Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1023 Mäßigkeitsbewegung 
gebenden Arbeit nahezu verschwindet, kann man 
ohne weiteres zugeben, ohne deswegen der Marx- 
schen Werttheorie im entferntesten eine Konzession 
machen zu müssen. Dagegen kann und konnte die- 
selbe unstreitig der sozialistischen Agitation wich- 
tige Dienste leisten. Es mußte dem Proletarier 
schmeicheln zu hören, daß der ganze Wert der 
nationalen Produktion in letzter Linie sich auf die 
Arbeit seiner Hände zurückführen lasse, und es 
mußte anderseits die soziale Unzufriedenheit, den 
Haß gegen den Besitz am tiefsten aufwühlen, wenn 
unter dem Schein strenger Wissenschaftlichkeit der 
Nachweis geführt wurde, daß der Kapitalprofit 
nur durch die Ausbeutung der Arbeit, der Reich- 
tum und das Wohlleben der besitzenden Klassen 
nur durch die Armut und die Not der „Enterbten“ 
ermöglicht werde. Die Unrichtigkeit der Marxi- 
stischen Werttheorie ist aber von zahlreichen Kri- 
tikern des Marxismus schlagend nachgewiesen 
worden. Für richtig wird sie kaum mehr gehalten, 
höchstens wird ihr der Wert einer Hypothese bei- 
gelegt: der Marxsche Wert sci keine empirische, 
sondern eine gedankliche Tatsache, d. h. ein Hilfs- 
mittel für das Denken des theoretischen Denkers 
(Sombart, Zur Kritik des ökonomischen Systems 
von Karl Marx, im Archiv für soziale Gesetz- 
gebung und Statistik VII 573 ff). Diese Auf- 
fassung steht jedoch „mit dem ganzen Geist des 
Marxschen „Kapital“ im Widerspruch und hat auch 
ausdrückliche Zurechtweisung von Engels selbst er- 
fahren .. .“ (Diehl, Marx 709). 
Die Bedeutung Marr' liegt vor allem darin, 
daß er der sozialistischen Bewegung ein festes Pro- 
gramm gab, auf das sich alle Richtungen einigen 
konnten, und daß er das kapitalistische Wirtschafts- 
system, an dem er seine Kritik übte, wie Sombart 
sagt, sozusagen erst entdeckte. 
Literatur. Außer der schier unabsehbaren 
Literatur über M. u. seine ökonomischen Lehren 
seien außer den genannten Werken nur noch wenige 
angeführt: Cathrein, Der Sozialismus (°1906); 
Pesch, Der moderne Sozialismus (21900); Schaub, 
Die Eigentumslehre nach Thomas von Aquin u. 
dem modernen Sozialismus (1898); Sombart, 
Sozialismus u. soziale Bewegung im 19. Jahrh. 
(61908); ders., Das Lebenswerk von K. M. (1909); 
Masaryk, Die philosoph. u. soziolog. Grundlagen des 
M.ismus (1899); Weisengrün, Der M.ismus u. das 
Wesen der sozialen Frage (1900); F. Engels, M., im 
Handwörterb. der Staatswissenschaften V (21900) 
704f; E. Hammacher, Das philos-ökonom. Sy- 
stem des M. ismus (1909). Die Literatur ist größten- 
teils zusammengestellt bei K. Diehl, Art. „M."“, im 
Handwörterb. der Staatswissenschaften V (21900) 
707 ff. Die M. sche Wertlehre findet einen energi- 
schen Vertreter an dem katholischen Nationalöko- 
nomen Wilh. Hohoff, Warenwert u. Kapitalprofit 
(1902) u. Die Bedeutung der M. schen Kapitalkritik 
(1908). [F. Walter.) 
Mäßigkeitsbewegung s. Trunksuchts- 
bekämpfung. 
Maß und Gewicht. Maß heißt jede ge- 
gebene Größe, die als Norm zum Vergleich mit 
  
i 
l 
  
— Maß und Gewicht. 1024 
andern Größen dient und so zu einem in Zahlen 
ausgedrückten Maßverhältnis führt. Gegenstand 
der Maßbestimmung sind die Größen der Zeit, 
des Raumes (die Längen-, Flächen-, Körpermaße) 
und der Schwere (das Gewicht); aus letzteren 
zweigten sich die Maße des Wertes, die Münzen 
bzw. das Geld, ab. Für das wirtschaftliche Leben 
haben in neuester Zeit als Maßbestimmungs- 
objekte auch Bedeutung erlangt Wärme, Licht 
(Lichtstärke) und Elektrizität. Auch Qualitätsmaße 
haben sich ausgebildet, so z. B. auf dem Garn- 
und Gewebemarkt, im Getreidehandel (in Berlin 
beträgt z. B. das Qualitätsgewicht für 11 Weizen 
7268). Die für bestimmte Stückgüter gebrauchten 
Zahlmaße sind streng genommen nur Zahlwörter. 
Das erste vorzüglich durchgebildete Maß= und 
Gewichtssystem (eine Verbindung des Zeitmaßes 
mit dem Raum= und Gewichtsmaß) schufen die 
Babylonier. Leider ging dieses System nicht auf 
die andern Kulturvölker des Altertums über. Bis 
in die neuere Zeit wurden die Maße vom mensch- 
lichen Körper oder der Natur entnommen. Die 
Finger-, Fuß= oder Armlänge, die Handbreite, 
die Länge des Maultierhaares, die Breite des 
Palmblattes, der Dattel usw. dienten als Längen- 
maße; Nuß-- und Eierschalen, bestimmte Haus- 
gefäße als Hohlmaße; Früchte, die Tragfähigkeit 
von Mensch und Tier als Gewichte; die Arbeits- 
leistung in einer bestimmten Zeit zur Bestimmung 
der Feldmaße. Normalmaße wurden aus Stein 
oder Metall hergestellt, in den Mauern der Gottes- 
häuser oder der öffentlichen Gebäude eingemauert 
und so dem natürlichen Zerstörungsprozeß unter- 
worfen. Der Mangel eines festen, unveränder- 
lichen Normalmaßes, das man zu jeder Zeit, sollte 
es einmal verloren gehen, wieder bestimmen konnte, 
wurde sehr empfunden. Als solches brachte der 
holländische Astronom Huygens die Länge des 
Sekundenpendels in Vorschlag (1654), doch schon 
1673 machte der Franzose Rischer die Beobachtung, 
daß dessen Länge je nach dem Breitengrad ver- 
schieden ist. Der Physiker Bouguer wollte die 
Pendellänge unter dem 45. Breitengrad, La Con- 
damine die unter dem Aquator als Maßeinheit 
angewendet wissen. Die Grundlage für das Nor- 
malmaß wurde das Sekundenpendel nur in Groß- 
britannien (Ges. vom 17. Juni 1824), seinen Ko- 
lonien sowie in der amerikanischen Union. Die 
Länge des englischen Längenmaßes Yard (O,914 m) 
verhält sich nämlich zur Länge des Sekundenpen- 
dels, in der Breite von London, auf den Meeres- 
spiegel und den luftleeren Raum reduziert und bei 
620% Fahrenheit (16 /8° Celsius) gemessen, wie 
36:39,13929. Ahnlich wurde die englische Ge- 
wichtseinheit bestimmt; ein englischer Kubikzoll 
destilliertes Wasser von 620°5 Fahrenheit soll bei 
30 englischen Zoll Barometerhöhe 252,458 Grains 
eines Pfundes wiegen, das 5760 solcher Grains 
enthält. 
Auf dem Kontinent fand der Gedanke, die Ent- 
fernung zweier Punkteder Erdoberfläche zur Grund-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.