953
Reichsverwesers alleiniges Objekt der Majestäts-
beleidigung.
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes
unterwarf die gemeinsame Gesetzgebung über das
Strafrecht der Bundeskompetenz. Die der Gesetz-
gebung gestellte Aufgabe war bezüglich des Maje-
stätsverbrechens insofern neu, als die seitherigen
St.G. B. für einen Einheitsstaat berechnet waren,
während nunmehr ein Strafgesetzbuch für
einen zusammengesetzten Staatskörper geschaffen
werden mußte und in diesem nicht nur der Bundes-
staat mit seinem Kaiser, sondern auch die einzelnen
Bundesstaaten mitihren regierenden Häupternunter
den Strafschutz des Bundes zu nehmen waren, da
an deren Integrität der Bund selbst ein verfassungs-
mäßiges Interesse hat. Die Aufgabe ist in der
Weise gelöst, daß Beleidigungen des Kaisers, des
eignen Landesherrn und desjenigen Landesherrn,
in dessen Gebiet sich der Täter befindet, sowie Be-
leidigungen des landesherrlichen Hauses und des
Regenten als Beleidigungen des Landesherrn in
den §§ 9t4/97, die Beleidigung der Bundesfürsten,
der Mitglieder bundesfürstlicher Häuser und des
Regenten als Beleidigung von Bundesfürsten in
den §§ 98/101, die Beleidigung des Landesherrn
oder des Regenten eines nicht zum Deutschen
Reiche gehörenden Staates als feindliche Hand-
lung gegen befreundete Staaten in 8 103 des
deutschen St.G. B. mit Strafe bedroht sind.
Majestätsbeleidigungen sind daher die Beleidi-
gungen des Kaisers, des eignen Landesherrn und
desjenigen Landesherrn, in dessen Gebiet sich der
Täter befindet, sowie die Beleidigungen der Bun-
desfürsten. Die Beleidigungen der Mitglieder der
landesherrlichen, bundesfürstlichen und befreun-
deten Herrscherhäuser sowie der Regenten sind nur
besonders qualifizierte Beleidigungen.
Zum Tatbestand der Mojestätsbeleidigung
wird erfordert: als Subjekt ein willensfähiger
Mensch. Nicht nur der Staatsbürger, sondern
jeder im Staate sich Aufhaltende, mag er Deut-
scher oder Ausländer sein, kann sich der Majestäts-
beleidigung schuldig machen. Ein Deutscher kann
wegen Beleidigung des Landesherrn und der
Bundesfürsten auch dann bestraft werden, wenn
er diese Beleidigung im Auslande verübt hat;
nicht so der Ausländer. Objekt der Majestäts-
beleidigung ist der Deutsche Kaiser, der eigne
Landesherr oder während des Aufenthaltes in
einem Bundesstaate der Landesherr dieses Staates,
ferner jeder Bundesfürst. Die Handlung besteht
in einem Angriff auf die Ehre des Staatsober=
hauptes durch Tätlichkeiten oder durch einfache
Beleidigungen. Gleichgültig ist, ob sich die Be-
leidigung gegen die Würde des Staatsoberhauptes
oder gegen den Fürsten als Privatmann richtet.
Die Majestätsbeleidigung ist ein weiterer Be-
griff als derjenige der gewöhnlichen Beleidigung,
indem alle Angriffe gegen die Persönlichkeit des
Staatsoberhauptes, welchen keine hochverräterische
Absicht zugrunde liegt, darunter fallen, ins-
Majestätsverbrechen.
954
besondere auch Angriffe auf die Integrität des
leiblichen Organismus. Die Ehre des Staats-
oberhauptes ist etwas zugleich der Würde selbst
Innewohnendes, darum von objektiverem Cha-
rakter als die Ehre des einzelnen, weshalb auch
die bei der Beleidigung anwendbaren Grundsätze
der Strafversolgung und der Kompensation gar
nicht, die des Wahrheitsbeweises nur modifiziert
zur Anwendung kommen, insofern die Wahrheit
einer Außerung deren beleidigende Natur aus-
schließen kann.
Unter Tätlichkeiten sind alle unberechtigten
körperlichen Einwirkungen zu verstehen, durch
welche in dem Staatsoberhaupt ein unangenehmes
körperliches oder geistiges Gefühl hervorgerufen
wird, auch wenn eine solche Einwirkung nicht in
beleidigender Absicht erfolgt ist. Beleidigungen
sind alle Außerungen und Handlungen, welche
geeignet sind, den moralischen oder rechtlichen
Charakter des Verletzten herabzusetzen. Die Be-
leidigung kann mündlich, durch Zeichen, Gebärden,
Briefe, durch vorsätzliche Verbreitung von Schriften
oder Darstellungen, durch welche die Person der
Geringschätzung preisgegeben wird, durch Be-
drohung mit einer tätlichen Beleidigung, durch
Verleumdungen oder auf sonstige Weise geschehen.
Ehrverletzende Außerungen über eine Handlung
des Staatsoberhauptes, welche in die Zeit vor der
Thronbesteigung fällt, sind an sich keine Maje-
stätsbeleidigung; sie nehmen aber diese Eigen-
schaft an, sobald in der Außerung auch eine Be-
leidigung für die Jetztzeit liegt, wenn z. B. in ihr
ein Angriff auf den Charakter des Fürsten über-
haupt liegt. Die Kritik einzelner Regierungsakte
kann der verfassungsmäßigen Ministerverantwort-
lichkeit ungeachtet eine Majestätsbeleidigung ent-
halten, wenn sie sich auf die persönliche Beteiligung
des Staatsoberhauptes an dem Regierungsakte
bezieht. Gegen einen verstorbenen Landesherrn
kann eine Majestätsbeleidigung nicht begangen
werden. Erforderlich ist Dolus. Vollendet ist die
Majestätsbeleidigung durch die Tätlichkeit bzw.
durch die Kundgebung an den Verletzten oder an
andere; bei schriftlicher Majestätsbeleidigung ge-
nügt die Weggabe des Manufkriptes an sich noch
nicht. Nach Reichsgesetz vom 17. Febr. 1908 ist
die Majestätsbeleidigung aus den §§ 95, 97, 99,
101 des St.G.B. nur strafbar, wenn sie in der
Absicht der Ehrverletzung böswillig und mit lÜber-
legung begangen wird. Daneben bleibt sie beim
Fehlen dieser Voraussetzungen nach den Vor-
schriften über Beleidigungen strafbar.
Tätlichkeiten gegen den Kaiser, gegen den eignen
Landesherrn oder gegen denjenigen Landesherrn,
in dessen Gebiet die Tat begangen wird, werden
mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe oder lebens-
länglicher Festungshaft, in minder schweren Fällen
mit Zuchthaus oder Festungshaft nicht unter fünf
Jahren, einfache Beleidigungen mit Gefängnis
oder Festungshaft von zwei Monaten bis zu fünf
Jahren bestraft; Tätlichkeiten gegen einen