1061 Meinung,
die Selbstherrschaft aber wieder auf sich selbst, und
mitder wesentlichen Einschränkung des verfassungs-
mäßigen Gedankens ging diejenige der Preßfreiheit
Hand in Hand. Das Zeitungspublikum ist im
Verhältnis immer noch nicht zahlreich. Die Zei-
tungen sind teuer (50/70 M; die größeren deut-
schen Zeitungen kosten nur 20/30 M). In den
einzelnen Gouvernements existieren Gouverne=
mentszeitungen. Ahnlich wie in Rußland nahm
nach der Umwälzung in der Türkei dort die
Presse einen freiheitlichen Aufschwung, um alsbald
freilich ebenso wieder durch eine unerwartet eng-
herzige Gesetzgebung eingeschränkt zu werden. In
Chino ist die Zeitung Staatsmonopol. Die in
Peking erscheinenden Hof= und Staatsnachrichten
sollen bis auf den ersten Mingkaiser, Hongwu
(1366), zurückgehen.
VI. Die Kathokische Presse. Wie der „Kul-
turkampf“ in Deutschland einerseits die Leiden-
schaft der Gegner des Katholizismus bis zur
höchsten Glut entfachte, sei es nun der durchaus
ungläubigen oder der andersgläubigen Gegner,
und wie sich diese Leidenschaft in deren Presse
Ausbruch verschaffte, so stärkte er anderseiis das
katholische Bewußtsein, rief viele Kämpfer für
Freiheit und Recht auf den Plan, erhöhte die Le-
benskraft der bestehenden und schuf eine stattliche
Reihe neuer, für diese Ideale der Verfolgten ein-
tretender Blätter in katholischen Städten und
Städtchen. Rühmlich taten sich in dieser Hinsicht
vor allem die preußischen Rheinlande hervor. Mit
den Zentrumsfraktionen des Reichstages und des
Landtages hat die mit ihnen gedankeneinige Presse
Deutschlands den schweren Kampf treu und er-
folgreich durchgekämpft, und auch heute noch steht
jedes Blatt auf seinem Posten. Erneuerung der
Kulturkampfgelüste, örtliche Krisen mit Abfall ver-
bunden, dazu wirtschaftliche Kämpfe vervielfältigen
und erschweren ihre Aufgabe neuerdings. Stark
in ihrer Einigkeit, hat diese Presse den Gegnern
Achtung abgerungen, ist sie eine Schutzwehr, gegen
die wohl noch fortgesetzt angerannt wird, aber
nicht mit der Hoffnung, sie niederzuwerfen. Sie
blüht in Rheinland, Westfalen, Schlesien, Baden,
Württemberg, Bayern und auch Elsaß-Lothringen
und weist Blätter auf, welche das gleiche Ansehen
mit den großen gegnerischen Parteiblättern ge-
nießen: „Kölnische Volkszeitung", „Germania“,
„Schlesische Volkszeitung“, „Augsburger Post-
zeitung“, „Badischer Beobachter“, „Deutsches
Volksblatt“, „Elsässer“", „Lothringer Volks-
stimme“. Die Angriffe kommen aus den verschie-
densten Lagern: nationalliberale Blätter, wie
„Kölnische Zeitung“, „Magdeburgische Zeitung“,
kämpfen an aus politischen Gründen und oft aus
dem protestantischen Bewußtsein heraus; Unglaube
paart sich mit reformjüdischer Abneigung in einem
Teil der deutsch-freisinnigen Presse: „Berliner
Tageblatt“; ähnlich verhält sich auch die „Vos-
sische Zeitung“. Ihnen verwandt ist die mehr de-
mokratische „Frankfurter Zeitung“, wie den na-
öffentliche.
tionalliberalen Blättern die freikonservative „Post“
verwandt ist.
Auf gemeinsamem Boden findet man gelegent-
lich mit den Vertretern der katholischen Weltan-
schauung die altkonservative Presse, insbesondere
die „Kreuzzeitung“, wenn es gilt, frivole, liberale
Angriffe auf das Christentum abzuwehren. Grund-
ton ihrer Stellungnahme ist Hervorkehrung des
protestantischen Bewußtseins gegenüber katholischen
Anschauungen und Bestrebungen, die beim „Reichs-
boten“ meist in gehässiger Form auftritt. Trotz
des angeblichen Grundsatzes: „Religion ist Privat-
sache“, fehlt es in der sozialdemokratischen Presse
(„Vorwärts") nicht an häufigen verbissenen An-
griffen auf die christlichen Anschauungen und be-
sonders den Kathvlizismus wegen seiner Wider-
standskraft.
Ein stiller, bisweilen auch mit offenem Visier
geführter Kampf gegen Zentrumspartei und Ka-
tholizismus wird in der sog. farblosen Presse
geführt, welche meist den Titel „Tageblatt"“,
„Generalanzeiger“ und ähnliche sich beilegt. Diese
Presse sonnt sich vielfach in der Regierungsgunst
und verfährt durchweg nach dem Grundsatz, daß
man im bestregierten Staatswesen lebe, so eine
Verflachung und Meinungslosigkeit herbeiführend,
welche in der Betätigung wirklichen politischen
Charakters eine Ungehörigkeit oder Schlimmeres
erblickt. Diese Presse ist der Pilz am saftvollen
Baum des politischen Lebens, der durch dessen
Ausbreitung vermorschen muß. Für die Katholiken
hat diese Presse die besondere Bedeutung, daß
dieselbe von den durchaus nicht ausgeräumten
Gefahren für die katholischen Interessen nichts
weiß. Ihr Eindringen in katholische Gebiete, ihr
Einnisten daselbst hat einen bedrohlichen Charakter,
daher die Erklärung auf der Generalversammlung
der Katholiken Deutschlands in Mainz 1892:
„Es ist eine Pflicht der Selbsterhaltung für uns
und unsere Presse, daß wir die sog. farblosen
Blätter hinausschaffen; denn das farblose Blatt
nimmt den unfrigen Licht und Luft und Nah-
rung hinweg.“ Diese Worte könnte jede Partei
sich zu eigen machen außer denjenigen, deren Ge-
schäfte eine solche Presse besorgt, den grundsätzlich
regierungsfürchtigen. Deutschland ist es, welches,
wenn nicht ausschließlich, so doch hauptsächlich an
dieser Erscheinung auf dem Preßgebiete krankt; an
derselben können nur solche Staatsmänner Gefallen
finden, welchen ein politisch abgestumpftes Volk
für ihre Zwecke willkommen ist. Zu welchem Um-
fange die parteilose Presse sich bereits entwickelt
hat, ergibt sich aus der in Kürschners Handbuch
der Presse enthaltenen, sehr viele Spalten um-
fassenden Übersicht, die als ein bedeutsames Zei-
chen der Zeit anzusehen ist.
Politisches Sich-gehen-lassen der Katholiken
trug in Osterreich-Ungarn die Schuld daran,
daß dort lange keine katholische Presse bestand,
welche auch nur entfernt dem Konfessionsverhält-
nisse entsprach. In neuerer Zeit ist eine erhebliche
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