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Rede über das Papsttum, schließend mit denselben seiner parlamentarischen Tätigkeit hervortritt, aber
Worten, mit denen 53 Jahre vorher Professor zur praktischen Mitarbeit kam er selten, wie er
v. Buß die erste Katholikenversammlung zu Mainz auch von seiner Stellung als Vorsitzender der
beschloß;: „Mit Mut voran, voran unter dem Sektion der Görres-Gesellschaft für Rechts- und
Kreuze!“ Es war das letzte Wort, das er bei Sozialwissenschaft nur sparsamen Gebrauch machte
öffentlicher Gelegenheit gesprochen hat. und auf die Mitarbeit an ihrem Staatslexikon
Lieber war ein aufrichtiger Christ von tief verzichtete. Er hatte ohne Zweifel durchaus das
gläubiger Gesinnung, aber ohne Aufdringlichkeit Zeug zu einem hervorragenden Gelehrten und
und verletzende Schärfe gegen Andersgesinnte. wäre sicher ein solcher geworden, wenn er nicht
Er hat in den kirchenpolitischen Kämpfen der die politische Laufbahn eingeschlagen hätte. Daß
70er Jahre wahrlich seinen Mann gestanden, es anders kam, braucht man nicht zu beklagen: in
gelegentlich auch von seiner gründlichen Kenntnis seiner Konzentration auf religiöse und politische
der Reformationsgeschichte polemischen Gebrauch Aufgaben ist er eine Figur aus einem Guß, treu
gemacht, aber man wird ihm nicht leicht ein wirk= und fest, mit heldenmütiger Selbstverleugnung,
lich verletzendes Wort nachweisen können. Wenn ohne Wanken und Schwanken einem Ziele zu-
er als Politiker die Freiheitsrechte seiner Kirche gewandt. Im Leben bitter angefeindet, unter
vertrat, so entsprach das vollkommen seiner tief schweren körperlichen Leiden und nicht minder
religiösen Uberzeugung, die er durch gründliche schweren Arbeiten und Sorgen ausharrend bis
Studien vertieft und sein ganzes Leben hindurch zur äußersten Grenze der Möglichkeit, hat er im
festgehalten hatte, die ihn noch wenige Stunden Tode in reichem Maße die ehrliche Anerkennung
vor seinem Tode sagen ließ: „Niemals habe ich auch seiner Gegner gefunden.
meinen katholischen Glauben verleugnet, auch Eigentliche Literatur über K. existiert wenig,
nicht eine halbe Minute.“ Dieser ÜUberzeugung mit Ausnahme zerstreuter biographischer Aussätze
entsprach auch sein Privatleben. Die Worte, die u. Nekrologe. Aus der Flut der letzteren verdient
er in den Totenzettel seiner Mutter (gest. 1. März hervorgehoben zu werden: Gedächtnisrede auf den
1872) schrieb: „Groß im Glauben, einfach im verewigten Zentrumsführer Dr E. M. L., gehalten
Wandel, zu jedem Opfer mit Freude willig, bei der Trauerfeier des katholischen Kasinos Re-
--- - -- gensburg am 3. April 1902 von Heinrich Held.
gottesfürchtig und pflichttreu in jeder Lage des Ferner die Monographie von M. Spahn, E.
Lebens“, darf man auch auf ihn anwenden. Das /8 Parlamentaries 0e, on ½ —
Bild eines schönen Familienlebens, das ihm seine « ·
Eltern vorgezeichnet, hat sich bei ihm wiederholt. Liechtenstein. 1. Geschichte. Liechten-
Seiner Frau, einer Tochter des Berliner Kom= stein, deutsches Fürstentum und nächst Monaco
missionsrats Arnold, war er fast 30 Jahre lang die kleinste Monarchie Europas, gehörte als ein
(seit 1873) ein treuer Gatte, seinen 12 Kindern, Teil Alemanniens zum deutschen Reiche, mit dem
von denen ihn 10 überlebten, ein besorgter Vater. es bis zu dessen Auflösung verbunden blieb. Unter
Wenner die Parlamentsferien nicht zu Agitations= den kleineren Ständen des Herzogtums Schwaben,
versammlungen oder für eine seiner wiederholten die nach dem Aussterben der Hohenstaufen unter
Reisen zu den großen Versammlungen der deutschen der Aussicht von Landvögten und kaiserlichen Land-
Glaubensgenossen in Nordamerika ausnutzte, suchte gerichten eine gewisse Selbständigkeit genossen,
er in dem kleinen Landstädtchen, in dem er ge= finden sich auch die Grafschaft Vaduz und die
boren war und gestorben ist, Erholung im Kreise Herrschaft Schellenberg, die im Laufe der Zeit
der Seinigen; allerdings wurde diese noch oft reichsunmittelbar wurden. Im Jahre 1317 gingen
genug gestört durch seine rege Beteiligung an der beide aus dem Besitze der Grafen von Montfort
Verwaltung seiner Heimatprovinz und seiner an die Grafen von Werdenberg; nachdem die
Vaterstadt — er war Mitglied des hessen-nas= Vaduzer Linie der letzteren erloschen war, fielen
sauischen Provinzial-Landtags und - Ausschusses die Landschaften 1416 an die Freiherren von
sowie Magistratsvorsteher von Camberg. Hatte Brandis, 1510 an die Grafen zu Sulz und 1613
er einmal wirklich Ruhe, so trieb er gern Haus= an die Grafen zu Hohenembs. 1699 kam Schellen-
musik und wissenschaftliche, literarische, selbst berg, 1712 Vaduz durch Kauf an das Haus
mathematische und astronomische Studien. In Liechtenstein und wurden unter dem Namen des
früheren Jahren hat er die Ergebnisse derselben neuen Herrschergeschlechtes zu einem Fürstentum
häufiger in öffentlichen Vorträgen zusammen= vereinigt. — Die Stammreihe der Liechtensteiner
gefaßt, so über de Maistre, die Pariser Kommune, beginnt mit einem 1143 erwähnten Hugo von
das moderne Theater, die Märchen Klemens Liechtenstein; Heinrich I. von Liechtenstein erhielt
Brentanos — für die späteren Quellenunter= 1249 von Ottokar II. die Herrschaft Nikolsburg
suchungen über diese Märchen hat er die Wege in Mähren; die danach benannte mährische Linie
gewiesen. Zu schriftstellerischer Tätigkeit dagegen erlosch im 16. Jahrhundert. Die Söhne Hart-
hat er keine Zeit gefunden; die Literaturkalender manns IV., Karl und Gundakar, begründeten
verzeichnen in dieser Hinsicht nichts. Wissenschaft= 1591 zwei nach ihnen benannte Linien, von denen
lichen Bestrebungen verschiedener Art brachte er die ältere am 20. Dez. 1608 in den Reichsfürsten-
ein lebhaftes Interesse entgegen, das oft auch in stand erhoben wurde, am 28. Dez. 1613 das Her-