwischen Meistern und Gesellen 
im besondern. Das Gesetz verfolgte mit diesen 
Bestimmungen den Zweck, durch die Innungen 
eine wirtschaftliche und sittliche Hebung des Ge- 
sellen= bzw. des Handwerkerstandes herbeizu- 
führen, und ließ, um diesen Zweck zu erreichen, 
die Bildung weiterer Gewerbevereinigungen, In- 
nungsausschüsse und Innungsverbände zu. Durch 
die Novellen vom 18. Dez. 1884, 23. April 1886 
und 6. Juli 1887 wurden den Innungen hinsicht- 
lich des gewerblichen Nachwuchses und der Unter- 
stützungskassen weitere Rechte eingeräumt. Aber alle 
gesetzlichen Maßnahmen waren vergeblich, weil die 
Innungen nur auf fakultativer Grundlage be- 
ruhten und infolgedessen keinen Einfluß auf alle 
außerhalb derselben stehenden Meister bzw. deren 
Gesellen, welche die weitaus größere Zahl bildeten, 
gewinnen konnten; es war nicht möglich, eine 
Besserung der auf dem Gebiete des Gesellenwesens 
hervorgetretenen Mißstände herbeizuführen. Eine 
durchgreisende Anderung der gesetzlichen Bestim- 
mungen war daher um so notwendiger, als der 
gesamte Gesellenstand Gefahr lief, der sozialisti- 
schen Bewegung in die Arme zu fallen. 
5. Das Gesetz vom 26. Juli 1897, dessen 
Vorschriften heute den Rechtsboden bilden, führte 
neben der freien Innung das Prinzip des fakul- 
tativen Zwanges ein und gab damit die Möglich- 
keit, die widerstrebenden Elemente zwangsweise 
zu einer Innung zusammenzuschließen (s. d. Art. 
Innung). Damit ist zugleich die Aussicht ge- 
geben, auch die Gesellen in weiterem Umfang als 
seither dem Einfluß der Innung zu unterstellen. 
Um aber auch den Gesellen selbst Interesse am 
Innungsleben einzuflößen, räumte ihnen das 
Gesetz auch einen bestimmten Grad der Mitwir- 
kung ein (s. u.),, von dem richtigen Gedanken aus- 
gehend, daß die Organisation eines Standes nur 
dann von Erfolg und Dauer sei, wenn alle seine 
Mitglieder an derselben teilnehmen könnten. Es 
legte den Begriff „Gesell“ zwar nicht fest, ver- 
steht aber unter „Gesell“ diejenige Hilfsperson, 
welche technisch vorgebildet ist, eine Lehrzeit zurück- 
gelegt hat und mit technischen Arbeiten des Hand- 
werks beschäftigt wird, im Gegensatze zum Fabrik- 
arbeiter, dessen Tätigkeit zum größten Teil eine 
mechanische bleibt, selbst wenn er gelernter Arbeiter 
ist. Zu berufenem Pfleger des Gesellenwesens be- 
stimmte das Gesetz die Innung; es weist ihr des- 
halb die gleichen Aufgaben zu wie das Gesetz von 
Lehrlings= und Gesellenwesen. 
  
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1881, jedoch mit dem wesentlichen Unterschiede, 
daß es ihr zur Erfüllung der oben erwähnten 
obligatorischen wie fakultativen Pflichten eine 
breitere Basis gibt. Die Rechte und Pflichten 
zwischen den Gesellen und den Meistern selbst er- 
gibt Tit. 7 der Gew. O. sowohl in Handwerks- 
wie in Fabrikbetrieben. Die 88 105 bis ein- 
schließlich 1200# der Gew.O. behandeln die all- 
gemeinen Verhältnisse, und zwar § 105 die 
Freiheit des Arbeitsvertrags, die 88 105 a bis 
105h die Nichtverpflichtung der Gehilfen und 
Arbeiter zu Dienstleistungen an Sonn= und Fest- 
tagen, sowie die Sonntagsruhe und die erforder- 
lichen Ruhepausen, der § 106 die Beschränkung 
der Rechte derjenigen Gewerbetreibenden, welchen 
die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind, zur 
Ausbildung von Arbeitern unter 18 Jahren; die 
§§ 107/114 behandeln die erforderlichen Arbeits- 
bücher für Minderjährige, §8 114 a und ff die 
Lohnbücher und Lohnzahlungen, § 120 die Er- 
richtung von Fortbildungsschulen durch die Ge- 
meinden und die 88 120 a und ff die Beschaffenheit 
der Arbeitsräume. Die besondern Verhältnisse 
der Gesellen und Gehilfen sind durch Zusatzbestim- 
mungen zu den vorgenannten Bestimmungen ge- 
regelt. § 121 legt die Pflicht der Gesellen und 
Gehilfen fest, den Anordnungen der Arbeitgeber 
in Beziehung auf die ihnen übertragenen Arbeiten 
und auf die häuslichen Einrichtungen Folge zu 
leisten, während die 88 122, 123 die gegenseitige 
Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses, und zwar 
unter normalen Verhältnissen sowie vor Ablauf 
der 14tägigen vertragsmäßigen Zeit, die 88 124 
und 124a Aufhebung des Arbeitsverhältnisses 
vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne 
Aufkündigung, der § 124b das rechtswidrige 
Verlassen der Arbeit und Vertragsbruch sowie die 
Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, 
§ 125 das Abwendigmachen von Gesellen oder 
Gehilfen durch Arbeitgeber und Schadenersatz- 
pflicht, der § 131c die Gesellenprüfung nach be- 
endeter Lehrzeit, der § 131 a Teilnahme der Ge- 
sellen an dem Prüfungswesen und Bestallung zu 
Mitgliedern der Prüfungsausschüsse regeln. Der 
§ 91 trifft Bestimmung über die obligatorische 
Teilnahme der Gesellen bei den Innungsschieds- 
gerichten, der § 95 über Teilnahme der bei In- 
nungsmitgliedern beschäftigten Gesellen an der 
Erfüllung der Aufgaben der Innung durch Wahl 
eines Gesellenausschusses, § 95 a bis fregelt Wähl- 
barkeit der Gesellen und Vornahme der Wahlen, 
der § 103i Bildung und Wahl des Gesellenaus- 
schusses bei den Handwerkskammern, der 8 103k 
die Mitwirkung der Gesellen beim Erlaß von Vor- 
schriften zur Reglung des Lehrlingswesens, ferner 
bei Abgabe von Gutachten und Erstattung von 
Berichten über Angelegenheiten, welche die Ver- 
hältnisse der Gesellen und Lehrlinge berühren. 
Den Gesellen ist somit durch das Gesetz von 1897 
ein weites Feld der Mitarbeit in der Organisation 
des Handwerks eingeräumt.
	        
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