Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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nischen Marinekommission. Indessen gelang es 
der deutschen Zentralgewalt nicht einmal, der be- 
schlossenen schwarz-rot-goldenen deutschen Kriegs- 
und Handelsflagge Anerkennung zu verschaffen; 
England erklärte, daß es die deutsche Flagge 
nicht kenne und solche unbekannte Flaggen in See 
wie die von Seeräuberschiffen behandeln würde. 
Ein Teil der kleinen, aus schwach gebauten Han- 
delsschiffen zusammengesetzten Reichsflotte unter- 
nahm am 4. Juni 1849 eine erste und einzige, 
unter schwarz-rot-goldener Flagge erfolgte Rekog- 
noszierungsfahrt von Bremerhaven aus in die 
Nähe von Helgoland, wo es mit einer dänischen 
Korvette zu einem erfolglosen Treffen kam. Selbst 
diese wenigen deutschen Kriegsschiffe konnten nur 
kurze Zeit kriegsfertig gehalten werden, da die von 
der Nationalversammlung für das erste Jahr be- 
willigten Matrikularbeiträge von 6 Mill. Talern 
nur zur Hälfte einliefen und Preußen gegen Ende 
des Jahres 1850 seine Flottenbeiträge ganz ein- 
stellte. Mehr Bedeutung als die Reichsflotte er- 
rang sich eine aus 14 Fahrzeugen bestehende vom 
schleswig-holsteinischen Marineausschuß ins Leben 
gerufene Flottille, welche 1849 und 1850 tapfer 
und wiederholt erfolgreich gegen die Dänen, 
kämpfte. Nachdem der Einheitstraum des deut- 
schen Volkes ein rasches Ende gefunden hatte, löste 
der deutsche Bundestag die Reichsflotte, deren 
Besitz kein Bundesstaat dem andern gönnte, auf; 
einige Schiffe wurden von Preußen gekauft, der 
Rest 1852 zur öffentlichen Versteigerung gebracht. 
Die schleswig-holsteinische Flottille verschwand mit 
der Rückgabe Schleswig-Holsteins an Dänemark. 
4. Preußen besaß 1848, als die dänischen 
Kriegsschiffe sich vor die Ostseehäfen legten, so 
gut wie keine Kriegsmarine, nämlich nur zwei 
Kanonenjollen und eine Korvette, keine genügen- 
den Seeoffiziere und Mannschaften, keine Kriegs- 
häfen; es entschloß sich aber nunmehr, außer den 
schleunigen Maßnahmen gegen den därischen 
Feind, welche zu einer Entscheidung nicht führten, 
eine dauernde Kriegsmarine zu schaffen. Diese 
Bemühungen waren wesentlich ein Verdienst des 
Prinzen Adalbert. In der Nordsee wurde 
1853 der Jadebusen als Kriegshafen erworben. 
Im dänischen Krieg 1864 konnte die preußische 
Flotte, da ein Teil ihrer Schiffe im Mittelmeer 
und in Ostasien sich befand, gegenüber der über- 
legenen dänischen Flotte Erfolge nicht erzielen. 
In der Nordsee vereinigten sich drei aus dem 
Mittelmeer zurückgekehrte preußische Kriegsfahr- 
zeuge mit zwei österreichischen Schraubenfregatten 
unter Kommodore Tegetthoff und lieferten bei 
Helgoland gegen ein dänisches Geschwader, be- 
stehend aus einer Fregatte und zwei Korvetten, ein 
Gefecht; als die Osterreicher Zuzug bekamen, ver- 
ließ das dänische Geschwader die Nordsee. Die 
preußische Flotte hat schließlich, obwohl die 
Flottenpläne von 1862 und 1865 die Billigung 
des Abgeordnetenhauses nicht gefunden hatten, eine 
Stärke von 84 Kriegsfahrzeugen mit 490 Ge- 
  
  
  
Marinewesen. 
990 
schützen, 122 Seeoffizieren, 1393 Mannschaften 
erreicht. 
5. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes 
vom 1. Juli 1867 schuf eine einheitliche Bundes- 
Kriegsmarine unter preußischem Oberbefehl. 
Schon unterm 15. Okt. 1867 legte der Bundes- 
kanzler v. Bismarck dem Reichstag einen von 
Roon entworfenen Flottenplan nebst einem Ge- 
setzentwurf zur Verwilligung der erforderlichen 
Geldmittel vor. In den Motiven dieser für die 
ganze fernere Entwicklung der deutschen Seemacht 
grundlegenden Vorlage wird gesagt: 
„Norddeutschland darf nicht länger zögern, in 
die Reihe der größeren Seemächte einzutreten, 
um den bedeutenden Seehandel Norddeutschlands 
zu schützen und die vaterländischen Küsten und 
Häfen an der Ost= und Nordsee zu verteidigen, und 
um für alle Zukunft seinen Einfluß in europäischen 
Angelegenheiten, zumal wenn diese solche Länder 
betreffen, welche nur zur See erreichbar sind, wahren 
zu können. Diesem Zweck und Ziele zu entsprechen, 
muß die Bundesmarine sich folgende Aufgabe 
stellen: 1) Schutz und Vertretung des See- 
handels Norddeutschlands auf allen 
Meeren und Erweiterung seiner Rechte 
und seiner Beziehungen; 2) Verteidi- 
gung der vaterländischen Küsten und 
Häfen an der ÖOst= und Nordsee; 3) Ent- 
wicklung deseignen Offensivvermögens 
nicht bloß zur Störung feindlichen See- 
handels, sondern auch zum Angriff feind- 
licher Flotten, Küsten und Häfen. Um 
auch nur den defensiven Teil dieser Aufgabe zweck- 
entsprechend durchführen zu können, bedarf es einer 
arine, welche imstande ist, unter Umständen die 
Offensive zu ergreifen. Eine Marine aber, welche 
die ganze Aufgabe lösen soll, wird von einer solchen 
Stärke und so gegliedert sein müssen, daß sie mit 
einem Teil den Seehandel in fernen Meeren zu 
schützen, mit dem zweiten Teil die Küsten des eignen 
Landes zu decken und mit dem wichtigsten und 
stärksten Teil die Hauptmacht des Feindes auf hoher 
See anzugreifen, sie in ihre eignen Häfen zurück- 
zuwerfen und diese zu blockieren vermag." 
Im einzelnen war vorgeschlagen, im ersten 
Bauabschnitt von zehn Jahren mit einer jähr- 
lichen Gesamtausgabe für die Marine im Betrag 
von 8 Mill. Taler die Flotte auf 16 Panzer- 
schiffe und Fahrzeuge, 20 Korvetten, 8 Avisos, 
3 Transportschiffe, 22 Dampfkanonenboote, 2 Ar- 
tillerieschiffe und 5 Übungsschiffe zu bringen, die 
Kriegshäfen Wilhelmshaven und Kiel herzustellen 
und den Personalbestand der Marine auf 350 
Offiziere, 5660 Seeleute, 1019 Maschinisten und 
Heizer, 460 Handwerker, 10 Kompagnien See- 
soldaten und 8 Kompagnien Seeartillerie zu ver- 
mehren. Die geforderten Gelder sind vom Reichs- 
tag in den einzelnen Etatsjahren bewilligt worden 
ohne formelle Genehmigung des Flottenplanes. 
In dem Krieg gegen Frankreich 1870/71 war die 
noch wenig entwickelte Bundesflotte außer stand, 
die Blockierung der deutschen Küsten und Häfen 
durch die übermächtige französische Panzerflotte zu 
verhindern. Die im Ausland befindlichen deutschen
	        
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