849
man den vielseitigen Begriff der Freiheit in dem
für das moderne Individuum wichtigsten Sinne
auf, demzufolge sie vom Staate nicht nur nicht
gehinderte, sondern sogar geförderte Betätigung
menschlicher Fähigkeiten bedeutet, so ist das dem
Individuum zustehende Maß solch möglicher Be-
tätigung im raschen Fortschreiten begriffen. Wach-
sende Zivilisation hat für den einzelnen Wachstum
der Möglichkeit, zu handeln, zur Folge.. Das
Ergebnis der Geschichte ist sowohl fortschreitende
Bindung des Menschen als auch fortschreitende
Lösung seiner Banden“ (Jellinek a. a. O. 1 247).
Zur Literatur noch: Gruber, Art. „Liberalis=
mus“, in Wetzer u. Weltes Kirchenlexikon VII:
1898/1944; H. Pesch, Liberalismus, Sozialis=
mus und christliche Gesellschaftsordnung, 3 Tle
(21898/1901);, Dietzel, Art. „Individualismus“,
im Handwörterbuch der Staatswissenschaften IVI
1328/1345; Lexis, Art. „Individualismus“, im
Wörterbuch der Volkswirtschaft II„ 115/118.
(Adolf Ott.)
Liberia. 1. Geschichte. Liberia (Republic
of Liberia), Negerrepublik an der Pfefferküste in
Oberguinea, verdankt seine Entstehung einer Kolo-
nie, die 1822 durch eine philanthropische Gesellschaft
von Nordamerikanern für freigelassene Neger und
eingeborne Afrikaner gegründet wurde. Nachdem
der erste Versuch der „Negeremanzipation“ auf der
Insel Sherboro 1817 mißglückt war, kaufte die seit
1816 bestehende American Colonisation So-
ciety for colonising the free people of colour
of United States 1820 das Land östlich vom
Kap Mesurado, siedelte einige Negerfamilien an
und begründete 1824 eine unabhängige Kolonie
Monrovia (zu Ehren des amerikanischen Präsi-
denten Monroe). 1837 bestanden in der Nachbar-
schaft dieser Niederlassung drei andere, von ähn-
lichen Vereinen angelegte Kolonien, die sich
gegenseitig anfeindeten, bis es dem Gouverneur
Buchanan gelang, sie zu vereinigen. Benachbarte
Stämme von Eingebornen traten dem Bunde bei,
und am 8. Juli 1847 erklärte sich die Ansiedlung
zur selbständigen, freien Republik, die als solche
1848 von England und Frankreich, aber erst 1861
von den Vereinigten Staaten von Amerika an-
erkannt wurde. 1857 schloß sich auch die von der
Maryland Colonisation Society 1884 vom
Kap Palmas bis zum Kap Rio Negro angelegte
Kolonie Maryland dem jungen Freistaate an,
dessen gedeihliche Entwicklung die Ausschließung
der Weißen (Verbot des Landerwerbs für Fremde,
Verbot des Handeltreibens im Innern usw.), end-
lose Kämpfe mit den Eingebornen wegen Erwei-
terung und Abrundung des Grundgebietes, die
aus der englischen Staatsanleihe hervorgegangenen
innern Zerwürfnisse sowie die erst am 11. Nov.
1887 endgültig erledigten Grenzstreitigkeiten mit
Sierra Leone hinderten. — Ob die Schöpfung
der American Colonisation Society von Dauer
sein wird gegenüber den zwei mächtigen Nachbarn,
die durch „Grenzregulierungen“ wiederholt (Groß-
Liberia.
850
britannien 1885/87, Frankreich 1892, 1894 und
1907) sich auf Kosten Liberas vergrößert haben,
erscheint fraglich. Finanziell ist das Land in die
Hände der Engländer gekommen, die die Zoll-
und Finanzverwaltung an sich gebracht und neuer-
dings eine englische Polizeitruppe in Monrovia
eingerichtet haben. Eine Delegation der liberiani-
schen Regierung, die 1908 in Washington und
Berlin sich um eine Garantie der Unabhängigkeit
und Integrität Liberas bemühte, hat in dieser
Hinsicht keinen Erfolg erzielt. Fest steht jedenfalls,
daß die Hoffnung, die Farbigen könnten aus
eigner Kraft ein den Staatsgebilden der Weißen
ähnliches, wirtschaftlich kraftvolles Gemeinwesen
bilden, sich nicht erfüllt hat. Sicher ist auch, daß
aus eignem Antriebe nur selten ein Neger die Ver-
einigten Staaten verläßt, um sich in Liberia an-
zusiedeln, und daß man von dem guten Einfluß,
den die freien Schwarzen auf ihre wilden Nach-
barn ausüben sollten, nur wenig merkt.
2. Bevölkerung; Wirtschaft. Das Ge-
biet der Republik erstreckt sich vom Fluß Mano
über das Kap Palmas hinaus und hat einen
Flächeninhalt von 95 000 qkm mit 1,5 Mill.
Einwohnern; doch ist nur die Küstenzone tatsäch-
lich von der Regierung beherrscht und verwaltet.
Die Hauptstadt Monrovia zählt etwa 8000,
Grand Bassa und Edina an 5000, Harper, der
Hauptort von Maryland, an 3000 Einwohner.
Die Zahl der zivilisierten Neger beträgt 12 000
bis 15 000 (nach Johnston 11 400);, diese eigent-
lichen Liberianer oder „Amerikaner“, Neger und
Mischlinge in allen Farbenabstufungen, wohnen
nur an einigen für Ackerbau und Handel beson-
ders geeigneten Küstenstrichen mit den Kongo= und
Akunegern, die aus Sklavenschiffen befreit sind.
Die Eingebornen (Kru, Mandingo, Bandi usw.,
an 2160.000) verlangen selten Aufnahme in den
Untertanenverband; selbst solche, die im Kindes-
alter Asyl und Erziehung in liberianischen Fa-
milien finden (und das geschieht vielfach), kehren
erwachsen zu den Gewohnheiten ihrer Bäter zurück.
Das fruchtbare Land ist reich an wertvollen
Nutzpflanzen aller Art (Palmen, Olpflanzen, Erd-
nüsse, Bataten, Faserpflanzen usw.), die jedoch
von den Liberianern in ganz unzulänglicher Weise
ausgebeutet werden; von Anbau und Kultur ist
nur bei wenigen Produkten (wie Kaffee) die Rede.
Von den Mineralschätzen (Eisen, Kupfer, Allu-
vialgold, Quecksilber, Blei, Zink usw.) wird bis
jetzt nur etwas Eisen gewonnen. Gewerbliche
Industrie fehlt fast vollständig; dagegen ist der
Handel, der hauptsächlich mit England, den Nieder-
landen, Hamburg und Amerika betrieben wird,
für das Land von hoher Bedeutung. Er ruht vor-
zugsweise in den Händen ausländischer, meist deut-
scher Firmen (Wörmann in Hamburg, Humpl-
mayr und Haag in München, die eine Musterfarm
Neubayern bei Monrovia unterhalten, usw.) und
betrug 1908: 952 488 Dollar in der Einfuhr,
707490 Dollar in der Ausfuhr. Die wichtigsten