Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Reichsverwesers alleiniges Objekt der Majestäts- 
beleidigung. 
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes 
unterwarf die gemeinsame Gesetzgebung über das 
Strafrecht der Bundeskompetenz. Die der Gesetz- 
gebung gestellte Aufgabe war bezüglich des Maje- 
stätsverbrechens insofern neu, als die seitherigen 
St.G. B. für einen Einheitsstaat berechnet waren, 
während nunmehr ein Strafgesetzbuch für 
einen zusammengesetzten Staatskörper geschaffen 
werden mußte und in diesem nicht nur der Bundes- 
staat mit seinem Kaiser, sondern auch die einzelnen 
Bundesstaaten mitihren regierenden Häupternunter 
den Strafschutz des Bundes zu nehmen waren, da 
an deren Integrität der Bund selbst ein verfassungs- 
mäßiges Interesse hat. Die Aufgabe ist in der 
Weise gelöst, daß Beleidigungen des Kaisers, des 
eignen Landesherrn und desjenigen Landesherrn, 
in dessen Gebiet sich der Täter befindet, sowie Be- 
leidigungen des landesherrlichen Hauses und des 
Regenten als Beleidigungen des Landesherrn in 
den §§ 9t4/97, die Beleidigung der Bundesfürsten, 
der Mitglieder bundesfürstlicher Häuser und des 
Regenten als Beleidigung von Bundesfürsten in 
den §§ 98/101, die Beleidigung des Landesherrn 
oder des Regenten eines nicht zum Deutschen 
Reiche gehörenden Staates als feindliche Hand- 
lung gegen befreundete Staaten in 8 103 des 
deutschen St.G. B. mit Strafe bedroht sind. 
Majestätsbeleidigungen sind daher die Beleidi- 
gungen des Kaisers, des eignen Landesherrn und 
desjenigen Landesherrn, in dessen Gebiet sich der 
Täter befindet, sowie die Beleidigungen der Bun- 
desfürsten. Die Beleidigungen der Mitglieder der 
landesherrlichen, bundesfürstlichen und befreun- 
deten Herrscherhäuser sowie der Regenten sind nur 
besonders qualifizierte Beleidigungen. 
Zum Tatbestand der Mojestätsbeleidigung 
wird erfordert: als Subjekt ein willensfähiger 
Mensch. Nicht nur der Staatsbürger, sondern 
jeder im Staate sich Aufhaltende, mag er Deut- 
scher oder Ausländer sein, kann sich der Majestäts- 
beleidigung schuldig machen. Ein Deutscher kann 
wegen Beleidigung des Landesherrn und der 
Bundesfürsten auch dann bestraft werden, wenn 
er diese Beleidigung im Auslande verübt hat; 
nicht so der Ausländer. Objekt der Majestäts- 
beleidigung ist der Deutsche Kaiser, der eigne 
Landesherr oder während des Aufenthaltes in 
einem Bundesstaate der Landesherr dieses Staates, 
ferner jeder Bundesfürst. Die Handlung besteht 
in einem Angriff auf die Ehre des Staatsober= 
hauptes durch Tätlichkeiten oder durch einfache 
Beleidigungen. Gleichgültig ist, ob sich die Be- 
leidigung gegen die Würde des Staatsoberhauptes 
oder gegen den Fürsten als Privatmann richtet. 
Die Majestätsbeleidigung ist ein weiterer Be- 
griff als derjenige der gewöhnlichen Beleidigung, 
indem alle Angriffe gegen die Persönlichkeit des 
Staatsoberhauptes, welchen keine hochverräterische 
Absicht zugrunde liegt, darunter fallen, ins- 
Majestätsverbrechen. 
  
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besondere auch Angriffe auf die Integrität des 
leiblichen Organismus. Die Ehre des Staats- 
oberhauptes ist etwas zugleich der Würde selbst 
Innewohnendes, darum von objektiverem Cha- 
rakter als die Ehre des einzelnen, weshalb auch 
die bei der Beleidigung anwendbaren Grundsätze 
der Strafversolgung und der Kompensation gar 
nicht, die des Wahrheitsbeweises nur modifiziert 
zur Anwendung kommen, insofern die Wahrheit 
einer Außerung deren beleidigende Natur aus- 
schließen kann. 
Unter Tätlichkeiten sind alle unberechtigten 
körperlichen Einwirkungen zu verstehen, durch 
welche in dem Staatsoberhaupt ein unangenehmes 
körperliches oder geistiges Gefühl hervorgerufen 
wird, auch wenn eine solche Einwirkung nicht in 
beleidigender Absicht erfolgt ist. Beleidigungen 
sind alle Außerungen und Handlungen, welche 
geeignet sind, den moralischen oder rechtlichen 
Charakter des Verletzten herabzusetzen. Die Be- 
leidigung kann mündlich, durch Zeichen, Gebärden, 
Briefe, durch vorsätzliche Verbreitung von Schriften 
oder Darstellungen, durch welche die Person der 
Geringschätzung preisgegeben wird, durch Be- 
drohung mit einer tätlichen Beleidigung, durch 
Verleumdungen oder auf sonstige Weise geschehen. 
Ehrverletzende Außerungen über eine Handlung 
des Staatsoberhauptes, welche in die Zeit vor der 
Thronbesteigung fällt, sind an sich keine Maje- 
stätsbeleidigung; sie nehmen aber diese Eigen- 
schaft an, sobald in der Außerung auch eine Be- 
leidigung für die Jetztzeit liegt, wenn z. B. in ihr 
ein Angriff auf den Charakter des Fürsten über- 
haupt liegt. Die Kritik einzelner Regierungsakte 
kann der verfassungsmäßigen Ministerverantwort- 
lichkeit ungeachtet eine Majestätsbeleidigung ent- 
halten, wenn sie sich auf die persönliche Beteiligung 
des Staatsoberhauptes an dem Regierungsakte 
bezieht. Gegen einen verstorbenen Landesherrn 
kann eine Majestätsbeleidigung nicht begangen 
werden. Erforderlich ist Dolus. Vollendet ist die 
Majestätsbeleidigung durch die Tätlichkeit bzw. 
durch die Kundgebung an den Verletzten oder an 
andere; bei schriftlicher Majestätsbeleidigung ge- 
nügt die Weggabe des Manufkriptes an sich noch 
nicht. Nach Reichsgesetz vom 17. Febr. 1908 ist 
die Majestätsbeleidigung aus den §§ 95, 97, 99, 
101 des St.G.B. nur strafbar, wenn sie in der 
Absicht der Ehrverletzung böswillig und mit lÜber- 
legung begangen wird. Daneben bleibt sie beim 
Fehlen dieser Voraussetzungen nach den Vor- 
schriften über Beleidigungen strafbar. 
Tätlichkeiten gegen den Kaiser, gegen den eignen 
Landesherrn oder gegen denjenigen Landesherrn, 
in dessen Gebiet die Tat begangen wird, werden 
mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe oder lebens- 
länglicher Festungshaft, in minder schweren Fällen 
mit Zuchthaus oder Festungshaft nicht unter fünf 
Jahren, einfache Beleidigungen mit Gefängnis 
oder Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf 
Jahren bestraft; Tätlichkeiten gegen einen 
 
	        
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