Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Institute gleichsam in der Luft, und die Begeiste- 
rung für sie war allgemein. 
Einen Schritt voran in der Entwicklung der 
Handelsschulen bedeutete es, daß 1831 in Leipzig 
von der Kramerinnung eine der Leitung Schiebes 
unterstellte Anstalt gegründet wurde, die sowohl 
eine (dreiklassige) Lehrlingsschule wie eine höhere 
Handelsabteilung in sich vereinigte; letztere erhielt 
1866 ebenso wie die gleichen Schulen in Chem- 
nitz (1848 gegründet) und Dresden (1854 ge- 
gründet) das Recht, Reifezeugnisse für den ein- 
jährig-freiwilligen Militärdienst auszustellen. Da 
die Leipziger Handelsschule mehr als irgend eine 
andere den praktischen Bedürfnissen des Kauf- 
mannsstandes Rechnung trug, so wurde sie für 
später geradezu maßgebend. Nach ihrem Muster 
entstanden schnell hintereinander zahlreiche andere 
andelsschulen; so z. B. in Danzig (1832), 
öttingen (1833), Hannover (1837), Osnabrück 
(1838; die noch jetzt bestehenbe „Noellesche Han- 
delsschule"), Berlin (1843) usw. 
Die eigenartige, aber keineswegs glückliche Ein- 
richtung der „Handelsgewerbeschule“", die 1834 
in Nürnberg geschaffen wurde, läßt sich nur aus 
den Zeitumständen erklären. Die bayrische Re- 
gierung befahl nämlich 1833 die Umwandlung 
aller höheren Bürgerschulen in Gewerbeschulen, 
durch die nach ihrem Plane alle Gattungen von 
Gewerbetreibenden, Kaufleuten, Landwirten, Forst- 
leuten usw. ihre Vorbildung für die Praxis sowie 
für die einschlägigen höheren Lehranstalten er- 
werben sollten. Den Unterricht in den allgemeinen 
Bildungsfächern sollten die Gewerbeschüler im 
Gymnasium erhalten. Die nach diesen Bestim- 
mungen mit Widerstreben 1833 in Nürnberg ein- 
gerichtete städtische Gewerbeschule war, wie leicht 
zu begreifen, unhaltbar. Man schritt daher in der 
genannten „Handelsgewerbeschule“ zu einem Kom- 
promiß zwischen Gewerbe= und Handelsschule und 
schuf damit eine Anstalt, die eigentlich fast eine 
Realschule war, obwohl später auch Buchhaltung 
und Warenkunde in den Lehrplan aufgenommen 
wurden. 
Wenn um die Mitte des 19. Jahrh. ein frisch 
pulsierendes Leben in die bisher mehr schleichende 
Entwicklung der Handelsschulen kam, so ist das 
angesichts der unerhörten Neuerungen im Ver- 
kehrsleben, die mit der Lokomotive und dem Tele- 
graphen einsetzten, nicht verwunderlich. Und so 
schossen denn in allen Teilen Deutschlands die 
andelsschulen wie Pilze aus der Erde, um den 
aufmann mit den Kenntnissen zu versehen, welche 
die neue Zeit erforderte. Die Neugründungen 
gingen in erster Linie von den kaufmännischen 
Vereinen und Handelskammern aus, und erst in 
zweiter Linie von Staat, Gemeinden und Privat- 
personen. An der Spitze der Entwicklung mar- 
schiertedas Königreich Sachsen. Im übrigen Deutsch- 
land folgte man bald nach. Namentlich hat der 
1895 unter Leitung des Regierungsrats Dr Steg- 
mann in Braunschweig geschaffene „Deutsche Ver- 
  
Kaufmännisches Bildungswesen. 
  
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band für das kaufmännische Unterrichtswesen“ viel 
Anregung gegeben; er war es auch, von dem der 
Anstoß zur Ausbildung von kaufmännischen Fach- 
lehrern in besondern Kursen (der erste 1898 in 
Dresden) ausging, um dem Mangel an geeigneten 
Lehrkräften abzuhelfen. Bis dahin hatten nämlich 
Akademiker, Volksschullehrer und praktische Kauf- 
leute ohne spezielle Vorbildung den Unterricht er- 
teilt. Seit die Handelshochschulen ins Leben ge- 
treten sind, bilden diese natürlich die beste Vor- 
bereitungsanstalt für die Handelslehrer aller Grade. 
Die älteste von dieser jüngsten Gattung der 
Hochschulen ist die von Leipzig, die am 25. April 
1898 eröffnet wurde. Es kann wirklich überraschen, 
daß ihre Errichtung so lange auf sich warten ließ. 
Hatten doch Technik, Landwirtschaft, Kunst, Berg- 
bau, Forst= und Militärwissenschaft längst ihre 
Krönung durch eine Akademie gefunden, und die 
gleiche Forderung war ja auch für die Handels- 
wissenschaften schon frühzeitig erhoben worden. 
Bereits Marperger hatte, wie erwähnt, eine Han- 
delsakademie im Auge, und ein halbes Jahr- 
hundert nach ihm (1787) befürwortete M. Joh. 
Nik. Müller in Göttingen die Errichtung einer 
„Handlungsakademie“ auf der -gl. Georg-Augusts- 
Universität. Büschs Anstalt in Hamburg war so- 
gar im wesentlichen schon eine Verwirklichung der 
Marpergerschen Wünsche. Auch die von 1835 
bis 1862 blühende „Merkantilische Abteilung“ 
des Braunschweiger Collegium Carolinum hatte 
akademischen Charakter. Doch waren das alles 
nur Einzelerscheinungen. Als eine gebieterische 
Notwendigkeit erschien die Gründung von Han- 
delshochschulen unter den vorhin angedeuteten 
Zeitläufen erst dem Ende des 19. Jahrh., und 
zwar bezeichnenderweise gleichzeitig bei allen Kul- 
turnationen der Erde. In Deutschland ging der 
erste praktische Anstoß von dem Geheimen Kom- 
merzienrat Gustav v. Mevissen aus, der 1879 
seiner Vaterstadt Köln eine große Summe zur 
Errichtung einer „Handelsakademie für die Rhein- 
provinz“ vermachte, die aber 1893 vom rheini- 
schen Provinziallandtag abgelehnt wurde. Dem 
„Deutschen Verband für das kaufmännische Unter- 
richtswesen“ gebührt dann das Verdienst, die An- 
gelegenheit durch Fragebogen, Denkschriften usw. 
soweit gefördert zu haben, bis die Gründung in 
Anlehnung an die Universität in Leipzig zustande 
kam. So wurde die Pleißestadt wie durch ihre 
Handelsschule von 1831, auch durch ihre Handels- 
hochschule für weiteste Kreise vorbildlich. 
III. Einrichtung der Handelsschulen und 
ihre Verbreitung im Jahre 1909. Ist es 
auch chronologisch nicht berechtigt, so wollen wir 
doch aus Gründen des harmonischen Aufbaues 
unsere Darlegungen mit der untersten Klasse der 
Handelsschulen beginnen; das sind 
1. die kaufmännischen Fortbildungs-= 
schulen, die bestimmt sind, dem kleinen Kauf- 
mann die nötigen Fachkenntnisse zu vermitteln. 
Sie gliedern sich in die kaufmännischen Vorberei-
	        
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