Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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man den vielseitigen Begriff der Freiheit in dem 
für das moderne Individuum wichtigsten Sinne 
auf, demzufolge sie vom Staate nicht nur nicht 
gehinderte, sondern sogar geförderte Betätigung 
menschlicher Fähigkeiten bedeutet, so ist das dem 
Individuum zustehende Maß solch möglicher Be- 
tätigung im raschen Fortschreiten begriffen. Wach- 
sende Zivilisation hat für den einzelnen Wachstum 
der Möglichkeit, zu handeln, zur Folge.. Das 
Ergebnis der Geschichte ist sowohl fortschreitende 
Bindung des Menschen als auch fortschreitende 
Lösung seiner Banden“ (Jellinek a. a. O. 1 247). 
Zur Literatur noch: Gruber, Art. „Liberalis= 
mus“, in Wetzer u. Weltes Kirchenlexikon VII: 
1898/1944; H. Pesch, Liberalismus, Sozialis= 
mus und christliche Gesellschaftsordnung, 3 Tle 
(21898/1901);, Dietzel, Art. „Individualismus“, 
im Handwörterbuch der Staatswissenschaften IVI 
1328/1345; Lexis, Art. „Individualismus“, im 
Wörterbuch der Volkswirtschaft II„ 115/118. 
(Adolf Ott.) 
Liberia. 1. Geschichte. Liberia (Republic 
of Liberia), Negerrepublik an der Pfefferküste in 
Oberguinea, verdankt seine Entstehung einer Kolo- 
nie, die 1822 durch eine philanthropische Gesellschaft 
von Nordamerikanern für freigelassene Neger und 
eingeborne Afrikaner gegründet wurde. Nachdem 
der erste Versuch der „Negeremanzipation“ auf der 
Insel Sherboro 1817 mißglückt war, kaufte die seit 
1816 bestehende American Colonisation So- 
ciety for colonising the free people of colour 
of United States 1820 das Land östlich vom 
Kap Mesurado, siedelte einige Negerfamilien an 
und begründete 1824 eine unabhängige Kolonie 
Monrovia (zu Ehren des amerikanischen Präsi- 
denten Monroe). 1837 bestanden in der Nachbar- 
schaft dieser Niederlassung drei andere, von ähn- 
lichen Vereinen angelegte Kolonien, die sich 
gegenseitig anfeindeten, bis es dem Gouverneur 
Buchanan gelang, sie zu vereinigen. Benachbarte 
Stämme von Eingebornen traten dem Bunde bei, 
und am 8. Juli 1847 erklärte sich die Ansiedlung 
zur selbständigen, freien Republik, die als solche 
1848 von England und Frankreich, aber erst 1861 
von den Vereinigten Staaten von Amerika an- 
erkannt wurde. 1857 schloß sich auch die von der 
Maryland Colonisation Society 1884 vom 
Kap Palmas bis zum Kap Rio Negro angelegte 
Kolonie Maryland dem jungen Freistaate an, 
dessen gedeihliche Entwicklung die Ausschließung 
der Weißen (Verbot des Landerwerbs für Fremde, 
Verbot des Handeltreibens im Innern usw.), end- 
lose Kämpfe mit den Eingebornen wegen Erwei- 
terung und Abrundung des Grundgebietes, die 
aus der englischen Staatsanleihe hervorgegangenen 
innern Zerwürfnisse sowie die erst am 11. Nov. 
1887 endgültig erledigten Grenzstreitigkeiten mit 
Sierra Leone hinderten. — Ob die Schöpfung 
der American Colonisation Society von Dauer 
sein wird gegenüber den zwei mächtigen Nachbarn, 
die durch „Grenzregulierungen“ wiederholt (Groß- 
Liberia. 
  
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britannien 1885/87, Frankreich 1892, 1894 und 
1907) sich auf Kosten Liberas vergrößert haben, 
erscheint fraglich. Finanziell ist das Land in die 
Hände der Engländer gekommen, die die Zoll- 
und Finanzverwaltung an sich gebracht und neuer- 
dings eine englische Polizeitruppe in Monrovia 
eingerichtet haben. Eine Delegation der liberiani- 
schen Regierung, die 1908 in Washington und 
Berlin sich um eine Garantie der Unabhängigkeit 
und Integrität Liberas bemühte, hat in dieser 
Hinsicht keinen Erfolg erzielt. Fest steht jedenfalls, 
daß die Hoffnung, die Farbigen könnten aus 
eigner Kraft ein den Staatsgebilden der Weißen 
ähnliches, wirtschaftlich kraftvolles Gemeinwesen 
bilden, sich nicht erfüllt hat. Sicher ist auch, daß 
aus eignem Antriebe nur selten ein Neger die Ver- 
einigten Staaten verläßt, um sich in Liberia an- 
zusiedeln, und daß man von dem guten Einfluß, 
den die freien Schwarzen auf ihre wilden Nach- 
barn ausüben sollten, nur wenig merkt. 
2. Bevölkerung; Wirtschaft. Das Ge- 
biet der Republik erstreckt sich vom Fluß Mano 
über das Kap Palmas hinaus und hat einen 
Flächeninhalt von 95 000 qkm mit 1,5 Mill. 
Einwohnern; doch ist nur die Küstenzone tatsäch- 
lich von der Regierung beherrscht und verwaltet. 
Die Hauptstadt Monrovia zählt etwa 8000, 
Grand Bassa und Edina an 5000, Harper, der 
Hauptort von Maryland, an 3000 Einwohner. 
Die Zahl der zivilisierten Neger beträgt 12 000 
bis 15 000 (nach Johnston 11 400);, diese eigent- 
lichen Liberianer oder „Amerikaner“, Neger und 
Mischlinge in allen Farbenabstufungen, wohnen 
nur an einigen für Ackerbau und Handel beson- 
ders geeigneten Küstenstrichen mit den Kongo= und 
Akunegern, die aus Sklavenschiffen befreit sind. 
Die Eingebornen (Kru, Mandingo, Bandi usw., 
an 2160.000) verlangen selten Aufnahme in den 
Untertanenverband; selbst solche, die im Kindes- 
alter Asyl und Erziehung in liberianischen Fa- 
milien finden (und das geschieht vielfach), kehren 
erwachsen zu den Gewohnheiten ihrer Bäter zurück. 
Das fruchtbare Land ist reich an wertvollen 
Nutzpflanzen aller Art (Palmen, Olpflanzen, Erd- 
nüsse, Bataten, Faserpflanzen usw.), die jedoch 
von den Liberianern in ganz unzulänglicher Weise 
ausgebeutet werden; von Anbau und Kultur ist 
nur bei wenigen Produkten (wie Kaffee) die Rede. 
Von den Mineralschätzen (Eisen, Kupfer, Allu- 
vialgold, Quecksilber, Blei, Zink usw.) wird bis 
jetzt nur etwas Eisen gewonnen. Gewerbliche 
Industrie fehlt fast vollständig; dagegen ist der 
Handel, der hauptsächlich mit England, den Nieder- 
landen, Hamburg und Amerika betrieben wird, 
für das Land von hoher Bedeutung. Er ruht vor- 
zugsweise in den Händen ausländischer, meist deut- 
scher Firmen (Wörmann in Hamburg, Humpl- 
mayr und Haag in München, die eine Musterfarm 
Neubayern bei Monrovia unterhalten, usw.) und 
betrug 1908: 952 488 Dollar in der Einfuhr, 
707490 Dollar in der Ausfuhr. Die wichtigsten
	        
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