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rücksichtigen zu können. Sombart glaubt zwar,
wir sollten von der „nichtsnutzigen, zeitraubenden
Suche nach objektiven Maßstäben für das Erlaubte
oder Unerlaubte im Wirtschaftsleben ablassen und
einsehen, daß das letzte Maß aller Dinge auch hier
die ganze Persönlichkeit ist: des Urteilers wie des
Beurteilten". Ganz recht. Aber ist diese Persön-
lichkeit nicht in eine sittliche Ordnung eingeglie-
dert? Müssen wir nicht, wenn wir auf einen rein
äußerlichen Maßstab für die Begrenzung des er-
laubten Luxus verzichten, gerade in den sittlichen
Zwecken, die die Persönlichkeit bei ihrem über die
physische Notwendigkeit hinaus gesteigerten Auf-
wand verfolgt, den letzten Maßstab erkennen?
Aber ist nicht persönliche Bedürfnislosigkeit eine
Vollkommenheit, die jeder anstreben soll! Gewiß
ist es ein Beweis für einen Grad geistiger Unab-
hängigkeit von den äußeren Dingen, wenn man
seiner Bedürfnisse Herr ist und auf die weniger
dringenden verzichten kann. In diesem Sinn gilt
das Wort: Haben wir aber Nahrung und Klei-
dung, so laßt es uns genügen (1 Tim. 6, 8). Und
es kann unter Umständen solche Bedürfnislosigkeit
notwendig sein: der Missionär, der Soldat im
Feld muß seine Bedürfnisse einschränken können.
Aber auch für die Bedürfnislosigkeit ist der Zweck
entscheidend. Die Bedürfnislosigkeit des Zynikers,
der sich in Schmutz und Verwahrlosung gefällt,
ist kein Beweis sittlicher Stärke, sondern Zeichen
einer irregeleiteten sittlichen Tatkraft. Tugend-
stolz, Menschenverachtung oder Faulheit sind meist
ihr Motiv.
Es ist darum nicht wünschenswert, auf die Be-
friedigung der Kulturbedürfnisse zu verzichten, und
es ist nicht zu tadeln, wenn in den Massen Be-
dürfnisse geweckt werden. Alle Sozialpolitik be-
zweckt, eine reichere oder bessere Bedürfnisbefrie-
digung zu ermöglichen. Man hat dagegen ein-
gewendet: Warum soll man den in Stumpfheit
dahinlebenden Massen ihre Ruhe stören, sie aus
ihrer Bedürfnislosigkeit aufwecken? Hat nicht das
Lazzaroni-Dasein auch seine Reize, die absolute
Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit, mit der das
Leben hingenommen wird? Aber es ist besser, die
Massen zu einer besseren Befriedigung ihrer Be-
dürfnisse zu erziehen, als sie dem oft wilden Aus-
bruch ihres Begehrens zu überlassen, bei dem die
rohen Instinkte sich hervordrängen. Allgemeine
Bedürfnislosigkeit würde den Ruin der Volks-
wirtschaft bedeuten. Die Bedürfnisse sind nach
dem bekannten Wort Schäffles die „stets ge-
spannte Feder im Uhrwerk der Volkswirtschaft“.
Sie verhindern Erschlaffung und Energielosigkeit,
und stacheln Erfindungsgeist, Arbeitseifer und
Erwerbstrieb immer zu neuen, vollkommeneren
Leistungen an. Persönliche Zufriedenheit mit dem
eignen Los geht wohl zusaommen mit dem frischen
Arbeitsmut für die Zukunft.
Gleichwohl liegen im Luxus Gefahren ethischer
und hygienischer, individueller und sozialer Art.
In letzterer Beziehung bleibt zu beachten der pfy-
Luxus usw.
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chische Eindruck, den das darbende, ohnehin mit
Unzufriedenheit gesättigte Proletariat erhält, wenn
es Zeuge zweckloser Zerstörung von Gebrauchs-
gütern sein muß. Eg ist ja nicht so fast die mate-
rielle Lage der arbeitenden Schichten die Ursache
des Klassenhasses, des Neides und der Empörung,
als der Kontrast, den der Arbeiter zwischen seiner
Lage und dem Luxus der höheren Klassen wahr-
nimmt. Die Witz= und Karikaturblätter sorgen
dafür, daß die üppige Lebensführung der „oberen
Zehntausend“ möglichst drastisch dem Volke vor
Augen gestellt wird. Der Same der sozialistischen
Agitation fällt auf wahlbereiteten Boden. Aber
man darf nicht einseitig bloß den oberen Gesell-
schaftsschichten ein zweckloses Vergeuden zum Vor-
wurf machen. Auch in den unteren Klassen ist
mutwilliges oder unachtsames Zerstören von Ge-
nußgütern anzutreffen. Je mehr der Sinn für
äuslichkeit und Sparsamkeit in den arbeitenden
lassen, namentlich den Frauen und Töchtern,
mangelt, desto häufiger wird ein unrationelles
Verfahren in Küche und Haus, in Nahrung und
Wohnung sein. Es heißt nicht umsonst: Von den
reichen Leuten muß man das Sparen lernen, d. h.
Leute, die es durch Tüchtigkeit und Sparsamkeit
vorwärts gebracht haben, werden wenig Neigung
zu zweckloser Vergeudung des mühsam Erworbenen
haben. Auch bei der ländlichen Bevölkerung ist
ein auf Unverstand oder roher Genußsucht be-
ruhendes Zerstören von Gebrauchsgütern nicht
selten. Ubertriebener Luxus hat schon manches
schöne Bauerngut dem Untergang geweiht.
Es kann daher nicht wundernehmen, wenn dem
Luxus zu allen Zeiten Gegner entstanden sind.
Insbesondere haben in der christlichen Zeit die
Kirchenväter und Theologen des Mittelalters es
nichtan scharfen Warnungen fehlen lassen. Vielfach
glaubt man darauf den Vorwurf begründen zu
können, die christliche Aszese sei kulturfeindlich.
Sommerlad (Handwörterbuch der Staatsw. V.
[„1900] 643) glaubt daher zu dem Urteil be-
rechtigt zu sein: „Ebenso einstimmig wie ein-
seitig in der Verdammung des Luxus sind die
Anschauungen der Patristik und Scholastik, deren
übernatürliche Moral ebenso wie im Altertum die
philosophische Spekulation zur Anerkennung des
Grundsatzes derabsoluten Bedürfnislosigkeit führte.
Erst das ausgehende Mittelalter und der in der
Neuzeit erfolgte Aufschwung von Handel und In-
dustrie bahnten eine freiere Auffassung an.“ Diese
Frage steht im Zusammenhang zu dem Problem
der Stellung des Christentums zur weltlichen
Kultur. Prinzipiell verwirft das Christentum bloß
die übertriebene Anhänglichkeit an die irdischen
Güter. Es fordert freilich nicht zu Erwerb und
Genuß auf, verbietet aber diese auch nicht absolut.
Ist auch eine gewissenhafte Verwendung der Ge-
brauchsgüter eine Pflicht der Besitzenden, so liegt
doch ein kleinlicher, pedantischer Maßstab gewiß
nicht im Sinne des Evangeliums. Wie der Schöpfer
Blüten und Früchte in der Natur in einer Menge