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zugleich wurde dieses der Oberhof aller mit dem
lübischen Rechte bewidmeten Städte (über 100),
eine Tätigkeit, die erst mit dem Anfang des
18. Jahrh. ihr völliges Ende erreichte. Der an-
gestrengten Arbeit des 18. und 14. Jahrh. sowie
der ungebrochenen, maßvollen (Holt matel) Hal-
tung ihres Rates in den unvermeidlichen innern
Unruhen und den häufigen Streitigkeiten mit dem
Bischof und den Grafen v. Holstein verdankt die
Hansestadt ihre Blüte und einflußreiche Stellung.
1320 erwarb sie durch Kauf Travemünde, 1359
die Stadt Mölln, und 13755 erhielt sie von Karl IV.
die Befugnis, eigenmächtig (ohne Reichsvogt) den
Landfrieden aufrecht zuerhalten, nachdem 1370 der
Friede zu Stralsund das Haupt der Hansa zum
Schiedsrichter über die dänische Krone gesetzt hatte.
Schon gegen Anfang des 15. Jahrh. beginnt
jedoch die Ablösung einzelner Glieder des mäch-
tigen Bundes. Lübeck wird in steigendem Maße
isoliert und trägt im 16. Jahrh. schließlich allein
mit riesiger Anstrengung die Arbeit und die Kämpfe
für die sinkende Hansa, so 150 1/02 den Krieg mit
Dänemark, 1522 und die folgenden Jahre die
Unterstützung Gustav Wasas und Friedrichs III.
gegen Christian II., 1534 die Grafenfehde (Jürgen
Wullenweber 1537 hingerichtet) und 1563/70
den Drei-Kronen-Krieg gegen Schweden. Der
30jährige Krieg gab der Hansa den Todesstoß.
Nach den letzten Hansetagen (1630 und 1669)
konnte Lübeck trotz seines engeren Anschlusses an
Hamburg und Bremen seine alte Stellung nicht
mehr behaupten. Bald sah sich die ohnmächtige
Stadt schutzlos den ärgsten Repressalien und
Plackereien von seiten ihrer mächtigeren Nachbarn
ausgesetzt; wohlerworbene Rechte wurden aufs
schmählichste mit Füßen getreten und durch er-
zwungene Verträge (1747 über die Vogtei Mölln,
1802 über die lübischen Güter in Holstein) der
Landbesitz zerpflückt. Jedoch gelang es ihr, wäh-
rend der Umwälzung zu Anfang des 19. Jahrh.
die Selbständigkeit zu wahren. Der Reichsdepu-
tationshauptschluß vom 25. Febr. 1803 sicherte
die Freiheit der Stadt und gab ihr für einige
Dörfer, welche der Herzog von Mecklenburg ge-
nommen hatte, zwei Dörfer des Bistums Lübeck
und acht Dörfer des Domkapitels nebst den bi-
schöflichen Gebäuden. Das Bistum Lübeck, das
seit 1535 protestantisch war, seit 1586 in den
Händen des Hauses Holstein-Gottorp, fiel als
Fürstentum Lübeck an Oldenburg. In den nächsten
Jahren blühten infolge der Elbsperre Handel und
Verkehr zu großer Höhe empor; da traf die ganze
Wut des Krieges die unglückliche Stadt. Am
5. Nov. 1806 besetzte Blücher (der am 6. Nov.
sich im Pfarrhaus zu Ratebau unweit Lückeck den
Franzosen ergab) das noch teilweise befestigte
Lübeck, das von den Franzosen erobert, der Plün-
derung preisgegeben und unerhört gebrandschatzt
wurde. Durch die Kontinentalsperre ihres Han-
dels beraubt, wurde die Stadt 1810 als Bestand-
teil des Departements der Elbmündung dem fran-
Lübeck.
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zösischen Kaiserreich einverleibt und erst im Dez.
1813 durch die Annäherung der Schweden wieder
befreit. Der Wiener Kongreß sicherte von neuem
ihre Unabhängigkeit: Lübeck trat als „Freie und
Hansestadt“ in den Deutschen Bund und kehrte zu
seiner alten Verfassung zurück, die 1848 nach
langen Kämpfen in modernem Sinne umgestaltet
wurde. Im Jahre 1866 stand Lübeck mit den
übrigen Hansestädten auf seiten Preußens. Am
18. Aug. 1866 schloß es sich dem Norddeutschen
Bunde, am 11. Aug. 1868 dem Zollverein an
und hat seitdem die uralten Handelsbeziehungen
mit dem Norden Europas, besonders Finland und
Schweden, auch Rußland, Dänemark und Nor-
wegen, besonders gepflegt und erweitert.
2. Fläche, Bevölkerung, Erwerbs-
verhältnisse. Daslübeckische Gebiet (299 qkm),
am unteren Lauf und der Mündung der Trave,
besteht aus einer Hauptmasse (203 qkm) und
neun Enklaven (96 qkm) im Holsteinischen und
Lauenburgischen und zählte 1905: 105 857
(51922 männliche und 53 935 weibliche) Ein-
wohner, 355,6 auf 1 qkm (1871: 175,2). Die
eigentliche Stadt zählt mit den Vorstädten St
Jürgen, St Lorenz und St Gertrud 91541 Be-
wohner; die übrigen entfallen auf das „Städtchen“
(amtliche Bezeichnung) Travemünde (2017) und
die 49 Dörfer und 34 Höfe des Landgebietes.
Die Bevölkerung betrug 1862: 44 357, 1880:
63571. 1895: 83 324, 1900: 96775 Seelen.
Dem Bekenntnis nach waren 1905: 102 84
Protestanten, 2467 Katholiken, 638 Juden. Auf
1000 Einwohner kamen 1905: 968,1 (1871:
979) Protestanten, 23,3 (1871: 7,7) Katholiken,
6 (1871: 10,8) Juden. Nach der Berufszählung
vom 14. Juni 1895 widmeten sich 9393 (1882:
9855) der Landwirtschaft, 32 808 (23 305) der
Industrie und dem Bauwesen, 23 503 (18 580)
dem Handel und Verkehr, 5924 (4549) dem
öffentlichen Dienste und freien Berufen; 3394
(2234) verrichteten wechselnde Lohnarbeit und
häusliche Dienste, 7793 (5868) waren ohne Be-
ruf und Berufsangabe.
Industrie und Handel waren bisher auf die
Stadt beschränkt; seit 1906 schafft der Staat mit
großen Geldmitteln längs der Trave nach der
Ostsee zurück ein großes Industriegebiet (Hoch-
ofenwerk Herrenwiek, Flurplatten-, Superphos-
phat-, Kalksandsteinfabriken in Siems und Dä-
nischburg). Die Bewohner der Landbezirke (12,5 %
Wald) treiben Ackerbau und besonders Viehzucht.
Bedeutender als die übrige Industrie, die sich mit
Maschinen= und Schiffsbau, Branntweinbren-
nerei, Konserven-, Tabak= und Zigarrenfabri-
kation usw. beschäftigt, ist die Fischerei (Fisch-
räuchereien in Schlutup) und besonders der Handel,
auf dem noch immer der Reichtum der Stadt be-
ruht. Der Hauptverkehr geht in die skandinavi-
schen und baltischen Häfen. Haupteinfuhrartikel
ist Holz. Für die Ausfuhr kommen vor allem
Eisen-, Leinen= und Wollwaren in Betracht. Die