Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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wie die „Vorbereitungsschulen“, vor dem Eintritt 
in die kaufmännische Praxis. Sie sind teils 
Privatanstalten, wie vorwiegend noch in Preußen, 
teils mit staatlicher und kommunaler Beihilfe ge- 
schaffen, so besonders in Sachsen, Bayern, Oster- 
reich und der Schweiz. Sie fehlen (bis Juli 1909) 
noch gänzlich in Oldenburg, Bremen, den beiden 
Mecklenburg, den beiden Lippe, Waldeck, Braun- 
schweig und in den thüringischen Staaten mit 
Ausnahme von Meiningen (Salzungen, s. unten) 
und Schwarzburg-Sondershausen (Arnstadt, s. 
unten). Manche der Handelsmittelschulen sind als 
eigene Fachklassen den Gewerbeschulen, Realschulen 
oder Realgymnasien angegliedert. Sie zerfallen 
in Handelsrealschulen und höhere Handelsschulen. 
a) Die Handelsrealschulen legen, wie 
schon der (übrigens bereits in der 1770 in Wien 
errichteten „Realhandelsschule“ vorkommende) 
Name andeutet, neben der Fachbildung großen 
Wert auch auf das allgemeine Wissen und schließen 
sich an den Unterricht der Volksschule oder der 
höheren Bürgerschule an. Mit den Realschulen, 
denen sie in den unteren 3 Klassen völlig ähnlich 
sind (namentlich der die Allgemeinbildung betonende 
sechsklassige sog. Milieutypus), haben sie die Be- 
rechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst 
gemeinsam. Im übrigen herrscht wohl bei keiner 
andern Schulart eine solche Verschiedenheit in den 
Lehrplänen wie bei den Handelsrealschulen; nur 
darin sind ziemlich alle gleich, daß der fachliche 
Einschlag erst auf einer späteren Stufe, hauptsäch- 
lich in den beiden Oberklassen, eintritt. Vermutlich 
wird nunmehr größere Übereinstimmung erzielt 
werden, seit der sechste Kongreß des „Deutschen 
Verbandes für kaufmännisches Unterrichtswesen“ 
im Herbst 1908 in Danzig einen Normallehrplan 
für diese Schulgattung aufgestellt hat, der eine 
gesunde Mitte zwischen der Allgemein= und der 
Fachbildung innezuhalten scheint und erfreulicher- 
weise auch die Religion unter die Unterrichtsfächer 
aufgenommen hat, was der sog. sächsische Typus 
unterlassen hatte. Von der Bevorzugung, die der 
letztere den kaufmännischen Fächern zuteil werden 
läßt, gibt z. B. der Dresdener Lehrplan eine Vor- 
stellung, der folgende Unterrichtsfächer aufweist: 
Handelsrecht, Volkswirtschaftslehre, Handels= und 
Wechsellehre, Kaufmännische Korrespondenz, Buch- 
haltung und Kontorarbeiten, Kaufmännisches 
Rechnen, Deutsche Sprache und Literatur, Fran- 
zösische und englische Sprache und Korrespondenz, 
Algemeine und Handelsgeographie und--geschichte, 
Chemie, Technologie, Warenkunde, Physik, Natur- 
kunde, Mathematik und Schönschreiben. Dazu 
kommen als wahlfreie Fächer noch Stenographie 
und Schreibmaschine. Von den Anstalten dieser 
Art, die außerhalb des Königreichs Sachsen 
(Dresden, Leipzig, Chemnitz und Bautzen) den 
dreiklassigen sächsischen Typus haben, ist vor allem 
Frankfurt a. M. zu nennen. Zu den bekanntesten 
Handelsrealschulen oder diesen ähnlichen mittleren 
Handelsschulen gehören außer den genannten noch: 
Kaufmännisches Bildungswesen. 
  
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Augsburg, Berlin, Celle, Dessau, Köln, München, 
Nürnberg, Osnabrück, Straßburg und Stuttgart. 
Gerade diese Schulgattung scheint sich wachsender 
Beliebtheit zu erfreuen, was schließlich auch nicht 
überraschen kann, wenn man bedenkt, daß nach- 
weislich bis 70 % aller Realschulabiturienten sich 
dem Handelsstande widmen, ohne daß dessen Be- 
dürfnissen auf den bestehenden Realschulen beson- 
ders Rechnung getragen würde. 
Den Handelsrealschulen sehr ähnlich sind die 
sog. Handelsklassen, die den Oberklassen der 
Realschulen angegliedert werden. Sie finden sich 
seit den 1870er Jahren namentlich in Bayern; 
so in Amberg, Aschaffenburg, Bamberg, Erlangen, 
Freising, Fürth, Ingolstadt, Kaiserslautern, 
Kempten, Kitzingen, Kulmbach, Landshut, Lindau, 
Ludwigshafen, Neuburg, Nördlingen, Rosenheim, 
Schweinfurt, Speier, Traunstein und Würzburg. 
Von den nichtbayrischen seien genannt Flensburg, 
Altona, Zittau, Salzungen, Gotha, Arnstadt. 
Auch die deutsche Oberrealschule zu Konstantinopel 
hat solche Handelsklassen. 
b) Die höheren Handelsschulen setzen 
die Allgemeinbildung, die zur Einjährigen-Be- 
rechtigung gehört, voraus und widmen sich fast 
ausschließlich den kaufmännischen Fächern. Die 
namhaftesten befinden sich in Aachen, Barmen, 
Dortmund, Frankfurt a. M., Gera, Hamburg, 
Hannover, Mainz und Mannheim. Ist ihre Or- 
ganisation auch einheitlicher als die der Handels- 
realschulen, so zeigen doch auch sie wesentliche 
Verschiedenheiten. Am beliebtesten sind in Deutsch- 
land die Anstalten, welche nur eine Klasse haben, 
also der Obersekunda entsprechen. Sie sind ebenso 
wie die beiden andern gleich noch zu besprechen- 
den Gattungen gewöhnlich mit einer der neun- 
stufigen Mittelschulen verbunden oder mit einer 
Handelsrealschule. Zu den Unterrichtsgegenstän- 
den der Handelsrealschulen treten in den höheren 
Handelsschulen als ganz neue Lehrfächer noch 
Handels= und Wechselrecht sowie chemische und 
mechanische Technologie hinzu. Weniger Anklang 
haben zwei= und dreiklassige höhere Handelsschulen 
gefunden. Letztere, die sich also auf die Handels- 
realschulen aufbauen sollten wie die Oberreal- 
schulen auf die Realschulen, sind bis jetzt einzig in 
der Zklassigen Handelsabteilung des Aachener 
Realgymnasiums verwirklicht worden, die 1909 
von nur 22 Schülern besucht wurde. Zweistufige 
höhere Handelsschulen (also gleich der Obersekunda 
und Unterprima) sind u. a. die in Frankfurt a. M., 
Mainz und Hamburg (am Realgymnasium des 
Johanneums). Gelegentlich werden auch Spanisch, 
Italienisch und Laboratoriumsübungen in diesen 
Instituten zur Wahl gestellt, ebenso in allerneuester 
Zeit das Esperanto. Die Zahl der wöchentlichen 
Unterrichtsstunden schwankt zwischen 33 und 38. 
Für den Besuch der Handelsschulen durch das 
weibliche Geschlecht ist mit steigendem Interesse 
in mannigfacher, aber noch nicht in ausreichender 
Weise gesorgt worden. In Ländern, in denen die
	        
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