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christlich-soziale Wissenschaft hat hier eine große
Lücke auszufüllen.
Literatur. Die sämtlichen soziologischen Werke
Le Plays wurden in ihrer letztgültigen, von ihm
selbst noch bestimmten Form nur in der von
Le Play begründeten u. seiner Schule übergebenen
Bibliothèeque de la science sociale (Tours) aus-
gegeben. In der Ausgabe von 1879 find alle oben
besprochenen Schriften, darunter Les Ouvriers
européens (1855, 1877/79, 6 Bde), La Réforme
sociale en France (1864, 1901, 3 Bde) vorhan-
den. Dazu kommen noch: La Question sociale.
Epilogue général des Ouvriers européens (1879),
Les Ouvriers des deux mondes (4 Bde, 1858/63),
L'Organisation du travail (1870, 1888), L'Or-
ganisation de la famille (1871, 11884), La Con-
stitution de 1’Angleterre (2 Bde, 1875, mit A.
Delaire), La Réforme en Europe et le salut de
France (1876), L'’Erreur sous I’ancien régime
et la révolution. Epilogue de la Réforme sociale
(1878), La CQuestion sociale au XIXe siecle
(1879). — Von den Arbeiten der Le Playschen
Schule finden sich in der Bibliothèque: Bulletin
de séances de la Société d’économie sociale
(6 Bde, 1866/79), Correspondances sur les
Unions de la paigx sociale (8 Brosch., 1871/79),
Annnaire des Unions de la paix sociale (2 Bde,
1875/76), Bd III u. IV als Annuaire d'’économie
sociale (1877/78).
In Bezug auf das Leben Le Plays bleibt die
Hauptquelle La Méthode sociale (s. oben); dazu
Fernand Auburtin, Le Play, in Petite Biblio-
theque économique (Par. 1891); Charles de
Ribbe, Le Play d'’apres sa correspondance (ebd.
1884); A. Riche, Frédéric Le Play (ebd. 1891;
wichtig für das innere Leben des Forschers). Zu
beachten sind die Lebensdaten aus seinen zahlreichen
metallurgischen Werken bei Vapereau, Dictionnaire
universel (1858) 1082. Ferner Mort et obseques.
de Fr. Le Play in Réforme sociale (2. Jahrg.,
Bd l (1881], II (1882) 349/350 u. 423 ff). Zur
allgemeinen Würdigung seiner Forschungen sei hin-
gewiesen auf J. Lacointa, Le Play, in Correspon-
dant, 25. ayril 1882; A. Focillon, La Méthode
scientifiqgue d'observation, in Revue des que-
stions scientifiques, juillet 1879, 334 f; Chevalier,
Cours d'’économie politique III (Par. 1850) 295 fj;
Cochin, La Réforme sociale en France (ebd. 1865);
Dupin, Les Ouvriers européens couronnés par
I'i Académie. Rapport sur le prix de statistique,
in Réforme sociale (2. Jahrg., Bd l, S. 263 ffj);
Duparc, Le Play et les jugements de la presse;
Demolins, Le Play et son ceuvre (Par. 1882);
Baunard, Le Combat de la foi II 358 ff (ebd.
884); Jannet, L'Ecole de Le Play (1882); G.
Michel, Le Play, im Dictionnaire d'économie po-
litique II 130 ff; Higgs, Frédéric Le Play, in
The Quarterly Journal of Economics published
for Harvard University 1890, 408 ff.
Von neuerer Lit. über Le Play ist zu nennen:
J. B. Maur. Vignes, La science sociale d'apres
les principes de Le Play et de ses continuateurs
(2 BDde, Par. 1897); J. Peeters, Le Play et son
Guvre, in Revue Soeciale Catholique X (1906)
344 f 355 ff. — Lippert, Art. „Le Play“, im
Handwörterb. der Staatswissenschaften V (21900);
Alex. v. Brandt, Erbrecht u. ländl. Erbsitten in
Frankreich, in Landwirtsch. Jahrbücher u. Archiv
Liberalismus.
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des preußischen Landesökonomiekollegiums, Jahrg.
900, S. 156 ; Pesch, Lehrbuch der National-
ökonomie I (1905) 350; II (1909) 187.
[Weinand.)
Liberalismus. 1. Das Wort Liberalis-
mus bedeutet keinen einheitlichen Begriff, der nach
Inhalt und Umfang fest begrenzt ist. Doch ist
allen geistigen Richtungen, die als liberal und als
Liberalismus bezeichnet werden, das eine gemein-
sam, daß sie in irgend einer Beziehung als ein
Eintreten für Freiheit und Unabhängigkeit der
Persönlichkeit charakterisiert werden können oder
charakterisiert werden -*!*e Dieses Eintreten
für Freiheit und gegen Gebundenheit ist aber,
ganz abgesehen von den wechselnden Begleit-
erscheinungen, nach Gegenstand, nach Maß und
Ziel so verschieden, daß scharf zwischen den ver-
schiedenen geistigen Strömungen, die den Namen
Liberalismus führen, zu unterscheiden ist. Ganz
allgemein ist zunächst folgende Unterscheidung
festzustellen. Liberalismus bedeutet bald ein Ab-
lehnen innerer geistiger Gebundenheit, bald ein
weitgehendes Verwerfen äußerer gesellschaftlicher,
vor allem staatlicher Bindung des Individuums.
Im ersteren Falle ist der Liberalismus ein philo-
sophisches, in letzterem ein gesellschaftspolitisches
Prinzip.
Als philosophisches Prinzip verlangt
der Liberalismus Autonomie der Vernunft und
volle Selbständigkeit des Individuums im Den-
ken und Wollen und verwirft jede Autorität,
die nicht im Individuum selbst wurzelt; ins-
besondere verwirft er jede Bindung des Menschen
durch eine übernatürliche göttliche Offenbarung.
In Ablehnung jeder Offenbarung verdichtet sich
der philosophische Liberalismus zu einer Welt-
anschauung, die nicht bloß in theoretischem Gegen-
satz steht zu der christlich-religiösen Weltanschau-
ung, sondern mit dieser schließlich in einen scharfen
politischen Machtkampf treten muß. Gewiß sind
Weltanschauungsfragen geistiger Natur. „Aber
das Bestreben der Anhänger von Ideen geht da-
hin, das Fortbestehen dieses geistigen Gutes in
der Gesellschaft, seine Erhaltung und Übermittlung
an die zukünftigen Geschlechter durch die öffent-
lichen Institutionen, das Recht, durch den den
Wechsel der Individuen überdauernden Staat zu
sichern“" (Rothenbücher, Die Trennung von Staat
und Kirche (19081 475). Daher notwendig der
Kampf zwischen christlicher und liberaler Welt-
anschauung um den Staat, der als Organisation
für die Verbreitung der Weltanschauung von beiden
Seiten in Anspruch genommen werden soll, daher
der Kampf um die für die Erhaltung und Fort-
pflanzung einer Weltanschauung so wichtige In-
stitution der Schule. Daher auch die Forderung
des Liberalismus als Weltanschauung, daß Kirche
und Staat getrennt werden. „Durch Schwächung
der religiösen Organisation wünscht man auch die
Macht der durch sie vertretenen Weltanschauung
zu brechen“ (Rothenbücher a. a. O. 112). Von