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Essay, bie Zersetzung des metaphysischen Begriffs
der Substanz, wirklich erreicht wäre, dann nicht
bloß die Grunddogmen der Theologie, z. B. die
Trinität u. a., sondern die Fundamente der Wissen-
schaft schlechthin erschüttert wären.
Eine der schärfsten Kritiken der Philosophie
Lockes, namentlich des Essay, erschien 1697 von
einem katholischen Geistlichen, John Sergeant: So-
lid Philosophy, asserted against the Fancies
ofthe Ideists; eine andere, der Anti-Skepticism,
von Heury Lee. Weitere Gegner waren Dekan
Sherlock, John Broughton, Thomas Burnet, der
bedeutendste von allen aber Leibniz. Daß dadurch
der Essay Lockes das Interesse der Gebildeten
von Europa erregte, liegt nahe. Noch wichtiger
aber war es, daß Locke sich genau auf dem Bil-
dungsniveau der Masse zu bewegen wußte, daß
er im Geiste derselben sprach. Im Jahre 1700
erschien die vierte Auflage des Essay. Wenige
waren es ehedem und sind es heute, welche, wie
Sergeant, Stillingfleet, Leibniz, die geistreich ver-
steckte Oberflächlichkeit und Sophistik Lockes ans
Tageslicht kehren. Den Massen gilt Locke, der
geistreiche, sensualistische Skeptiker, als der Be-
gründer der Erfahrungswissenschaft. Er starb am
28. Okt. 1704 zu Oates (Essex).
Seine oben dargelegte Erkenntnistheorie ist die
Grundlage seiner Erfahrungswissenschaft und
seiner Staatslehre. Oftmals bezeichnet Locke als
Quelle der Erfahrung, der Ideen und der Wissen-
schaft überhaupt die Sinneswahrnehmung (sen-
sation); ja diese selbst nennt er zweideutig „Idee“.
In diesem Sinne gilt er mit Recht als Empirist
und Materialist. Nicht selten aber beruft er sich
auf eine zweite Quelle des Wissens, nämlich auf
die „Reflexion". Diese ist der ideale oder intellek-
tuale Faktor und selbst bei dem heftigsten Gegner
alles „Angeborenseins“ der Ideen sogar das
eigentliche logische a priori oder die conditio sine
dua non aller rein geistigen Erkenntnisse. Diese
notwendigen Wahrheiten „haben ihre eigne
Evidenz in sich und wachen in jedem vernünftigen
Geiste auf“, sie „bedürfen keines andern Be-
weises“ (b. 1, ch. 3, § 4). Deshalb z. B. sind
die Axiome der Mathematik von unbedingter Gel-
tung. Aus diesem Grunde ist Locke von der
demonstrativen Beweisbarkeit Gottes überzeugt,
und die Negation derselben zersetzt nach seiner
Überzeugung alle Vernunft, führt in bodenlosen
Skeptizismus. Darum ist der Abhheist von der
Toleranz ausgeschlossen. In diesem Sinne beruft
sich Locke auf die objektive Gültigkeit der Wahr-
heit, welche sich „nicht durch Komplimente drehen
und wenden lasse“. Gleichwohl ist der leitende
Grundgedanke Lockes der Nominalismus, dem die
Wahrheit nur subjektive Bedeutung als Ver-
knüpfung von Urteilen und Schlüssen einen Wert
hat, für den es überhaupt keine Metaphysik, keinen
Substanzbegriff, keine objektiv gültigen Gesetze
gibt. Daher spielt in allen Schriften Lockes trotz
der scheinbaren Glätte und Klarheit das Schwan-
Lohn.
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ken des Sprachgebrauches, die Vieldeutigkeit der
Begriffe eine so große Rolle. Für praktische Dinge
dagegen hat Locke ein scharfes Auge. Hundert
Jahre vor der Erfindung der Spinnmaschine be-
schreibt er in einem Briefe aus Lyon 1678 eine
derartige Maschine, welche „auf einmal 134
Spulen sowohl spinnt als aufwindet“. Ein Jahr-
hundert vor dem Ausbruch der französischen Revo-
lution berechnete er zifferngemäß, daß die damaligen
Feudalverhältnisse in Frankreich zu einer Krifis
führen müßten. Ob er eine Ahnung davon hatte,
daß dieselbe gerade in den von ihm eingeschlagenen
Wegen sich vollziehen werde? Locke war kein
schöpferischer Geist für neue Ideen und Bahnen,
aber dadurch, daß er praktisch und klar die End-
resultate der englischen Revolution auf religiösem,
politischem und wirtschaftlich sozialem Boden zu
sormulieren verstand, trug er nicht wenig bei,
der kontinentalen Revolution ihre leitenden Ideen
zu geben; auf ihm fußten in Frankreich Mon-
tesquieus Staatsidee, Voltaires christentumfeind-
liche Toleranz und J. J. Rousseaus Sozial-
anschauungen.
Literatur. Gesamtausgabe der Werke in
10 Bdu (Lond. 1810 (danach obige Nachweisel u. ö.),
zuletzt in 9 Bdn (Lond. 1853). Zahlreiche Einzelaus-
gaben der Hauptschriften. Die älteste Lebensbeschrei-
bung ist das Eloge in der Bibliothèque choisie
(1703/13) von Le Clerc vom Jahre 1705. Dann
sind besonders wichtig: Life of Locke von Lord
King (1830, neue Ausgabe 1858) u. Bourne, Life
of Locke (1876); Hinrichs, Geschichte der Rechts-
u. Staatsprinzipien seit der Reformation I1 (1848)
216/240; Schärer, IJ. L., seine Verstandstheorie
u. seine Lehren über Religion, Staat u. Erziehung
(1860); v. Hertling, J. L. (1892); ders. in Wetzer
u. Weltes Kirchenlexikon VIII2 67 ff; R. Metzner,
Die Staatstheorie des J. L. (Dissert., Berlin 1903);
Ch. Bastide, John Locke. Ses théories politiques
et leur infuence en Angleterre (Par. 1907).
[J. Bach, rev. Ettlinger.)]
Lohn. (Begriff und Wesen; Die Bestim-
mungsgründe des Lohnes unter der Herrschaft
von Angebot und Nachfrage; Das Problem des
gerechten Lohnes; Elemente des gerechten Lohnes;
Der sog. Gesellschaftscharakter des Lohnvertrages;
Familien= oder Individuallohn.)
I. Begriff und Wesen. Lohn ist, im weiteren
Sinne verstanden, jedes Einkommen, welches
durch besondern Vertrag für die Leistung von
Arbeit zwischen zwei Kontrahenten ausbedungen
wird, also ein Entgelt für eine bestimmte Leistung.
Die möglichen Formen sind Gehalt, Honorar und
Lohn im engeren Sinne. Dieser ist der vertrags-
mäßige Entgelt bei nicht fester, dauernder An-
stellung für niedrigere, überwiegend körperliche
Arbeitsleistungen. Von diesem ist im nachfolgen-
den die Rede.
Der Lohn in diesem Sinne ist volkswirtschaftlich
und sozialpolitisch von der größten Bedeutung.
Denn der Arbeitslohn bildet in der Regel das
ausschließliche Einkommen der Lohnarbeiter und