887
Diese Ausführungen eines angesehenen Natio-
nalökonomen stehen jedoch mit der bisher all-
gemein gehegten Anschauung in Widerspruch. Ins-
besondere haben sich die mittelalterlichen Theologen
viel mit dem Problem des gerechten Preises bzw.
Lohnes beschäftigt. An der Behauptung, wie sie
Schönberg ausspricht, ist nur soviel außer allem
Zweifel, daß sich die Anteile derjenigen, die zum
Zustandekommen eines Produktes zus irken,
daß sich insbesondere die verschiedenen Arbeits-
leistungen, die geistigen und die körperlichen, nicht
mit mathematischer Genauigkeit bestimmen lassen.
Der gerechte Arbeitslohn ist nicht auf einen Punkt
fixiert, ebensowenig wie der Begriff Wärme oder
Kälte an einen bestimmten Grad des Thermometers,
etwa den Nullpunkt, gebunden ist. Er ist vielmehr
eine variable Größe, die in einem gewissen Spiel-
raum sich bewegen kann. Seit alters haben daher
die katholischen Moralisten den gerechten Preis
als einen höchsten, mittleren und niedersten unter-
schieden (S. Thom., S. th. 2, 2, q. 77, à. 1, c.).
Aber es lassen sich immerhin ganz bestimmte
Postulate der Gerechtigkeit geltend
machen, die uns ein moralisch sicheres Urteil über
die gerechte Lohnhöhe ermöglichen. Dies wird
auch von solchen zugegeben, welche das Problem
des gerechten Lohnes für unlösbar halten. „Wohl
lassen sich für den Lohn und die Lohnhöhe einzelne
Forderungen der Gerechtigkeit aufstellen, so die
Forderung, daß die Arbeiter einen Lohn erhalten |"
Lohn.
888
dukt genau berechnet. Doch auch mit einer solchen
negativen Grenzbestimmung ist schon etwas ge-
wonnen, auch wenn man Schönberg einräumen
will, daß „das einzig berechtigte Prinzip, den
Ertrag so zu teilen, daß jeder der beteiligten Pro-
duktionsfaktoren seinen Anteil nach Maßgabe
seiner Mitwirkung an der Gesamtleistung und
dem Ertrage erhalte“, praktisch nichts hilft, weil
es unmöglich ist zu ermitteln, welchen Anteil die
individuelle Leistung der einzelnen produktiven
Kräfte an dem Gesamtresultat hat (ebd.).
Esist gegenüber solchen Versuchen, das Problem
der gerechten Lohnzahlung als unlösbar beiseite
zu schieben, mit Nachdruck zu betonen: Wenn
irgendwo im wirtschaftlichen Leben, so müssen bei
Festsetzung des Lohnvertrages die Postulate der
Gerechtigkeit zur Durchführung gelangen. Der
Sozialwissenschaft fällt die Aufgabe zu, im Verein
mit der Moraltheologie aus den ewigen natur-
rechtlichen Grundsätzen über den gerechten Lohn,
welchen die alten, bewährten Moralisten nur auf
die Hausdiener anzuwenden Veranlassung hatten,
diejenigen Folgerungen abzuleiten, vermöge deren
das moderne Verhältnis zwischen Arbeiter und
Unternehmer auf der Basis der Gerechtigkeit ge-
ordnet werden kann (Klopp. Die sozialen Lehren
des Frhr K. v. Vogelsang (18941 369 f).
IV. Elemente des gerechten Lohnes. Da-
mit der Lohn der ausgleichenden Gerechtigkeit
entspreche, muß er enthalten a) den Wiederersatz
sollen, wenn ihre Leistung für andere nützlich und der vom Arbeiter während des Arbeitstages ver-
wertvoll ist, und daß die Lohnhöhe variieren soll ausgabten Kräfte durch den nötigen Unterhalt
nach Maßgabe der Arbeitsleistungen, damit, wer (Nahrung, Kleidung, Wohnung). Da der Ar-
quantitativ oder qualitativ mehr leistet, auch einen beiter nicht ohne Pausen fortarbeiten kann, muß
höheren Lohn empfange als derjenige, welcher der Lohn ihm auch den Unterhalt für die not-
weniger leistet. Und man kann es auch als eine wendigen Ruhetage (Sonn= und Feiertage) ge-
Forderung der Gerechtigkeit hinstellen, daß die währen. b) Den Wiederersatz der Auslagen, die
Löhne entsprechen sollen dem Werte der Arbeiter (bzw. dessen Eltern) zu machen hatte,
der Arbeitsleistung für die Konsumenten um sich die für seinen Beruf notwendigen Kennt-
derselben und dem Preise, welchen diese dafür nisse und Fertigkeiten anzueignen, also die Kosten,
zahlen. Der Grund dieser Forderung ist, daß die durch Unterhalt und Erziehung bis zum arbeits-
auch hier die Preisbildung eine analoge sein sollte fähigen Alter erwuchsen. c) Wie der Unternehmer
wie bei andern Preisen“ (Schönberg, Handwörter= im Preise seiner Waren außer dem Kostenersatz
buch 12 882). für Material und Arbeit eine Amortisation des in
Solche Gesichtspunkte geben immerhin einen Gebäuden, Maschinen usw. investierten Kapitals
Maßstab zur Bestimmung des gerechten Arbeits= beansprucht, ebenso muß der Arbeiter den Ersatz
lohnes an die Hand, und nur, wenn man den= für den allmählichen Verbrauch seiner Arbeits-
selben für eine mathematisch genau festzustellende kraft, seines „Kapitals“, beanspruchen dürfen, sei
Größe hält, kann man Schönberg beipflichten, es, daß ihm derselbe in einem Zuschlag zum Tag-
daß mit diesen Forderungen, so sehr sie als be= lohn oder im Wege der Alters= und Invaliditäts-
rechtigte und gerechte anzuerkennen seien, kein versicherung gewährt wird. d) Wenn des weiteren
Maßstab für die Normierung der gerechten Lohn= der Fabrikant mit Rücksicht auf gewisse Gefahren
höhe im konkreten Fall (für jeden einzelnen Ar= einen Preiszuschlag vornehmen darf, kann der
beiter bzw. für jede einzelne Arbeiterklasse) zu ge- Arbeiter auch einen Ersatz des Risikos, das ihm
winnen sei. Aber man muß eben darauf verzichten aus den Schwankungen der Produktion für die
wollen, die einzelnen Anteile am Ertrage haar= Verwertung seiner Arbeitskraft erwächst, des-
scharf auszuscheiden. Man wird sich stets mit einer gleichen einen Ersatz für die Ubernahme von Ge-
billigen Schätzung begnügen müssen. Man fahr für Leben und Gesundheit beanspruchen,
kann vielleicht im einzelnen Falle leichter sagen, außer der Arbeitgeber nehme die Gefahr ganz auf
was sicher eine ungerechte Entlohnung ist, als seine Schultern (Biederlack, Die soziale Frage
wie hoch sich der Anteil des Arbeiters am Pro= ([/1899)] 126 ff). Ahnlich kommen in Betracht be-