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Charlotte, der hochbegabten Freundin und
Schülerin des Philosophen, sollten nähere Be-
ziehungen der beiden Länder angebahnt werden.
Leibniz wurde in dieser Sache nach Berlin ge-
schickt, zunächst behufs Gründung einer Akademie.
Diesem Plane widmete er seine volle Tätigkeit.
Um die Deutschen selbst zuerst zur Selbstachtung
zu bringen, sie vor den Nachäffereien des Aus-
landes in Sitten, Moden, Gebräuchen und
Sprache zu bewahren und moralisch zu heben,
schrieb er 1697: „Unvorgreifliche Gedanken, be-
treffend die Ausübung und Verbesserung der
teutschen Sprache.“ Die Unionsbestrebungen nahm
Leibniz von neuem auf. Die Schrift Via ad pa-
cem (1698) verfaßte er gemeinsam mit Molanus
und Jablonski.
Da in England durch Vertreibung Jakobs II.
infolge der Bill of Rights (1689) kein katholisches
Mitglied des Königshauses sukzessionsfähig war,
der katholische Sohn Jakobs II., Jakob III., da-
durch des Thrones als verlustig galt, so sollte die
Enkelin Jakobs I., die Kurfürstin Sophie von
Hannover, wenn auch gegen ihren Willen, als
Erbin der Krone Englands anerkannt werden.
Eine vielseitige Korrespondenz folgte, und Leibniz
machte in der Schrift Considérations sur le
droit de la maison Brunsvic-Luneburg à
Tégard de la succession d’Angleterre auf
die Gefahr von seiten des übermächtigen Frank-
reich aufmerksam, wenn ein französisch gesinnter
Monarch den Thron Englands besteigen würde.
Er drang deshalb auf Reglung der Angelegen-
heit von seiten des englischen Parlaments. Wirk-
lich erfolgte diese. Den 14. Aug. legte die eng-
lische Botschaft der Kurfürstin Sophie die Suk-
zessionsakte vor.
Als mit dem Tode Karls II. in Spanien der
spanische Stamm der Habsburger am Erlöschen
war, schrieb Leibniz 1700 im österreichischen Inter-
esse die Denkschriften: Status Europae incipiente
novo saeculo; Observationes de principüis
ijuris; serner Monita ad Pufendorfium. Kaiser
Leopold lud ihn in demselben Jahre nach Wien
ein; Leibniz verkehrte besonders mit Prinz Eugen
von Savoyen, dem er seine „Monadologie“ wid-
mete, und vielen hervorragenden Persönlichkeiten.
Vorwiegend gegen Frankreichs Wühlereien nach
dem Tode Karls II. in Spanien richtet sich die
Schrift: Manifeste contenant les droits de
Charles III, roi d’Espagne.
Bereits am 11. Juli 1700 hatte der Kurfürst
von Brandenburg Friedrich III. den Stiftungs-
brief der „Sozietät der Wissenschaften zu Berlin"“,
eines der Ideale Leibnizens, unterzeichnet, ihn
selbst zum Präsidenten ernannt. Nachdem Leibniz
von Wien wieder nach Berlin zurückgekehrt war,
erschien unter Eckharts Leitung der „Monatliche
Auszug aus allerhand neu herausgegebenen nütz-
lichen und artigen Büchern“ (1700/02). Aufs neue
nahm ihn die Erhebung des Kurfürsten von
Brandenburg zum König von Preußen in An-
Leibniz.
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spruch. Leibniz schrieb: „Auszug verschiedener die
neue preußische Krone angehender Schriften“, be-
treffend dasjenige, was nach heutigem Völkerrecht
zu einem Könige erfordert wird. Die Krönung
erfolgte den 18. Jan. 1701.
Der Skeptizismus eines Bayle hatte die Kö-
nigin Sophie Charlotte veranlaßt, sich an Leibniz
zu wenden. Aus den beiderseitigen Gesprächen
und Briefen entstand allmählich eines seiner be-
rühmtesten Werke, die Theodicee (1705, gedruckt
1710). Gegen die Hinneigung der Herzoge von
Braunschweig-Lüneburg und Wolfenbüttel zu Lud-
wig XIV suchte Leibnizein Zusammengehen mitden
übrigen deutschen Ländern anzubahnen. Als der
spanische Erbfolgekrieg ausbrach, schrieb er: La
justice encouragee contre un partisan bour-
bonique; bann Lettre à la République Venise.
Am 1. Febr. 1705 starb die Königin Char-
lotte. Leibniz kehrte nach Hannover zurück, wo er
von seiten des Hofes in verletzender Weise zur
Fortsetzung der welfischen Geschichte aufgefordert
wurde. Auf Weisung des Kurfürsten Georg Lud-
wig vom 15. Nov. 1706 mußte er seine Unions-
bestrebungen einstellen. Die Thronfolge in Eng-
land, wo der Fanatismus gegen die katholische
Kirche fortdauerte, hing mit diesen Dingen zu-
sammen. Im Jahre 1707 erschien der erste Band
der Scriptores rerum brunsvicensium, eine
namhafte Leistung guellengeschichtlicher For-
chung. 1708 ging Leibniz über Karlsbad nach
Wien, sandte an den Kaiser von Rußland zwei
Denkschriften über Errichtung von Bibliotheken,
Observatorien, Laboratorien, Anstalten für Ge-
sundheitspflege usw. 1711 kam er mit Peter dem
Großen zusammen, mit dem er über Einrichtung
des Schulwesens in Rußland, über Pflege der
Naturforschung, der Sprachvergleichung und
Volkswirtschaft verhandelte. Erbetonte namentlich,
daß die Volksschulen wegen ihres erzieherischen
Charakters religiösen Genossenschaften anvertraut
werden sollten. Interessant ist der Plan der Er-
richtung einer Akademie in St Petersburg, welche
sämtliche weltliche Wissensgebiete umfassen sollte;
ihr sollten alle höheren und niederen Schulen
untergeordnet sein. Die letzte kirchliche Unions-
bestrebung, abzielend auf Berufung eines Welt-
konzils durch den Zaren, mußte wie die früheren
zu Leibnizens Verbitterung scheitern. Vor seiner
Abreise wurde Leibniz zum russischen Justizrat mit
1000 Talern Gehalt ernannt. In Wien, wohin
er sich 1712 begab, wurde er zum Reichshofrat
erkoren und blieb dort bis 1714.
Der Utrechter Friede von 1713 wurde Veran-
lassung zu mehreren Denkschriften. Neben einem
Gutachten über die Erbfolge in Toskana schrieb
Leibniz drei Denkschriften zur Vorbereitung des
Rastatter Friedens (7. März 1714). Dem Zwecke
der Gründung einer Akademie in Wien widmete
er mehrere Schriften.
In den letzten Jahren seines Lebens erfuhr
Leibniz viel Kränkungen. Durch seine lange
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