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Nicht mit gleicher Klarheit als dem Kaiser in
temporalibus, wird von Leibniz dem Papste in
sacris die höchste Autorität zuerkannt. Alle
Stellen aus dem Caesarinus Fuerstenerius,
der Vorrede des Codex iuris gentium (s. oben)
u. a., die man als Zeugnisse seiner unbedingten
Anerkennung des päpstlichen Primates hat an-
führen wollen, sind ausdrücklich aus der Denk-
weise vergangener, ungetrennt katholischer Zeiten
gesprochen. Und wenn auch Leibniz bei seinen
Unionsbestrebungen öfters den Worten nach von
einem göttlichen Recht des Primates spricht, so
scheint seine wahre Meinung nach Briefäuße-
rungen doch nur ein Primat menschlichen Rechts
„im Sinne Melanchthons“ anerkannt zu haben.
Damit stimmt sein persönliches Verhalten überein;
denn obwohl Leibniz selbst von sich sagte, er be-
trachte sich innerlich als Glied der einen katho-
lischen Kirche, hat er sich wiederholt geweigert, zu
ihr zurückzukehren.
Literatur. Die Ausgaben der Werke L.ens
von Dutens, Pertz, Erdmann, A. Foucher de Ca-
reil, Guhrauer, besonders aber von Onno Klopp:
Werke von L., 11 Bde (1864/84; hier namentlich
die politische Korrespondenz), u. C. J. Gerhardt,
7 BDde (1875/90); alle unvollständig; eine Gesamt-
ausgabe wird von der Berliner u. Pariser Aka-
demie der Wissenschaften gemeinsam vorbereitet;
deutsche Auswahl der philosophischen Hauptschriften
von Cassirer (4 Bde, 1904); Rechtsphilosophisches
aus L.ens ungedruckten Schriften, hrsg. von Mol-
lat (1885); dann die Monographie Guhrauers:
E. W. Frhr v. L. (2 Bde, 1842); ferner Hinrichs,
Gesch. der Rechts= u. Staatsprinzipien III (1852);
Pfleiderer, L. als Patriot, Staatsmann u. Bil-
dungsträger (1870); G. Hartmann, L. als Jurist
u. Rechtsphilosoph, in der Festgabe der Tübinger
Juristenfakultät für Ihering (1892); Kiefl, Der
Friedensplan des L. zur Wiedervereinigung der ge-
trennten christlichen Kirchen (1903). Unter den
Darstellungen der Geschichte der Philosophie sind
zu erwähnen Ritter, Erdmann, Kuno Fischer,
Zeller usw., Prantl in Bluntschlis Staatswörter-
buch VI (1861) u. Allgemeine deutsche Biographie
XVIII (1883); Kiesel in Wetzer u. Weltes Kirchen-
lexikon VII2 1653. J. Bach, rev. Ettlinger.)
Leichenschau s. Begräbniswesen (Bd I,
hp. 684 #..
S
Leichenverbrennung s. Begräbniswesen
(Bd I, Sp. 679 ffl.
Leihhäuser. (Geschichtliches; Geschäfts-
gang; Urteil.] Leihhäuser sind öffentliche An-
stalten, die bedürftigen Personen gegen Faustpfand
Geldbeträge leihweise vorschießen. Sie haben ihren
Ursprung in Italien, wo bereits im 13. Jahrh.
die Anfänge zur Gründung gemacht wurden. Die
strenge Durchführung des kanonischen Wucher-
verbotes, das jegliches Zinsnehmen bei Darlehen
untersagte, hatte zur Folge, daß die Leih= und
Geldgeschäfte fast ausschließlich in die Hände der
Juden und der konzessionierten Geldwechsler
(campsores, Lombarden) gerieten, die vielfach in
rückfichtsloser Weise die Geldverlegenheit der Dar-
Leichenschau — Leihhäuser.
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lehenssucher durch ungebührlich hohen Zins aus-
nutzten. Um dieser Ausbeutung der Notlage ent-
gegenzuarbeiten, war namentlich die Geistlichkeit
unter Billigung des päpstlichen Stuhles bemüht,
Anstalten zu gründen, bei welchen jeder, der des
baren Geldes bedürftig war, solches gegen Ver-
pfändung von beweglichen Gegenständen, Klei-
dungsstücken, Möbeln, Pretiosen usw. leihen
konnte, und zwar ohne jeden Zins und ohne jede
Vergütung, da die Mittel zu diesen Unterneh-
mungen durch freiwillige Beiträge, Schenkungen
usw. beschafft wurden. Besonders der Franzis-
kanerorden war nach dieser Richtung hin tätig, der
in wenigen Jahren in einer Reihe von italieni-
schen Städten solche Wohltätigkeitsanstalten (mon-
tes pietatis) gründete. Die erste dieser Anstalten
wurde als öffentliches Leihhaus im Jahre 1462
zu Perugia von dem Franziskaner Barnaba ge-
gründet und von ihm monte di pietà genannt.
(Die Bezeichnung monte [Berg, Ansammlung!
wurde im Mittelalter für Bank gebraucht.)
Mit der steigenden Inanspruchnahme der mon-
tes wuchsen auch die Kosten der Verwaltung, so
daß bald die freiwilligen Gaben nicht mehr reichten,
die Betriebsauslagen zu decken. Man sah sich des-
halb genötigt, von der unentgeltlichen Darlehens-
gewährung abzugehen und eine kleine Vergütung
für Bestreitung der Betriebskosten einzuführen.
Diese Anderung wurde durch Papst Leo X. ge-
nehmigt (1515). Obgleich diese Erlaubnis nur
unter der Bedingung erteilt war, daß lediglich der
Ersatz für die der Anstalt erwachsenden Kosten
verlangt werden sollte, erhielt die zu zahlende Ver-
gütung doch im Laufe der Zeit den Charakter ge-
wöhnlicher Zinszahlung, so daß schon gegen Ende
des 16. Jahrh. vielfach auch in den Leihhäusern
ein Zins von 2 bis 5% gezahlt werden mußte.
So hat sich der Betrieb bis in die neueste Zeit
hinein erhalten. Wenn auch jetzt, den praktischen
Bedürfnissen des Geschäftslebens Rechnung tra-
gend, ein angemessener Zinssatz in den Anstalten
gefordert wird, haben sie doch ihren Charakter als
Wohltätigkeitsanstalten bewahrt. Die durch die
Zinszahlung erzielten Uberschüsse werden zu mild-
tätigen Zwecken oder zur Herabsetzung des Zins-
fußes verwendet. Obgleich gegen Ende des
18. Jahrh. durch die französische Herrschaft den
montes und ihrem Vermögen arg mitgespielt
wurde, haben sich in Italien viele dieser Anstalten
bis auf den heutigen Tag erhalten.
Von Italien aus haben die monti di pieta
alsbald ihre Verbreitung in fast alle andern west-
europäischen Staaten, insbesondere Belgien, Hol-
land, Frankreich und Deutschland, gefunden.
Dagegen haben sie sich in England, wohl infolge
des ungünstigen Ausfalles der ersten Versuche,
nicht einzubürgern vermocht. Das Pfandleih-
geschäft wird dort ausschließlich als Privatunter-
nehmen betrieben, das zwar besonders gesetzlich
geregelt ist, aber durchweg den Charakter als Geld-
erwerbsinstitut angenommen hat. In den andern