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schändliches Leben und sein Buch vom „Fürsten“.“
Den Verehrern seiner italienischen Politik widmete
Ranke in seiner Schrift „Zur Kritik neuerer Ge-
schichtschreiber“ den seltsamen Trost: „Machiavelli 11
suchte die Heilung Italiens, doch der Zustand schien
ihm so verzweifelt, daß er kühn genug war, ihm
Gift zu verschreiben.
So gewiß die Anschauungen Machiavellis über
die politischen und religiösen Zustände seiner Zeit
und Umgebung ein Zerrbild sind, dessen Einzel-
züge seine persönliche Färbung tragen, so gewiß
haben die Träger des damaligen kulturellen Lebens
reichlichen Anteil an demselben. Selbstsucht, Hab-
gier, maßlose Eitelkeit und Selbstvergötterung
und Sinnengenuf beherrschten die leitenden Kreise.
Aber es wäre ein Irrtum, wenn man jene poli-
tische Richtung, welche man Machiavellismus
nennt, als eine Erfindung des Florentiner Poli-
tikers hinstellen wollte. Die Staatskunst, welche
alle sittlichen Grundlagen verleugnet und als ein-
zige Richtschnur des Handelns den Erfolg und die
Heuchelei des Guten hinstellt, war vor Machiavelli
dem Wesen nach da und hat sich nach ihm er-
halten; er hat lediglich einen erstmaligen klassischen
Ausdruck für sie gefunden. Ehe Machiavelli ins
politische Leben eintrat, waren die Grundlagen
der Revolutionierung der internationalen Politik
längst gelegt: das okzidentalische Schisma, die
cäsaristische Vergewaltigung und Beschimpfung
des Papsttums (Bonifaz VIII.), jene Unsicherheit
in der Stellung der beiden obersten Sozialgewalten,
welche die Periode der pragmatischen Sanktionen,
der Konkordate, des Legismus beherrscht, die Ver-
drängung der christlichen Ideale durch die des
antiken Humanismus, die ausgedehnteren und
schwieriger werdenden Beziehungen der aufstreben-
den Nationalitäten, der steigende Kampf gegen die
Autorität Roms, alles das führte zu jenem Zwie-
spalt zwischen dem politischen und religiösen
Denken, welcher den Sieg der heidnischen Welt-
korruption über die christliche Staatsidee voll-
endete. Ihr erster Theoretiker wurde Machiovelli,
indem er im Principe das Evangelium des
modernen Absolutismus, des fürstlichen wie des
demokratischen, schuf, auf dessen Predigt sich alles,
was widerchristlich und antisozial ist, in den un-
glaublichsten Variationen versteht.
Literatur. Gesamtausgaben der Werke M.s
erschienen seit 1550 öfter (Florenz 1813 in 8 Bdn,
1826 in 10 Bdu; deutsch von Ziegler, 8 Bde, 1832
bis 1841), kritisch u. vollständig durch Passerini,
Fanfani u. Milanesi mit Hilfe der Societ italiana-
per P’incremento degli studj (6 Bde, Florenz
1873/77). Ausführliche Literaturnachweise finden
sich in Mohls Geschichte u. Literatur der Staats-
wissenschaften III (1858) u. im Handwörterbuch
der Staatswissenschaften, Art. „M.“, IV (721900)
671 ff. Es sei ferner erinnert an Friedrichs II.
Antimachiavel (von Voltaire hrsg. 1740); an Leo,
Briefsammlung M.s (1826); Artaud de Montor,
Machiavel, son génie et ses erreurs (2 Bde, Par.
1833); an Pasquale Villari, N. Machiavelli (Flo=
Mädchenhandel — Majestätsverbrechen.
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renz 1877/83, 21895/97, 3 Tle); vor allem aber
an die hochbedeutsamen Forschungen in L. Pastor,
Geschichte der Päpste I/III (31899 ff), zumal III
6ff u. an die dort verzeichneten erschöpfenden
Literaturangaben u. deren Kritik. Beachtenswert
ist auch die Einleitung von Lord Akton zu Burds
Ausgabe des Principe (Oxford 1891). Eine Ge-
schichte des Machiavellismus schreibt Charles Be-
noist, Le Macchiavélisme. I: Avant Macchiavel
(Par. 1907); II u. III sollen M. u. die Zeit nach
ihm enthalten. Weinand.)
Mädchenhandel s. Prostitution.
Maffia s. Gesellschaften, geheime (Bd II,
Sp. 596).
Mahlsteuer s. Steuern.
Majestätsverbrechen. Majestätsverbre-
chen sind die gegen den Staat oder das im mon-
archischen Staate mit dem letzteren selbst aufs engste
verbundene Staatsoberhaupt gerichteten strafbaren
Handlungen. In Rom bezeichnete perduellio
schon im 1. Jahrh. des römischen Staates die
Handlungsweise des als Feind seines Vater-
landes auftretenden Bürgers. Mit der actio per-
duellionis konnte sowohl die Gefährdung der
innern Ruhe und Sicherheit, sei es durch An-
griffe auf die bestehende Verfassung oder die Person
des Königs behufs seiner Entthronung oder Er-
mordung, sei es durch widerrechtliche Anmaßung
obrigkeitlicher Gewalt, als auch die Bereitung
äußerer Gefahr durch Verbindung mit einem aus-
wärtigen Feinde verfolgt werden. Die duumviri
perduellionis urteilten über die Tatfrage, der
schuldig Befundene aber durfte provozieren. Be-
stätigten die Komitien das Duumviralurteil, so
folgte Geißelung und Todesstrafe durch Auf-
hängen am Baume unter Verhüllung des Hauptes,
durch Herabstürzen vom Tarpejischen Felsen oder
durch Enthauptung. In der Republik erhielt der
Begriff der perduellio eine Umänderung und Er-
weiterung, indem die Verletzungen der beschworenen
Verfassung durch Streben nach Alleinherrschaft,
Anmaßung und Mißbrauch obrigkeitlicher Gewalt,
Verletzung der geheiligten Obrigkeiten, namentlich
der Volkstribunen, der Verrat an den äußeren
Feind oder feige Überlieferung von Land und
Leuten an ihn, Desertieren, Ubergehen zum Feinde,
Aufregung fremder Völker zu Feindseligkeiten durch
die leges sacratae (vom Jahre 260), die 12 Ta-
feln (302), die lex Valeria Horatia (305), die
leges Porciae (557) unter Anklage gestellt wur-
den. Das Verbrechen wurde daheim mit dem
Tode, Vermögenseinziehung und Vernichtung des
Andenkens, im Heere vom Oberbefehlshaber nach
Kriegsrecht bestraft. Gegen das Ende der Re-
publik bildete sich der Begriff des crimen mi-
nutae maiestatis populi Romani, wobei maie-
stas die Macht, das Ansehen und das würdige
Bestehen des römischen Staates bedeutet. Die
lex Cornelia (673) des Lucius Sulla richtete
eine quaestio perpetua de maiestate minuta
wegen Verletzung der Hoheit und Würde des
Staates ein und begriff unter dem crimen maie-