Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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rücksichtigen zu können. Sombart glaubt zwar, 
wir sollten von der „nichtsnutzigen, zeitraubenden 
Suche nach objektiven Maßstäben für das Erlaubte 
oder Unerlaubte im Wirtschaftsleben ablassen und 
einsehen, daß das letzte Maß aller Dinge auch hier 
die ganze Persönlichkeit ist: des Urteilers wie des 
Beurteilten". Ganz recht. Aber ist diese Persön- 
lichkeit nicht in eine sittliche Ordnung eingeglie- 
dert? Müssen wir nicht, wenn wir auf einen rein 
äußerlichen Maßstab für die Begrenzung des er- 
laubten Luxus verzichten, gerade in den sittlichen 
Zwecken, die die Persönlichkeit bei ihrem über die 
physische Notwendigkeit hinaus gesteigerten Auf- 
wand verfolgt, den letzten Maßstab erkennen? 
Aber ist nicht persönliche Bedürfnislosigkeit eine 
Vollkommenheit, die jeder anstreben soll! Gewiß 
ist es ein Beweis für einen Grad geistiger Unab- 
hängigkeit von den äußeren Dingen, wenn man 
seiner Bedürfnisse Herr ist und auf die weniger 
dringenden verzichten kann. In diesem Sinn gilt 
das Wort: Haben wir aber Nahrung und Klei- 
dung, so laßt es uns genügen (1 Tim. 6, 8). Und 
es kann unter Umständen solche Bedürfnislosigkeit 
notwendig sein: der Missionär, der Soldat im 
Feld muß seine Bedürfnisse einschränken können. 
Aber auch für die Bedürfnislosigkeit ist der Zweck 
entscheidend. Die Bedürfnislosigkeit des Zynikers, 
der sich in Schmutz und Verwahrlosung gefällt, 
ist kein Beweis sittlicher Stärke, sondern Zeichen 
einer irregeleiteten sittlichen Tatkraft. Tugend- 
stolz, Menschenverachtung oder Faulheit sind meist 
ihr Motiv. 
Es ist darum nicht wünschenswert, auf die Be- 
friedigung der Kulturbedürfnisse zu verzichten, und 
es ist nicht zu tadeln, wenn in den Massen Be- 
dürfnisse geweckt werden. Alle Sozialpolitik be- 
zweckt, eine reichere oder bessere Bedürfnisbefrie- 
digung zu ermöglichen. Man hat dagegen ein- 
gewendet: Warum soll man den in Stumpfheit 
dahinlebenden Massen ihre Ruhe stören, sie aus 
ihrer Bedürfnislosigkeit aufwecken? Hat nicht das 
Lazzaroni-Dasein auch seine Reize, die absolute 
Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit, mit der das 
Leben hingenommen wird? Aber es ist besser, die 
Massen zu einer besseren Befriedigung ihrer Be- 
dürfnisse zu erziehen, als sie dem oft wilden Aus- 
bruch ihres Begehrens zu überlassen, bei dem die 
rohen Instinkte sich hervordrängen. Allgemeine 
Bedürfnislosigkeit würde den Ruin der Volks- 
wirtschaft bedeuten. Die Bedürfnisse sind nach 
dem bekannten Wort Schäffles die „stets ge- 
spannte Feder im Uhrwerk der Volkswirtschaft“. 
Sie verhindern Erschlaffung und Energielosigkeit, 
und stacheln Erfindungsgeist, Arbeitseifer und 
Erwerbstrieb immer zu neuen, vollkommeneren 
Leistungen an. Persönliche Zufriedenheit mit dem 
eignen Los geht wohl zusaommen mit dem frischen 
Arbeitsmut für die Zukunft. 
Gleichwohl liegen im Luxus Gefahren ethischer 
und hygienischer, individueller und sozialer Art. 
In letzterer Beziehung bleibt zu beachten der pfy- 
  
Luxus usw. 
  
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chische Eindruck, den das darbende, ohnehin mit 
Unzufriedenheit gesättigte Proletariat erhält, wenn 
es Zeuge zweckloser Zerstörung von Gebrauchs- 
gütern sein muß. Eg ist ja nicht so fast die mate- 
rielle Lage der arbeitenden Schichten die Ursache 
des Klassenhasses, des Neides und der Empörung, 
als der Kontrast, den der Arbeiter zwischen seiner 
Lage und dem Luxus der höheren Klassen wahr- 
nimmt. Die Witz= und Karikaturblätter sorgen 
dafür, daß die üppige Lebensführung der „oberen 
Zehntausend“ möglichst drastisch dem Volke vor 
Augen gestellt wird. Der Same der sozialistischen 
Agitation fällt auf wahlbereiteten Boden. Aber 
man darf nicht einseitig bloß den oberen Gesell- 
schaftsschichten ein zweckloses Vergeuden zum Vor- 
wurf machen. Auch in den unteren Klassen ist 
mutwilliges oder unachtsames Zerstören von Ge- 
nußgütern anzutreffen. Je mehr der Sinn für 
äuslichkeit und Sparsamkeit in den arbeitenden 
lassen, namentlich den Frauen und Töchtern, 
mangelt, desto häufiger wird ein unrationelles 
Verfahren in Küche und Haus, in Nahrung und 
Wohnung sein. Es heißt nicht umsonst: Von den 
reichen Leuten muß man das Sparen lernen, d. h. 
Leute, die es durch Tüchtigkeit und Sparsamkeit 
vorwärts gebracht haben, werden wenig Neigung 
zu zweckloser Vergeudung des mühsam Erworbenen 
haben. Auch bei der ländlichen Bevölkerung ist 
ein auf Unverstand oder roher Genußsucht be- 
ruhendes Zerstören von Gebrauchsgütern nicht 
selten. Ubertriebener Luxus hat schon manches 
schöne Bauerngut dem Untergang geweiht. 
Es kann daher nicht wundernehmen, wenn dem 
Luxus zu allen Zeiten Gegner entstanden sind. 
Insbesondere haben in der christlichen Zeit die 
Kirchenväter und Theologen des Mittelalters es 
nichtan scharfen Warnungen fehlen lassen. Vielfach 
glaubt man darauf den Vorwurf begründen zu 
können, die christliche Aszese sei kulturfeindlich. 
Sommerlad (Handwörterbuch der Staatsw. V. 
[„1900] 643) glaubt daher zu dem Urteil be- 
rechtigt zu sein: „Ebenso einstimmig wie ein- 
seitig in der Verdammung des Luxus sind die 
Anschauungen der Patristik und Scholastik, deren 
übernatürliche Moral ebenso wie im Altertum die 
philosophische Spekulation zur Anerkennung des 
Grundsatzes derabsoluten Bedürfnislosigkeit führte. 
Erst das ausgehende Mittelalter und der in der 
Neuzeit erfolgte Aufschwung von Handel und In- 
dustrie bahnten eine freiere Auffassung an.“ Diese 
Frage steht im Zusammenhang zu dem Problem 
der Stellung des Christentums zur weltlichen 
Kultur. Prinzipiell verwirft das Christentum bloß 
die übertriebene Anhänglichkeit an die irdischen 
Güter. Es fordert freilich nicht zu Erwerb und 
Genuß auf, verbietet aber diese auch nicht absolut. 
Ist auch eine gewissenhafte Verwendung der Ge- 
brauchsgüter eine Pflicht der Besitzenden, so liegt 
doch ein kleinlicher, pedantischer Maßstab gewiß 
nicht im Sinne des Evangeliums. Wie der Schöpfer 
Blüten und Früchte in der Natur in einer Menge
	        
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