Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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über. Ein freundliches Verhältnis zu den euro- 
päischen Mächten, namentlich zu Frankreich (Han- 
delsvertrag 1767), bahnte sich seit dem 18. Jahrh. 
an. Sultan Muley-Suleiman verpflichtete sich 
1816/17 zur Abschaffung der Christensklaverei 
und der namentlich am Rif zur Plage gewordenen 
Seeräuberei, zunächst gegen Jahrestribut, den die 
skandinavischen Mächte noch bis 1845 bezahlten. 
Gespannter wurde das Verhältnis zu Frankreich, 
seit sich dieses in Algerien festsetzte. Der Rückhalt, 
den Abd el-Kader in Marokko fand, führte 1844 
zum Krieg (Sieg Bugeauds bei Isly, Beschießung 
von Tanger und Mogador durch den Prinzen von 
Joinville), der unter englischer Vermittlung für 
Marokko 1845 ohne Gebietsverlust endete. Eben- 
falls dem Drängen Englands, das gegenüber von 
Gibraltar keine europäische Macht haben wollte, 
verdankte es Marokko, daß das durch Angriffe 
auf Ceuta 1859 zum Kriege gereizte Spanien 
sich nach den Siegen O'Donnells 1860 mit einer 
Marokko. 
  
Kriegsentschädigung, kleinen Gebietserweiterung 
und einem Handelsvertrag begnügte. Der Friede 
von Lalla Marnia 18. März 1845 bestimmte die 
Grenze zwischen Algerien und Marokko nur ober- 
flächlich nach Stämmen, deren nomadisches Leben 
die Grenzverhältnisse noch unklarer machten. Frank- 
reich, das als stärkere Macht dabei seinen Vorteil 
fand, ließ die Unklarheit absichtlich bestehen; so 
wurden 1882 Ain Sefra, 1892 Mengub, 1899 
und 1900 die Tuatoasen annektiert. Das Schutz- 
recht der Konsuln wurde durch eine internationale 
Marokkokonferenz in Madrid 1880 geregelt. 
Immerhin schien bisher die Unabhängigkeit 
Marokkos durch den Wettstreit der Mächte ge- 
sichert. In eine neue Phase trat die marokkanische 
Frage mit dem englisch-französischen Abkommen 
vom 8. April 1904, worin England gegen ander- 
weitige Zugeständnisse Frankreich freie Hand zur 
„friedlichen Durchdringung" Marokkos gab; beide, 
Mächte sicherten sich auf 30 Jahre kommerzielle 
Gleichberechtigung in Marokko und Agypten zu. 
und Frankreich verpflichtete sich, an der Mittel- 
meerküste zwischen Melilla und dem Sebu keine 
Befestigungen anzulegen. Am 6. Okt. 1904 er- 
kannten auch Spanien und Italien die vor- 
wiegenden Interessen Frankreichs in Marokko an, 
und nun glaubte die französische Regierung unter 
Delcassé, ohne Zustimmung Deutschlands vor- 
gehen zu können. Durch die demonstrative Lan- 
dung Kaiser Wilhelms II. in Tanger am 31. März 
1905 erklärte sich Deutschland für die Unab- 
hängigkeit Marokkos und die Gleichberechtigung 
aller Nationen in Marokko, lehnte eine direkte 
Verständigung mit Frankreich ab und erzwang eine 
internationale Konferenz (in Algeciras, 16. Jan. 
bis 8. April 1906). Die Algecirasakte stellte 
den Grundsatz der Unabhängigkeit und Integrität 
Marokkos und der kommerziellen Gleichberechtigung 
aller Nationen auf, sicherte die Mitwirkung der 
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öffentlicher Arbeiten und traf Bestimmungen über 
Zollwesen und Waffenschmuggel. Das Interesse 
Frankreichs an der Aufrechterhaltung des Frie- 
dens an der algerischen Grenze wurde anerkannt; 
in den atlantischen Häfen sollte eine einheimische 
Polizei mit spanischen und französischen Instruk- 
teuren unter Aufsicht eines schweizerischen Offiziers 
eingerichtet werden. Dem Sultan wurden einige 
Reformen zugemutet, doch war deren Ausführung 
von dem schwachen und vergnügungssüchtigen 
Sultan Abd el-Asis (der seit 1894 regierte) kaum 
zu erwarten, zumal die Regierung wenig Autorität 
besitzt und in den Gebieten mancher Häuptlinge 
und Prätendenten nichts zu sagen hat. Die Lage 
komplizierte sich dadurch, daß im Juni 1907 des 
Sultans älterer Bruder Muley-Hafid, von der 
fremdenfeindlichen Bewegung getragen, in Mar- 
rakesch zum Sultan ausgerufen wurde. Trotzdem 
Frankreich anfangs Abd el-Asis begünstigte, um 
an ihm ein dankbares Werkzeug zu haben, ging 
bis Aug. 1908 das ganze Reich an Muley-Hafid 
über, der nach Annahme der Algecirasakte und 
Anerkennung der von Europäern in Marokko er- 
worbenen Rechte von den Mächten am 5. Jan. 
1909 anerkannt wurde. Uberhaupt trat Frank- 
reich 1907 aus der Zurückhaltung, die es in der 
ersten Zeit nach der Konferenz geübt hatte, wieder 
heraus und suchte durch Einrichtung einer euro- 
pdischen Polizei im angeblichen Auftrage Europas 
die Häfen in seinen Besitz zu bringen, wobei die 
Beteiligung Spaniens die wirklichen Absichten 
verdecken sollte. Da dies am Widerstande Deutsch- 
lands scheiterte, mußte es sich auf Strafexpedi- 
tionen wegen Verletzung französischer Untertanen 
beschränken. So wurde März 1907 Udschda und 
von da aus allmählich das Gebiet bis zum Süd- 
abhang des Großen Atlas, Aug. 1907 Casablanca 
und in der Folge das Schaujagebiet besetzt. Da 
Frankreich die Integrität Marokkos anzuerkennen 
und nach erhaltener Genugtuung und Entschädi- 
gung für seine Kosten (bis Ende 1909 etwa 
70 Mill. Franken) die besetzten Gebiete zu räumen 
versprach, erkannte Deutschland das besondere 
Interesse Frankreichs an der Aufrechterhaltung 
der Ordnung in Marokko an (Abkommen vom 
9. Febr. 1909). Auch Spanien ging seit Juli 
1909 innerhalb seiner im Geheimvertrag von 
1904 zugesicherten Interessensphäre vor und er- 
weiterte seine Stellung im Gebiet von Melilla. 
II. Bevölkterung, Wirtschaft. Der Flächen- 
inhalt Marokkos, dessen Grenzen im Osten wie 
im Süden nicht fest bestimmt sind, beläuft sich 
einschließlich der Küstengebiete im Süden auf 
etwa 812000 qkm, ohne diese und die von Frank- 
reich besetzte Oase Tuat auf rund 439 000 qkm. 
Die Schätzungen der Bevölkerungszahl schwanken 
zwischen 4 und 19 Mill.; nach den kritischen (aber 
wohl etwas zu niedrigen) Berechnungen Larras“ 
betrug die Zahl an 4,6 Mill., wovon ½ Mill. 
andern Mächte bei der Marokkanischen Bank (1907 auf das Saharagebiet, 1,9 Mill. auf das Atlas- 
gegründet) und Münze und bei der Vergebung und Rifgebiet, 2,2 Mill. auf das atlantische Ge-
	        
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