Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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schändliches Leben und sein Buch vom „Fürsten“.“ 
Den Verehrern seiner italienischen Politik widmete 
Ranke in seiner Schrift „Zur Kritik neuerer Ge- 
schichtschreiber“ den seltsamen Trost: „Machiavelli 11 
suchte die Heilung Italiens, doch der Zustand schien 
ihm so verzweifelt, daß er kühn genug war, ihm 
Gift zu verschreiben. 
So gewiß die Anschauungen Machiavellis über 
die politischen und religiösen Zustände seiner Zeit 
und Umgebung ein Zerrbild sind, dessen Einzel- 
züge seine persönliche Färbung tragen, so gewiß 
haben die Träger des damaligen kulturellen Lebens 
reichlichen Anteil an demselben. Selbstsucht, Hab- 
gier, maßlose Eitelkeit und Selbstvergötterung 
und Sinnengenuf beherrschten die leitenden Kreise. 
Aber es wäre ein Irrtum, wenn man jene poli- 
tische Richtung, welche man Machiavellismus 
nennt, als eine Erfindung des Florentiner Poli- 
tikers hinstellen wollte. Die Staatskunst, welche 
alle sittlichen Grundlagen verleugnet und als ein- 
zige Richtschnur des Handelns den Erfolg und die 
Heuchelei des Guten hinstellt, war vor Machiavelli 
dem Wesen nach da und hat sich nach ihm er- 
halten; er hat lediglich einen erstmaligen klassischen 
Ausdruck für sie gefunden. Ehe Machiavelli ins 
politische Leben eintrat, waren die Grundlagen 
der Revolutionierung der internationalen Politik 
längst gelegt: das okzidentalische Schisma, die 
cäsaristische Vergewaltigung und Beschimpfung 
des Papsttums (Bonifaz VIII.), jene Unsicherheit 
in der Stellung der beiden obersten Sozialgewalten, 
welche die Periode der pragmatischen Sanktionen, 
der Konkordate, des Legismus beherrscht, die Ver- 
drängung der christlichen Ideale durch die des 
antiken Humanismus, die ausgedehnteren und 
schwieriger werdenden Beziehungen der aufstreben- 
den Nationalitäten, der steigende Kampf gegen die 
Autorität Roms, alles das führte zu jenem Zwie- 
spalt zwischen dem politischen und religiösen 
Denken, welcher den Sieg der heidnischen Welt- 
korruption über die christliche Staatsidee voll- 
endete. Ihr erster Theoretiker wurde Machiovelli, 
indem er im Principe das Evangelium des 
modernen Absolutismus, des fürstlichen wie des 
demokratischen, schuf, auf dessen Predigt sich alles, 
was widerchristlich und antisozial ist, in den un- 
glaublichsten Variationen versteht. 
Literatur. Gesamtausgaben der Werke M.s 
erschienen seit 1550 öfter (Florenz 1813 in 8 Bdn, 
1826 in 10 Bdu; deutsch von Ziegler, 8 Bde, 1832 
bis 1841), kritisch u. vollständig durch Passerini, 
Fanfani u. Milanesi mit Hilfe der Societ italiana- 
per P’incremento degli studj (6 Bde, Florenz 
1873/77). Ausführliche Literaturnachweise finden 
sich in Mohls Geschichte u. Literatur der Staats- 
wissenschaften III (1858) u. im Handwörterbuch 
der Staatswissenschaften, Art. „M.“, IV (721900) 
671 ff. Es sei ferner erinnert an Friedrichs II. 
Antimachiavel (von Voltaire hrsg. 1740); an Leo, 
Briefsammlung M.s (1826); Artaud de Montor, 
Machiavel, son génie et ses erreurs (2 Bde, Par. 
1833); an Pasquale Villari, N. Machiavelli (Flo= 
Mädchenhandel — Majestätsverbrechen. 
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renz 1877/83, 21895/97, 3 Tle); vor allem aber 
an die hochbedeutsamen Forschungen in L. Pastor, 
Geschichte der Päpste I/III (31899 ff), zumal III 
6ff u. an die dort verzeichneten erschöpfenden 
Literaturangaben u. deren Kritik. Beachtenswert 
ist auch die Einleitung von Lord Akton zu Burds 
Ausgabe des Principe (Oxford 1891). Eine Ge- 
schichte des Machiavellismus schreibt Charles Be- 
noist, Le Macchiavélisme. I: Avant Macchiavel 
(Par. 1907); II u. III sollen M. u. die Zeit nach 
ihm enthalten. Weinand.) 
Mädchenhandel s. Prostitution. 
Maffia s. Gesellschaften, geheime (Bd II, 
Sp. 596). 
Mahlsteuer s. Steuern. 
Majestätsverbrechen. Majestätsverbre- 
chen sind die gegen den Staat oder das im mon- 
archischen Staate mit dem letzteren selbst aufs engste 
verbundene Staatsoberhaupt gerichteten strafbaren 
Handlungen. In Rom bezeichnete perduellio 
schon im 1. Jahrh. des römischen Staates die 
Handlungsweise des als Feind seines Vater- 
landes auftretenden Bürgers. Mit der actio per- 
duellionis konnte sowohl die Gefährdung der 
innern Ruhe und Sicherheit, sei es durch An- 
griffe auf die bestehende Verfassung oder die Person 
des Königs behufs seiner Entthronung oder Er- 
mordung, sei es durch widerrechtliche Anmaßung 
obrigkeitlicher Gewalt, als auch die Bereitung 
äußerer Gefahr durch Verbindung mit einem aus- 
wärtigen Feinde verfolgt werden. Die duumviri 
perduellionis urteilten über die Tatfrage, der 
schuldig Befundene aber durfte provozieren. Be- 
stätigten die Komitien das Duumviralurteil, so 
folgte Geißelung und Todesstrafe durch Auf- 
hängen am Baume unter Verhüllung des Hauptes, 
durch Herabstürzen vom Tarpejischen Felsen oder 
durch Enthauptung. In der Republik erhielt der 
Begriff der perduellio eine Umänderung und Er- 
weiterung, indem die Verletzungen der beschworenen 
Verfassung durch Streben nach Alleinherrschaft, 
Anmaßung und Mißbrauch obrigkeitlicher Gewalt, 
Verletzung der geheiligten Obrigkeiten, namentlich 
der Volkstribunen, der Verrat an den äußeren 
Feind oder feige Überlieferung von Land und 
Leuten an ihn, Desertieren, Ubergehen zum Feinde, 
Aufregung fremder Völker zu Feindseligkeiten durch 
die leges sacratae (vom Jahre 260), die 12 Ta- 
feln (302), die lex Valeria Horatia (305), die 
leges Porciae (557) unter Anklage gestellt wur- 
den. Das Verbrechen wurde daheim mit dem 
Tode, Vermögenseinziehung und Vernichtung des 
Andenkens, im Heere vom Oberbefehlshaber nach 
Kriegsrecht bestraft. Gegen das Ende der Re- 
publik bildete sich der Begriff des crimen mi- 
nutae maiestatis populi Romani, wobei maie- 
stas die Macht, das Ansehen und das würdige 
Bestehen des römischen Staates bedeutet. Die 
lex Cornelia (673) des Lucius Sulla richtete 
eine quaestio perpetua de maiestate minuta 
wegen Verletzung der Hoheit und Würde des 
Staates ein und begriff unter dem crimen maie- 
  
 
	        
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