Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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sondere persönliche Unannehmlichkeiten 
der Arbeit, welche durch höheren Lohn aufgewogen 
werden müssen. Die schmutzige Hantierung des 
Köhlers, Schornsteinfegers sowie die in mancher 
Hinsicht so widerwärtige Arbeit des Fleischhauers 
verlangen eine gute Bezahlung, während andere 
Geschäfte, die an sich Vergnügen machen und eben 
darum von vielen bloß des Vergnügens halber 
getrieben werden, ihrem gewerbsmäßigen Betreiber 
vergleichsweise nur wenig eintragen, z. B. Jagd 
und Fischerei (Roscher, Grundlagen?! 450). 
Es ist somit nicht lediglich Angebot und Nach- 
frage und der auf Grund derselben eingegangene 
Arbeitsvertrag für die Höhe des gerechten Lohnes 
entscheidend. Wäre das der Fall, so könnte der 
Lohn so gering werden, daß er dem Arbeiter für 
den täglichen Unterhalt nicht genügt, sondern nur 
eine Lebenshaltung gestattet, bei der Leib und 
Seele gerade noch zusammengehalten werden, also 
dem Arbeiter nicht einmal den Selbstkostenpreis 
seiner täglichen Arbeitsleistung ersetzt. Dieser be- 
zeichnet die Untergrenze des Lohnes, unter welche 
derselbe, ohne die Gerechtigkeit zu verletzen, nicht 
herabsinken darf. Wie weit er sich über dieselbe 
erhebt, wird wesentlich vom Wert der Arbeit für 
den Unternehmer und insofern auch von Angebot 
und Nachfrage bedingt sein. 
Lassen sich alle diese Elemente, welche für den 
gerechten Mindestlohn in Betracht kommen, theo- 
retisch ohne viel Schwierigkeit angeben, so ist doch 
die genaue Bestimmung des Lohnes in der Praxis 
äußerst schwierig, weil manche in Geld nur schwer 
abschätzbare Einzelheiten zu berücksichtigen sind. 
In dem Recht auf den zur menschenwürdigen 
Existenz erforderlichen Lohn hat eventuell der 
Staat die Arbeiter zu schützen. Sowenig das 
Recht des Staates theoretisch zweifelhaft sein kann, 
einen gesetzlichen Minimallohn zu bestimmen, 
der dem Arbeiter ein menschenwürdiges Auskommen 
verbürgt, sowenig sollen die Schwierigkeiten ver- 
kannt sein, die bei Lösung dieser Aufgabe in der 
Praxis für den Staat sich ergeben; er wird des- 
halb für die Regel nur bei einer offenbaren Not- 
lage der Arbeiter in die Reglung der Lohnverhält- 
nisse unmittelbar eingreifen. Besser ist es, wenn 
die in Gewerkschaften koalierten Arbeiter gemein- 
sam mit den Arbeitgebern im kollektiven 
Arbeitsvertrag den Lohn stipulieren. „Die 
Koalition gibt den Arbeitern das Mittel, jene 
Lohnhöhe im Lohnvertrage zu erringen, welche 
ohne Schädigung des wirtschaftlichen Organis= 
mus, ohne Schädigung der ökonomischen Ge- 
samtinteressen gezahlt werden kann“ (Zwiedineck= 
Südenhorst. Lohnpolitik 382). Unüberwindlich 
sind die Schwierigkeiten keineswegs, die sich der 
Durchführung des Minimallohnes entgegenstellen 
und die meist der von derchristlichen Sozialpolitik 
gestellen Forderung einer eventuellen staatlichen 
Festsetzung eines Minimallohnes entgegengehalten 
wurden aus unberechtigter Scheu vor Einmischung 
des Staates in das Wirtschaftsleben. Gerade in 
Lohn. 
  
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neuester Zeit hat der Minimallohn, sowohl der 
obrigkeitliche (durch Staats-oder Gemeinde- 
behörde angeordnete) als der korporative (von 
den Gewerkschaften erkämpfte), die schönsten Er- 
folge aufzuweisen (ugl. Klien, Minimallohn und 
Arbeiterbeamtentum). 
An das Problem des gerechten Lohnes knüpfen 
sich einige wichtige Streitfragen, welche besonders 
innerhalb der Kreise der katholischen Sozialpoli- 
tiker mit großem Scharfsinn behandelt worden 
sind: die Frage, ob der Lohnvertrag seinem Wesen 
nach einen Gesellschaftsvertrag mit Ge- 
winnbeteiligung darstelle, und ob der gerechte 
Lohn Familienlohnseein, d. h. den Unterhalt 
einer Familie ermöglichen müsse. 
V. Der sog. Oesellschaftscharakter des 
Tohnvertrages. Im Anschluß an die sog. Hai- 
der Thesen, welche auf einer Zusammenkunft 
katholischer Sozialpolitiker auf Schloß Haid in 
Böhmen gefaßt worden waren, entspann sich ein 
heftiger Streit über die Frage, ob es nicht im 
Wesen des gerechten Lohnvertrages gelegen sei, 
daß der Arbeiter, der an der Herstellung eines 
Produktes mitwirke, auch am Gewinn, den der 
Unternehmer aus dem Geschäfte zieht, teilzunehmen 
berechtigt sei. Der Streit dauerte bis in die Gegen- 
wart herein fort, ohne daß die Vertreter des Ge- 
winnbeteiligungsgedankens von der eifrigen Ver- 
fechtung ihrer Ideen abgelassen hätten. Männer 
wie A. M. Weiß 0. Pr., Frhr v. Vogelsang, 
Ratzinger, Scheicher, Klopp u. a. streben 
eine Anderung des Arbeitsvertrages in diesem 
Sinne an, während anderseits ein Lehmkuhl, 
H. Pesch u. a. ebenso entschieden daran festhalten, 
daß der Unternehmer, der den Arbeiter für seine 
Leistung entschädigt, Herr des Produktes wird 
und als solcher allein die Chancen des Gewinnes 
und Verlustes trägt. Zu einem tieferen Eingehen 
auf diese interessante Streitfrage gebricht es hier 
an Raum; es kann hier nur eine Skizzierung der 
Hauptgedanken beabsichtigt sein. Am eingehendsten 
hat A. M. Weifß in seiner Schrift „Die Gesetze 
für Berechnung von Kapitalzins und Arbeitslohn“ 
die Gewinnbeteiligungsidee vertreten. Er bestreitet, 
daß, was wir heute Arbeitslohn nennen, dem 
Lohnbegriff gerecht werde. „Wir müssen da wohl 
unterscheiden zwischen den Kosten der Arbeit und 
dem Lohne der Arbeit. Wenn ein Herr einen 
Sklaven hält, den er wie eine Sache kauft und 
verkauft und wie ein Werkzeug für sich arbeiten 
läßt, so fällt es ihm natürlich nicht ein, diesem 
Lohn zu zahlen. Indes, er nährt ihn gut, vielleicht 
besser als einen Taglöhner oder Diener, dem er 
Lohn bezahlen muß, weil er aus jenem sein Kapital 
herausschlagen will. . . . Aber das, was er dafür 
ausgibt, nennt kein Mensch Lohn, sondern ledig- 
lich Schadenersatz, d. h. Rückerstattung der für den 
Herrn verbrauchten Arbeitskraft, oder Voraus- 
bezahlung dessen, was der Sklave durch die Arbeit 
alsbald wieder für ihn auszugeben hat. Aus dem- 
selben Grunde fällt es auch keinem Menschen bei,
	        
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