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sondere persönliche Unannehmlichkeiten
der Arbeit, welche durch höheren Lohn aufgewogen
werden müssen. Die schmutzige Hantierung des
Köhlers, Schornsteinfegers sowie die in mancher
Hinsicht so widerwärtige Arbeit des Fleischhauers
verlangen eine gute Bezahlung, während andere
Geschäfte, die an sich Vergnügen machen und eben
darum von vielen bloß des Vergnügens halber
getrieben werden, ihrem gewerbsmäßigen Betreiber
vergleichsweise nur wenig eintragen, z. B. Jagd
und Fischerei (Roscher, Grundlagen?! 450).
Es ist somit nicht lediglich Angebot und Nach-
frage und der auf Grund derselben eingegangene
Arbeitsvertrag für die Höhe des gerechten Lohnes
entscheidend. Wäre das der Fall, so könnte der
Lohn so gering werden, daß er dem Arbeiter für
den täglichen Unterhalt nicht genügt, sondern nur
eine Lebenshaltung gestattet, bei der Leib und
Seele gerade noch zusammengehalten werden, also
dem Arbeiter nicht einmal den Selbstkostenpreis
seiner täglichen Arbeitsleistung ersetzt. Dieser be-
zeichnet die Untergrenze des Lohnes, unter welche
derselbe, ohne die Gerechtigkeit zu verletzen, nicht
herabsinken darf. Wie weit er sich über dieselbe
erhebt, wird wesentlich vom Wert der Arbeit für
den Unternehmer und insofern auch von Angebot
und Nachfrage bedingt sein.
Lassen sich alle diese Elemente, welche für den
gerechten Mindestlohn in Betracht kommen, theo-
retisch ohne viel Schwierigkeit angeben, so ist doch
die genaue Bestimmung des Lohnes in der Praxis
äußerst schwierig, weil manche in Geld nur schwer
abschätzbare Einzelheiten zu berücksichtigen sind.
In dem Recht auf den zur menschenwürdigen
Existenz erforderlichen Lohn hat eventuell der
Staat die Arbeiter zu schützen. Sowenig das
Recht des Staates theoretisch zweifelhaft sein kann,
einen gesetzlichen Minimallohn zu bestimmen,
der dem Arbeiter ein menschenwürdiges Auskommen
verbürgt, sowenig sollen die Schwierigkeiten ver-
kannt sein, die bei Lösung dieser Aufgabe in der
Praxis für den Staat sich ergeben; er wird des-
halb für die Regel nur bei einer offenbaren Not-
lage der Arbeiter in die Reglung der Lohnverhält-
nisse unmittelbar eingreifen. Besser ist es, wenn
die in Gewerkschaften koalierten Arbeiter gemein-
sam mit den Arbeitgebern im kollektiven
Arbeitsvertrag den Lohn stipulieren. „Die
Koalition gibt den Arbeitern das Mittel, jene
Lohnhöhe im Lohnvertrage zu erringen, welche
ohne Schädigung des wirtschaftlichen Organis=
mus, ohne Schädigung der ökonomischen Ge-
samtinteressen gezahlt werden kann“ (Zwiedineck=
Südenhorst. Lohnpolitik 382). Unüberwindlich
sind die Schwierigkeiten keineswegs, die sich der
Durchführung des Minimallohnes entgegenstellen
und die meist der von derchristlichen Sozialpolitik
gestellen Forderung einer eventuellen staatlichen
Festsetzung eines Minimallohnes entgegengehalten
wurden aus unberechtigter Scheu vor Einmischung
des Staates in das Wirtschaftsleben. Gerade in
Lohn.
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neuester Zeit hat der Minimallohn, sowohl der
obrigkeitliche (durch Staats-oder Gemeinde-
behörde angeordnete) als der korporative (von
den Gewerkschaften erkämpfte), die schönsten Er-
folge aufzuweisen (ugl. Klien, Minimallohn und
Arbeiterbeamtentum).
An das Problem des gerechten Lohnes knüpfen
sich einige wichtige Streitfragen, welche besonders
innerhalb der Kreise der katholischen Sozialpoli-
tiker mit großem Scharfsinn behandelt worden
sind: die Frage, ob der Lohnvertrag seinem Wesen
nach einen Gesellschaftsvertrag mit Ge-
winnbeteiligung darstelle, und ob der gerechte
Lohn Familienlohnseein, d. h. den Unterhalt
einer Familie ermöglichen müsse.
V. Der sog. Oesellschaftscharakter des
Tohnvertrages. Im Anschluß an die sog. Hai-
der Thesen, welche auf einer Zusammenkunft
katholischer Sozialpolitiker auf Schloß Haid in
Böhmen gefaßt worden waren, entspann sich ein
heftiger Streit über die Frage, ob es nicht im
Wesen des gerechten Lohnvertrages gelegen sei,
daß der Arbeiter, der an der Herstellung eines
Produktes mitwirke, auch am Gewinn, den der
Unternehmer aus dem Geschäfte zieht, teilzunehmen
berechtigt sei. Der Streit dauerte bis in die Gegen-
wart herein fort, ohne daß die Vertreter des Ge-
winnbeteiligungsgedankens von der eifrigen Ver-
fechtung ihrer Ideen abgelassen hätten. Männer
wie A. M. Weiß 0. Pr., Frhr v. Vogelsang,
Ratzinger, Scheicher, Klopp u. a. streben
eine Anderung des Arbeitsvertrages in diesem
Sinne an, während anderseits ein Lehmkuhl,
H. Pesch u. a. ebenso entschieden daran festhalten,
daß der Unternehmer, der den Arbeiter für seine
Leistung entschädigt, Herr des Produktes wird
und als solcher allein die Chancen des Gewinnes
und Verlustes trägt. Zu einem tieferen Eingehen
auf diese interessante Streitfrage gebricht es hier
an Raum; es kann hier nur eine Skizzierung der
Hauptgedanken beabsichtigt sein. Am eingehendsten
hat A. M. Weifß in seiner Schrift „Die Gesetze
für Berechnung von Kapitalzins und Arbeitslohn“
die Gewinnbeteiligungsidee vertreten. Er bestreitet,
daß, was wir heute Arbeitslohn nennen, dem
Lohnbegriff gerecht werde. „Wir müssen da wohl
unterscheiden zwischen den Kosten der Arbeit und
dem Lohne der Arbeit. Wenn ein Herr einen
Sklaven hält, den er wie eine Sache kauft und
verkauft und wie ein Werkzeug für sich arbeiten
läßt, so fällt es ihm natürlich nicht ein, diesem
Lohn zu zahlen. Indes, er nährt ihn gut, vielleicht
besser als einen Taglöhner oder Diener, dem er
Lohn bezahlen muß, weil er aus jenem sein Kapital
herausschlagen will. . . . Aber das, was er dafür
ausgibt, nennt kein Mensch Lohn, sondern ledig-
lich Schadenersatz, d. h. Rückerstattung der für den
Herrn verbrauchten Arbeitskraft, oder Voraus-
bezahlung dessen, was der Sklave durch die Arbeit
alsbald wieder für ihn auszugeben hat. Aus dem-
selben Grunde fällt es auch keinem Menschen bei,