Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

821 
Charlotte, der hochbegabten Freundin und 
Schülerin des Philosophen, sollten nähere Be- 
ziehungen der beiden Länder angebahnt werden. 
Leibniz wurde in dieser Sache nach Berlin ge- 
schickt, zunächst behufs Gründung einer Akademie. 
Diesem Plane widmete er seine volle Tätigkeit. 
Um die Deutschen selbst zuerst zur Selbstachtung 
zu bringen, sie vor den Nachäffereien des Aus- 
landes in Sitten, Moden, Gebräuchen und 
Sprache zu bewahren und moralisch zu heben, 
schrieb er 1697: „Unvorgreifliche Gedanken, be- 
treffend die Ausübung und Verbesserung der 
teutschen Sprache.“ Die Unionsbestrebungen nahm 
Leibniz von neuem auf. Die Schrift Via ad pa- 
cem (1698) verfaßte er gemeinsam mit Molanus 
und Jablonski. 
Da in England durch Vertreibung Jakobs II. 
infolge der Bill of Rights (1689) kein katholisches 
Mitglied des Königshauses sukzessionsfähig war, 
der katholische Sohn Jakobs II., Jakob III., da- 
durch des Thrones als verlustig galt, so sollte die 
Enkelin Jakobs I., die Kurfürstin Sophie von 
Hannover, wenn auch gegen ihren Willen, als 
Erbin der Krone Englands anerkannt werden. 
Eine vielseitige Korrespondenz folgte, und Leibniz 
machte in der Schrift Considérations sur le 
droit de la maison Brunsvic-Luneburg à 
Tégard de la succession d’Angleterre auf 
die Gefahr von seiten des übermächtigen Frank- 
reich aufmerksam, wenn ein französisch gesinnter 
Monarch den Thron Englands besteigen würde. 
Er drang deshalb auf Reglung der Angelegen- 
heit von seiten des englischen Parlaments. Wirk- 
lich erfolgte diese. Den 14. Aug. legte die eng- 
lische Botschaft der Kurfürstin Sophie die Suk- 
zessionsakte vor. 
Als mit dem Tode Karls II. in Spanien der 
spanische Stamm der Habsburger am Erlöschen 
war, schrieb Leibniz 1700 im österreichischen Inter- 
esse die Denkschriften: Status Europae incipiente 
novo saeculo; Observationes de principüis 
ijuris; serner Monita ad Pufendorfium. Kaiser 
Leopold lud ihn in demselben Jahre nach Wien 
ein; Leibniz verkehrte besonders mit Prinz Eugen 
von Savoyen, dem er seine „Monadologie“ wid- 
mete, und vielen hervorragenden Persönlichkeiten. 
Vorwiegend gegen Frankreichs Wühlereien nach 
dem Tode Karls II. in Spanien richtet sich die 
Schrift: Manifeste contenant les droits de 
Charles III, roi d’Espagne. 
Bereits am 11. Juli 1700 hatte der Kurfürst 
von Brandenburg Friedrich III. den Stiftungs- 
brief der „Sozietät der Wissenschaften zu Berlin"“, 
eines der Ideale Leibnizens, unterzeichnet, ihn 
selbst zum Präsidenten ernannt. Nachdem Leibniz 
von Wien wieder nach Berlin zurückgekehrt war, 
erschien unter Eckharts Leitung der „Monatliche 
Auszug aus allerhand neu herausgegebenen nütz- 
lichen und artigen Büchern“ (1700/02). Aufs neue 
nahm ihn die Erhebung des Kurfürsten von 
Brandenburg zum König von Preußen in An- 
Leibniz. 
  
822 
spruch. Leibniz schrieb: „Auszug verschiedener die 
neue preußische Krone angehender Schriften“, be- 
treffend dasjenige, was nach heutigem Völkerrecht 
zu einem Könige erfordert wird. Die Krönung 
erfolgte den 18. Jan. 1701. 
Der Skeptizismus eines Bayle hatte die Kö- 
nigin Sophie Charlotte veranlaßt, sich an Leibniz 
zu wenden. Aus den beiderseitigen Gesprächen 
und Briefen entstand allmählich eines seiner be- 
rühmtesten Werke, die Theodicee (1705, gedruckt 
1710). Gegen die Hinneigung der Herzoge von 
Braunschweig-Lüneburg und Wolfenbüttel zu Lud- 
wig XIV suchte Leibnizein Zusammengehen mitden 
übrigen deutschen Ländern anzubahnen. Als der 
spanische Erbfolgekrieg ausbrach, schrieb er: La 
justice encouragee contre un partisan bour- 
bonique; bann Lettre à la République Venise. 
Am 1. Febr. 1705 starb die Königin Char- 
lotte. Leibniz kehrte nach Hannover zurück, wo er 
von seiten des Hofes in verletzender Weise zur 
Fortsetzung der welfischen Geschichte aufgefordert 
wurde. Auf Weisung des Kurfürsten Georg Lud- 
wig vom 15. Nov. 1706 mußte er seine Unions- 
bestrebungen einstellen. Die Thronfolge in Eng- 
land, wo der Fanatismus gegen die katholische 
Kirche fortdauerte, hing mit diesen Dingen zu- 
sammen. Im Jahre 1707 erschien der erste Band 
der Scriptores rerum brunsvicensium, eine 
namhafte Leistung guellengeschichtlicher For- 
chung. 1708 ging Leibniz über Karlsbad nach 
Wien, sandte an den Kaiser von Rußland zwei 
Denkschriften über Errichtung von Bibliotheken, 
Observatorien, Laboratorien, Anstalten für Ge- 
sundheitspflege usw. 1711 kam er mit Peter dem 
Großen zusammen, mit dem er über Einrichtung 
des Schulwesens in Rußland, über Pflege der 
Naturforschung, der Sprachvergleichung und 
Volkswirtschaft verhandelte. Erbetonte namentlich, 
daß die Volksschulen wegen ihres erzieherischen 
Charakters religiösen Genossenschaften anvertraut 
werden sollten. Interessant ist der Plan der Er- 
richtung einer Akademie in St Petersburg, welche 
sämtliche weltliche Wissensgebiete umfassen sollte; 
ihr sollten alle höheren und niederen Schulen 
untergeordnet sein. Die letzte kirchliche Unions- 
bestrebung, abzielend auf Berufung eines Welt- 
konzils durch den Zaren, mußte wie die früheren 
zu Leibnizens Verbitterung scheitern. Vor seiner 
Abreise wurde Leibniz zum russischen Justizrat mit 
1000 Talern Gehalt ernannt. In Wien, wohin 
er sich 1712 begab, wurde er zum Reichshofrat 
erkoren und blieb dort bis 1714. 
Der Utrechter Friede von 1713 wurde Veran- 
lassung zu mehreren Denkschriften. Neben einem 
Gutachten über die Erbfolge in Toskana schrieb 
Leibniz drei Denkschriften zur Vorbereitung des 
Rastatter Friedens (7. März 1714). Dem Zwecke 
der Gründung einer Akademie in Wien widmete 
er mehrere Schriften. 
In den letzten Jahren seines Lebens erfuhr 
Leibniz viel Kränkungen. Durch seine lange 
—
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.