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die erste deutsche Anstalt dieser Art 1764 in Hanau
gegründet. Besonders lebhaft war das Verlangen
nach Handelsschulen in Marpergers Heimatlande
geblieben. Nach vergeblichen Versuchen von Geute-
brück (1764) und Löffler (1765) kam die Gründung
der ersten sächsischen Kaufmannsschule durch E. H.
und W. H. Rath 1772 in Leipzig zustande, doch ging
sie wegen zu geringen Besuches 1776 wieder ein.
Länger hielt sich freilich, weil besser organisiert,
das 1771 von Professor J. G. Büsch in Ham-
burg gegründete, bereits Hochschulcharakter tra-
gende „Institut zur Erziehung und Vorübung des
jungen Kaufmanns“, das auch Alexander v. Hum-
boldt als Zwanzigjähriger mit hoher Befriedigung
einige Zeit besuchte. Aber mit dem Tode (1800)
ihres hochverdienten Begründers löste sich auch
diese Anstalt auf, da die kaufmännischen Kreise
wenig Verständnis für sie bekundeten.
Nachhaltigeren Einfluß sollte Büsch in Oster-
reich ausüben, wo in Wien auf Veranlassung der
Kaiserin Maria Theresia nach seinen Grundsätzen
1770 die staatliche „Real-Handlungsakademie“ er-
richtet wurde unter dem Direktorat Professor
J. G. Wolfs. Freilich erlebte auch dieses Institut
nicht den Fortgang, den sein Anfang verhieß:
1804 wurde es von Kaiser Franz zu einer „Real-
akademie" umgestaltet, die den kaufmännischen
Unterricht nur in der obersten Klasse beibehielt,
und 1815 dem neugegründeten Polytechnikum
einverleibt als besondere Handelsabteilung, die
1865 aufgehoben wurde. Die 1778 von dem
Kaufmann Joh. Friedr. Keller in Magdeburg
eingerichtete „Handlungsschule“, die seit 1782
Staatszuschuß erhielt, aber trotzdem 1806 in den
Kriegswirren einging, stellt einen von Büsch un-
abhängigen Typus dar. Dasselbe gilt von der
„Akademie, Lehr= und Pensionsanstalt“ in Nürn-
berg, die von Joh. Mich. Leuchs 1795 begründet
wurde, aber bald wieder verschwand. Auch die
von Herzog Karl Eugen von Württemberg er-
richtete Karlsschule erhielt 1779 eine besondere
zweiklassige Abteilung für Handelswissenschaft,
die in den 15 Jahren ihres Bestehens mindestens
150 junge Kaufleute herangebildet hat. Über-
haupt mehrten sich die Handelsschulen am Ende
des 18. Jahrh. in Deutschland ganz gewaltig
(z. B. in Düsseldorf, Mannheim, Würzburg,
Berlin, Elberfeld, Duisburg, Krefeld, Lüdenscheid,
Bremen usw.), doch war allen nur ein kurzes Da-
sein beschieden.
Nicht wenig waren daran die Kriegsunruhen
jener Zeit schuld, und gerade die Geschichte der
Handelsschulen zeigt, wie verderblich jene Periode
auf unser wirtschaftliches Leben gewirkt hat. Frei-
lich kam ihnen dann auch die hohe Einschätzung
einer gründlichen Bildung zugute, die sich un-
mittelbar aus dem politischen Zusammenbruche in
den napoleonischen Kriegen ergab. Und so wurde
denn das 19. Jahrh. die Blütezeit auch der deut-
schen Handelsschulen. Der erste größere Grün-
dungsversuch war allerdings auch jetzt wieder ein
Kaufmännisches Bildungswesen.
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Schlag ins Wasser. Der Staatsrat Kunth, der
schon lange Zeit an der Hebung der gewerblichen
Schulen gearbeitet hatte, unternahm ihn im Jahre
1817 auf Antrieb des preußischen Staatsministe-
riums in Erfurt, wo er die königliche Regierung
zur Errichtung einer „Lehranstalt zur höheren Bil-
dung des Fabrikanten= und Kaufmannsstandes“
zu bewegen suchte, die in sechsjährigem Kursus all-
gemeine mit fachlicher Bildung vereinigen sollte,
und zwar derartig, daß je zwei Jahreskurse als ein
für sich abgeschlossenes Ganzes sich aufeinander
aufbauten, von denen je nach dem Bildungsziel
der unterste für sich oder die beiden ersten bzw.
alle drei nacheinander absolviert werden konnten.
Kunths Ideen blieben in Erfurt unverwirklicht;
aber Magdeburg, wo damals Zerrenner an der
Schulreform arbeitete, griff sie im wesentlichen auf
und gab ihnen in der im Jahre 1819 gegründeten
fünfklassigen „Höheren Gewerbe= und Handlungs-
schule“ (wurde 1844 Realschule) praktische Gestal-
tung. Den beiden obersten Klassen dieser Schule
blieben die kaufmännischen Unterrichtsfächer vor-
behalten, während die dreiklassige „Vorbereitungs=
schule“ vorwiegend allgemeine Bildung, einschließ-
lich Latein, vermittelten.
Parallel mit diesen auf Ausbildung des höheren
Handelsstandes hinzielenden Bestrebungen lief seit
Anfang des 19. Jahrh. eine bedeutungsvolle Be-
wegung, die auch dem kleinen, bis jetzt arg ver-
nachlässigten Kaufmann eine angemessene Fach-
bildung zu verschaffen suchte. Sie ging in Form
der Selbsthilfe von den Innungen aus und näherte
sich der Organisation der Fortbildungsschulen (s. d.
Art.); denn die Schulzeit fiel mit der praktischen
Berufsarbeit des Lehrlings zusammen. Der Ur-
heber dieses neuen Unterrichts ist der Kramer=
meister E. W. Arnoldi in Gotha, der durch ein
Rundschreiben an die Mitglieder seiner Innung
den Anstoß zur Gründung einer neuen Vereini-
gung, der „Kaufmännischen Innungshalle“, gab,
von der dann die neue Lehranstalt im Jahre 1818
ausging. Diese war dreiklassig mit wöchentlich
12 bzw. 13 Stunden, mußte während der vier-
jährigen Lehrzeit besucht werden und unterschied
sich von den gewöhnlichen Fortbildungsschulen an-
fangs nur dadurch, daß in ihren allgemeinen Lehr-
fächern möglichst Rücksicht auf den Handelsstand
genommen wurde. Erst seit 1821 wurden auch
spezielle Kaufmannsfächer ausgenommen (Buch-
haltung, Handelskorrespondenz usw.) und später
die Unterrichtsstunden bis auf 19 vermehrt. Die
Leitung dieser Anstalt übernahm Arnoldis Freund,
Friedr. Gottlieb Becker. Von der Opferfreudig-
keit der Lehrherren gibt die Tatsache eine Vorstel-
lung, daß die Schulstunden in die Geschäftszeit
fielen. Ganz ähnliche Anstalten entstanden gleich-
zeitig in Straßburg i. E. (1819 eingegangen)
durch den Privatmann David Aug. Schiebe, in
Windsheim (1817) durch J. L. Keil und in Bam-
berg (1821; bestand bis 1861) durch G. Wolf-
rum. Es schien, als läge die Gründung solcher