Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

1063 Meinung, 
Anbahnung besserer Verhältnisse zu beobachten, 
diesseits der Leitha sowohl als jenseits der Leitha, 
in Ungarn. Der Deutsch-Liberalismus beherrschte 
lange durch seine Presse, die vielfach und in einem 
von keinem andern Lande, höchstens annähernd 
von Italien, erreichten Verhältnis unter jüdischer 
Leitung steht, das politische Leben in den deutschen 
Landesteilen. Hauptvertreterin dieser Richtung ist 
die zu den umfangreichsten Blättern Europas zäh- 
lende „Neue Freie Presse“. Neben der konserva- 
tiven, durch das „Vaterland“ vertretenen, hat sich 
eine christlich-soziale Gegenbewegung geltend ge- 
macht, welche in der „Reichspost“ ihr Hauptorgan 
besitzt und fortgesetzt an Bedeutung gewinnt. Zeit- 
weilig lähmte der Gegensatz zwischen Konservativen 
und Christlich-Sozialen die so notwendige Be- 
kämpfung der ebenso landes= wie kirchenfeindlichen 
„Los-von-Rom-Bewegung“. Seit unter den 
Tschechen die jungtschechische Richtung die Ober- 
hand über die gemäßigte alttschechische gewonnen 
und Hus zum Nationalgötzen erhoben hat, gibt 
sich in der tschechischen Presse vielfach eine dem 
Katholizismus entgegenstrebende Strömung kund. 
In der Schweiz hat die katholische Presse mit 
der radikalen, protestantisch= oder altkatholisch- 
liberalen Presse manchen Strauß auszufechten. 
Mit dem Luzerner „Vaterland“ kämpfen die so- 
zialpolitisch kräftig nuancierten „Neuen Züricher 
Nachrichten“ wacker und mit Erfolg den übrigen 
katholischen Blättern voran; neben ihnen „Ost- 
schweiz“" und „Basler Volksblatt“. „Bund“, 
„Neue Zürcher Zeitung“, „Nationalzeitung“ sind 
Führer der Gegner. Gemeinsames haben die 
Katholiken bisweilen mit den Protestantisch-Kon- 
servativen zu verteidigen, in welchem Falle die 
Berner „Volkszeitung“, die Vertreterin der letzteren 
Richtung, sich verdient macht. Im Jtalienisch 
sprechenden Teile der Schweiz erleichtert die Spal- 
tung der Katholiken in sog. Liberal-Konservative 
und Streng-Konservative (beide mit eignen Or- 
ganen) den Radikalen die Beherrschung des Landes 
und der öffentlichen Meinung. Der Französisch 
redende Teil gewährt nach Verhältnis der Kon- 
fessionen katholischer Anschauung weniger Ge- 
legenheit zur Betätigung durch die Presse. 
Die günstige Stellung, welche die Katholiken 
heute in Holland einnehmen nach so lange 
währender Unterdrückung, hat auf die dortige 
katholische Presse die Wirkung, daß sie sich nicht 
wie in andern Ländern gezwungen sieht, für 
Glauben und Parität zu kämpfen. Katholischer 
Glaube ist im öffentlichen Leben kein Hindernis, 
Katholiken können zu den höchsten Staatsstellen 
gelangen und sind dazu gelangt, nachdem in der 
Kammer das Wahlbündnis zwischen Katholiken 
und Protestantisch-Konservativen beiden Parteien 
zusammen die Mehrheit verschafft hatte. Neben den 
katholischen Organen Tijd, Maasbode und Cen- 
trum ist noch das katholisch-soziale Weekblad 
zu nennen. Im allgemeinen verliert die Polemik 
zwischen den gegnerischen Parteien die Würde 
öffentliche. 1064 
nicht, und sonst findet man in den nichtkatholischen 
holländischen Zeitungen (Nieuws van den Dag, 
Algemeen Handelsblad, Rotterdamsche 
Courant, Vaderland) katholische Personen, Ein- 
richtungen, Erscheinungen durchaus angemessen 
und im Vergleich zu andern Ländern über das 
nach der Parteistellung zu erwartende Verhältnis 
umfassend behandelt: ein Zeugnis für die Bedeu- 
tung des Katholizismus im öffentlichen Leben der 
Niederlande. Freilich fehlt es auch an Gehässig- 
keiten nicht. Ahnlich ist es in den nordischen Län- 
dern, in Dänemark und Skandinavien, vornehm- 
lich in Norwegen, wo die Katholiken einen recht 
kleinen Bruchteil der Bevölkerung ausmachen. 
Nach der Aufmerksamkeit zu urteilen, welche die 
nichtkatholische Presse ihnen schenkt, scheinen jahr- 
hundertelang gegen sie genährte Vorurteile in 
stillschweigender Ubereinstimmung unterdrückt wor- 
den zu sein. 
In England kann nur von einer kirchlich- 
katholischen Presse die Rede sein (Tablet, Catholic 
Times, Catholic Herald, Catholic Weekly, 
Catholic News, Universe). Konservative und 
liberale Presse — es ist ein anderer Liberalismus 
als der kirchenfeindliche festländische — hüten sich 
aus wohlverstandenem Parteiinteresse vor Ver- 
stößen gegen das katholische Empfinden; Katho- 
liken finden sich ebensowohl in den Reihen der 
Konservativen wie der Liberalen. Der Widerstand 
der Protestanten in Nordirland gegen das der 
großen katholischen Mehrheit Irlands zugute 
kommende Homerule hat freilich in den Konserva- 
tiven Englands und deren Presse verwandte Ge- 
fühle geweckt, hier und da sogar den protestantischen 
Fanatismus in der Offentlichkeit zur Glut ge- 
schürt, und katholische Kundgebungen in England 
begegneten neuerdings sowohl in der Offentlichkeit 
wie auch in Preßorganen der Auffrischung alter 
feindseliger Vorurteile. 
Die Lage, in welcher die katholische Presse in 
den romanischen Ländern sich befindet, ist im 
Vergleich zu den Ländern mit gemischter Konfes- 
sion eine andere. Dort gilt es weniger, die Parität 
mit Andersgläubigen zu wahren, als den Unter- 
drückungsgelüsten der Religionslosigkeit bzw. Re- 
ligionsgegnerschaft entgegenzutreten und die Helfer 
der letzteren, Lauheit und Verwaschenheit, auf den 
rechten Weg zurückzuführen. Die Freimaurerei 
gilt als die Seele der in den romanischen Ländern 
sowohl der Alten als der Neuen Welt gegen den 
Katholizismus gerichteten Bewegung, sei es nun 
Frankreich, Italien, Spanien, Portugal oder 
Brasilien, Argentinien. Das liberale journalisti- 
sche Gewissen ist in diesen Ländern sehr weit, um 
o schwerer ist der Stand der katholischen Presse, 
welche mit gleichen Waffen nicht parieren kann 
und eben darum schon für einen großen Haufen 
nicht interessant genug ist. Ein Versuch, den der 
Abbé Naudet in dieser Hinsicht mit dem Monde 
in Paris machte, schlug fehl. Die Angriffe der 
— 
  
Gegner bringen es mit sich, daß in weit größerem
	        
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