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über einem Staate, stehen sich zwei Ansichten
schroff gegenüber. Die eine ist am schärfsten zum
Ausdrucke gekommen in dem Beschlusse des In-
stituts für internationales Recht, der auf dessen
Versammlung in Gent (22./24. Sept. 1906) ge-
faßt wurde: L’air est libre. Les Etats W’ont
sur lui en temps de paix et en temps de
guerre, que les droits nécessaires à leur con-
servation. Sie ist zuerst von Fauchille in seinem
dem genannten Institute auf seiner Versammlung
in Brüssel vorgelegten Projet de réglement sur
le régime juridique des aérostats (Art. 7)
aufgestellt und von ihm eingehend begründet
worden. Darin umschreibt Fauchille zugleich das
Recht des Staates auf Selbsterhaltung: Ces
droits sont relatifs à la répression de T’espi-
onnage, à la police douanière, à la police
sanitaire et aux nécessités de la defense
(Art. 7, Satz 3), nimmt für den Grundstaat eine
Schutzzone von 1500 m von der Erdoberfläche
und von der Küste oder den an ihr errichteten
Befestigungswerken an und gestattet in ihr grund-
sätzlich nur den eignen Luftfahrzeugen des Grund-
staates, frei zu verkehren, während er allen andern
nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen ein Recht
zu ihrer Benutzung zubilligt (Art. 8, 10/12).—
Für die grundsätzliche Freiheit der Luft treten
auch Meili, der in vielen Punkten mit Fauchille
übereinstimmt, sich aber gegen die Festlegung von
bestimmten Luftzonen und für die Ausdehnung
des Schutzes bis zur Höhe seiner möglichen Er-
zwingung erklärt (Verkehrs= und Transportrecht 8;
Luftschiff 27 f), und Gareis ein, der aber bei
seinen Erörterungen von einer „nationalisierten“
unteren und einer „entnationalisierten“ oberen
Luftschicht ausgeht (Juristische Ausblicke 322).
Über alle hinaus geht in der Betonung der Luft-
freiheit Fauchilles Korreferent auf der Versamm-
lung des Instituts, Nys, der auch die Festlegung
eines droit de conservation bekämpft und die
Freiheit der Luft ohne jede Einschränkung befür-
wortet.
Ihr gegenüber behauptet die andere Ansicht,
eingehend begründet insbesondere von Meurer,
die Gebietshoheit erstrecke sich grundsätzlich auch in
die Luft, und hier gebe es keine Grenzpfähle, weder
Luftrecht usw.
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chilles ein Eigentum oder eine Gebietshoheit des
Grundstaates nur bis zu der Höhe anerkennen,
bis zu der die Geschütze von der Erde aus tragen,
oder, wie Rolland, die Höhe des höchsten Bauwerkes
im Staate (für Frankreich nach ihm des Eiffel-
turmes mit 330 m) maßgebend sein lassen, oder
endlich, wie Mérignhac, die Erstreckung des Eigen-
tums oder der Gebietshoheit von völkerrechtlichen
Vereinbarungen abhängig machen.
„Freiheit der Luft für den Verkehr“ ist eine
Forderung, deren Berechtigung sich in der heutigen
Zeit gewaltiger technischer Fortschritte auf dem
Gebiete des Luftverkehrs niemand verschließen
kann. Dennoch ist es nicht zu bezweifeln, daß das
Institut für internationales Recht mit seiner Fest-
stellung L'air est libre einen Fehlgriff getan hat.
Der beste Beweis dafür ist der zweite Teil seines
oben (Sp. 907) angeführten Beschlusses. In ihm
verkehrt es, scharf betrachtet, jenen Grundsatz nahe-
zu in sein Gegenteil. In der „freien“ Luft gibt es
weder ein Recht des einzelnen noch des Staates,
also auch kein Selbsterhaltungsrecht des Staates.
Zudem: Wer bestimmt den Inhalt und Umfang
dieses „Selbsterhaltungsrechts"“? Der Staat?
Dann macht er damit ein Herrschaftsrecht an dem
„freien“ Luftraum geltend. Eine Völkerrechtsge-
meinschaft? Dann muß der Staat es sich gefallen
lassen, daß eine neben und über ihm stehende Macht
ihm ein Selbsterhaltungsrecht nach ihrem Gut-
dünken zumißt, ohne seine Bedürfnisse in dieser
Richtung hin zu würdigen, vielleicht sogar ohne
sie würdigen zu wollen oder zu können. Mit dem
Begriffe des souveränen Staates würde ein solches
Verhältnis schwer zu vereinbaren sein; er kann
nicht als ein Geschenk einer Völkerrechtsgemein-
schaft Zugeständnisse annehmen, die in dem ihm
von der Natur gegebenen umfassenderen Rechte
enthalten sind. Das würde auch der geschichtlichen
Entwicklung schroff widersprechen. Das heutige
Völkerrecht ist das Ergebnis zahlreicher freiwilliger
Verzichte und weiten Entgegenkommens der ein-
zelnen Staaten gegeneinander und gegen die
Völkerrechtsgemeinschaft. Dabei ist es ohne Be-
lang, daß der Staat für sein Entgegenkommen
regelmäßig den Vorteil gleichen Entgegenkommens
der übrigen Staaten gefunden hat. Maßgebend
ein Aufhören noch eine Minderung der Souveräni= bleibt stets, daß grundsätzlich der Staat der gebende,
tät nach Zonen (Luftschiffahrtsrecht 6 18); mit die Völkerrechtsgemeinschaft der empfangende Teil
diesem Recht des Staates auf den Luftraum ober= ist. Der Beschluß des Instituts für internationales
halb seines Gebietes müsse allerdings auf einer Recht kann deshalb als richtig nicht anerkannt
Stoatenkonferenz die Forderung der Luftfreiheit werden, so viel Bestechendes er auf den ersten Blick
für Verkehrszwecke in Einklang gebracht werden. auch haben mag.
Zu ihr bekennen sich auch Westlake und der Mar= Ohne den Luftraum über sich ist der Staat
quis Corsi, die auf den oben erwähnten Versamm= nicht denkbar. Aus ihm empfängt er Regen und
lungen des Instituts für internationales Recht Sonnenschein und alles andere, was zum Ge-
warm für sie eingetreten, aber in der Minderheit deihen seiner Bewohner und ihres Handelns und
geblieben sind, und Grünwald, der ihre Richtig-Wandelns nötig ist. Von ihm herab kann ihm
keit nicht nur aus staats= und völkerrechtlichen Er= und seinen Untertanen schwerer Schaden zugefügt
wägungen, sondern auch aus § 905 des B.G.B. werden. Der Luftraum ist deshalb sein Zubehör;
für dargetan erachtet. Andere, wie Bluntschli und er ist durch die Natur selbst so innig mit ihm ver-
Rivier, wollen entsprechend der Schutzzone Fau= bunden, daß eine Trennung beider unmöglich ist.