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G. Uhlhorn, Art. „Evangelisch-soziale Bestrebun-
gen" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften
VI2; Krummacher, Die evangel. Jünglingsvereine
(21894); Hubert Valleroux, Compagnonnage, in
Dictionnaire d’Economie politique par L. Say l
(Par. 1893) 475 ff. Weitere Lit. s. Art. Handwerk
und Innung. IA. Grunenberg.)
Leibeigenschaft s. Hörigkeit.
Leibniz, Gottfried Wilhelm, einer
der vielseitigsten Gelehrten und scharfsinnigsten
Denker aller Zeiten, als Philosoph, Geschichts-
forscher und Staatsmann der entschiedenste Ver-
teidiger des christlichen Staats= und Völkerrechts
gegen Rationalismus und Absolutismus, wurde
geboren den 21. Juni a. St. (d. i. 1. Juli n. St.)
1646 zu Leipzig als Sohn des Leipziger Rechts-
lehrers Friedrich Leibniz. Schon mit 16 Jahren
verteidigte Leibniz die Thesen seiner Erstlings-
schrift Disputatio metaphysica de principio
individui; am 26. Jan. 1664 wurde er in Leipzig
magister philosophiae. Die ersten philosophi-
schen und mathematischen Schriften, so z. B. die
Disputatio arithmetica de complexionibus,
lassen den Plan einer Gruppierung oder Syste-
matisierung der Wissenschaften überhaupt erkennen
im Sinne der ars magna des Raimundus Lullus.
Diese Idee verfolgt Leibniz unter allem Wechsel
des Lebens bis an sein Ende mit seltener Nach-
haltigkeit.
Von größter Bedeutung für Leibniz war, daß
er in Nürnberg zu Johann Christian v. Boine-
burg, dem ehemaligen Minister des Kurfürsten
von Mainz Philipp v. Schönborn, welcher 1656
zur katholischen Kirche zurückgekehrt war, in Be-
ziehung trat. Den kaum 22jährigen Jüngling
führte jener in Frankfurt in die Geheimnisse der
hohen Politik und Staatswirtschaft ein. Schon
1667 stellte sich Leibniz dem Kurfürsten in Mainz
persönlich vor. Ihm widmete er die Schrift:
Methodus nova discendae docendaeque iuris-
prudentiae (1668), „dies durch ursprüngliches
Genie wie durch staunenswerte Gelehrsamkeit gleich
ausgezeichnete Reformprogramm“ der Rechts-
studien (G. Hartmann). Im Jahre 1668 beauf-
tragte Boineburg Leibniz, mit Lasser an einer Ver-
besserung des römischen Rechts zu arbeiten, bewog
ihn, die von Pufendorf 1667 verfaßte Schrift
Destatu imperü germanici zu widerlegen, regte
ihn ferner zur Abfassung der Schrift Conkessio
naturae contra atheistas an. Für den Kur-
fürsten von Mainz verfaßte Leibniz 1668 die
Schrift De foedere rhenano, 1669 in Boine-
burgs Auftrag die Schrift Specimen demon-
strationum politicarum pro rege Polonorum
eligendo auctore G. U. Lithuano.
Aus dem Jahre 1668 stammt der Plan Leib-
nizens, die Direktion des deutschen Bücherwesens
an Kur-Mainz zu ziehen. Es sollte die Bücher-
zensur reformiert und eine Kommission eingesetzt
werden, welche zu verhüten hätte, daß das Ge-
meinwesen durch schlechte Bücher Schaden erfahre.
Leibeigenschaft — Leibniz.
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Damit sollte eine Organisation und Hebung des
deutschen Buchhandels auf dem Wege der Asso-
ziation, namentlich gegenüber dem übermächtigen
Ausland, angebahnt werden. Mittelbar aber be-
zweckte Leibniz dadurch eine Hebung der Pflege
der Wissenschaften, Hebung der Studien an den
Universitäten, somit der Hochschulen und ihrer
Lehrer selbst. In den Semestria litteraria und
dem sog. Nucleus librarius von 1668 spricht
sich Leibniz dahin aus, durch eine Art organi-
sierter literarischer Buchhaltung sämtliche Erschei-
nungen auf dem Gebiete des deutschen Buchhan-
dels von Jahr zu Jahr zu verzeichnen und behufs
Verwertung zu einer Systematisierung der Wissen-
schaften zu bearbeiten, ein Plan, welchen er im
Jahre 1669 in neuer Gestalt dem Kaiser Leo-
pold I. unterbreitete in der Denkschrift: Nuclei
librarür semestralis utilitas, immo necessitas.
Den Lieblingswunsch seines Lebens, die Stif-
tung umfassender Körperschaften von Gelehrten,
der Akademien, zum Zwecke der gemeinsamen
Arbeit an der Wissenschaft und der praktischen
Anwendung derselben, verfolgte er mitten unter
den Kriegswirren unausgesetzt. Er befürwortet
den „Entwurf von Staatstafeln“, eine Art In-
struktion für die Regierung und den Landesfürsten
nach Art der Instruktionen Mazarins für Lud-
wig XIV.; er empfiehlt aufs wärmste die Errich-
tung eigner Medizinalbehörden im Interesse der
öffentlichen Wohlfahrt, vor allem der Gesundheit
des Volkes. Im Interesse der Volkswirtschaft
sollen Observatorien zur Beobachtung der Wind-
richtungen, des Wetters, der Temperatur, der
Feuchtigkeit, des Gewichts der Luft eingerichtet
und Thermometer, Barometer, Hygroskope usw.
angeschafft werden. Er ist ein Gegner der sog.
Kipper= und Wipperwirtschaft, der Prägung
schlechten, unterwertigen Geldes von seiten der
Fürsten und Staaten, wodurch alle Warenpreise
und Lebensmittel, vor allem aber der Wert des
Silbers ungeheuer gesteigert und das Volk der
Aussaugung preisgegeben wurde.
Dem Vordringen der Türken gegenüber wäre
es die Pflicht Ludwigs XIV. im Interesse der in
ihrer Existenz bedrohten christlichen Kultur ge-
wesen, mit Osterreich gemeinsam gegen den Halb-
mond Front zu machen. Statt dessen wendete sich
seine treulose Politik gegen das im Osten von den
Türken gefährdete deutsche Reich. Es galt nun,
Ludwig XIV. von seinem Vorhaben abzulenken,
ihn im Orient zu beschäftigen. Dahin ging die
Politik des hochbegabten Kurfürsten von Mainz.
Leibniz schrieb sein Consilium aegyptiacum, in
dem er Frankreich einen ägyptischen Feldzug an-
riet und den Nutzen eines etwa zu bauenden Sues-
kanals voraussah, und begab sich schließlich 1672
selbst nach Paris. Seinen eigentlichen Zweck, eine
Audienz bei Ludwig XIV. zu erlangen, erreichte
er nicht. Hätte Ludwig XIV., dem Rate Leib-
nizens folgend, gegen den Erbfeind des christlichen
Namens statt gegen die christlichen Nationen die