Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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terielle, einfache Substanz, kann daher der Kor- 
ruption und Auflösung nicht unterliegen; sie ist 
ihrer Natur nach inkorruptibel. 
Die Menschenseele ist aber auch unsterblich, 
d. h. sie behält nach dem Tode des Leibes nicht 
bloß ihre Existenz, sondern lebt auch als selbst- 
bewußtes, erkennendes und wollendes Wesen fort. 
Allerdings, die vegetativen und sensitiven Lebens- 
sunktionen kann die Seele nur in Verbindung und 
einheitlich mit den dazu geordneten Organen des 
Leibes ausüben. Wenn sie daher vom Leibe ge- 
trennt ist, müssen diese Lebensfunktionen aufhören. 
Die intellektiven Lebensfunktionen, das Denken 
und Wollen, können aber, da sie an leibliche Or- 
gane nicht gebunden sind, von der Seele auch dann 
noch ausgeübt werden, wenn sie vom Leibe ge- 
trennt ist. Solange die Seele als forma substan- 
tialis mit dem Leibe vereinigt ist, ist sie allerdings 
in ihren intellektiven Lebensfunktionen von den 
sensitiven insofern abhängig, als das intellektive 
Leben ohne vorausgehende Betätigung und Ent- 
wicklung des sensitiven nicht zur Betätigung und 
Entwicklung gelangen kann. Ist aber die Seele 
vom Leibe getrennt, dann hat diese Abhängigkeit 
des intellektiven vom sensitiven Leben aufgehört; 
ihr intellektives Leben steht dann auf gleicher Stufe 
mit dem Leben der übrigen formae separatae, 
der Engel, ist daher als ein kontinuierlich selbst- 
bewußtes zu denken. Und darin besteht eben die 
Unsterblichkeit der Menschenseele. 
Allerdings ist hierzu die Forterhaltung der 
Seele von seiten Gottes vorausgesetzt; denn ohne 
diese könnte ja kein Wesen eine Dauer haben. 
Aber an dieser göttlichen Erhaltung ist nicht zu 
zweifeln. Die Endbestimmung des Menschen ist 
nämlich die Glückseligkeit, und zwar nicht eine 
unvollkommene, sondern die vollkommene Glück- 
seligkeit, auf welche alles Tun und Lassen des 
Menschen hienieden von Natur aus hingerichtet ist. 
Es mufß also für den Menschen ein höchstes Gut 
geben, durch dessen Erreichung er vollkommen 
glücklich wird. Und er muß dieses wirklich er- 
reichen können; denn sonst strebte der Mensch 
allein unter allen Wesen von Natur aus nach 
einem Ziel, das für ihn unerreichbar wäre, was 
mit der unendlichen Liebe Gottes im Widerspruch 
steht, da der Mensch unter dieser Voraussetzung 
das unglücklichste Wesen wäre, das die Erde trägt. 
Dieses höchste Gut kann aber nicht in diese Zeit- 
lichkeit hereinfallen; denn kein irdisches Gut, ja 
keine noch so große Summe irdischer Güter kann 
den Menschen vollkommen glücklich machen. Zu- 
dem muß die vollkommene Glückseligkeit als solche 
perennierend sein; denn die Aussicht auf deren 
einstigen Verlust würde den Menschen um so un- 
glücklicher machen, je glücklicher er ist. Das irdische 
Leben aber endet mit dem Tode und mit dem 
daran geknüpften Verluste aller irdischen Güter. 
Das höchste Gut des Menschen muß also über 
diese Zeitlichkeit hinaus liegen, es kann nur Gott 
sein. In der vollkommenen Erkenntnis und Liebe 
Mensch und Menschheit. 
  
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Gottes allein, sofern sie ewig dauernd ist, kann 
jene vollkommene Glückseligkeit liegen, zu welcher 
der Mensch als zu seiner Endbestimmung von 
Natur aus hingeordnet ist. Der Mensch hat somit 
dieses Endziel seines Daseins erst im jenseitigen 
Leben, in welches er nach dem Tode des Leibes 
eintritt, zu gewärtigen. Daher muß die Menschen- 
seele nach dem Tode des Leibes ewig von Gott 
erhalten werden. 
Darin, daß der Mensch Leib und Geist zugleich 
ist, liegt auch der innere Grund dafür, daß der 
ganze Mensch nicht aus dem Tiergeschlechte sich 
entwickeln konnte. Die Seele, eine immaterielle 
und geistige Substanz, konnte sich aus der Materie 
nicht entwickeln; sie ward von Gott unmittelbar 
erschaffen. Die Annahme, der menschliche Leib 
habe sich aus dem Tiere entwickelt, ist von der 
Kirche nicht verurteilt worden, obschon nach dem 
Engländer Mivart eine Reihe katholischer Ge- 
lehrten der Deszendenztheorie weit entgegenge- 
kommen sind. Selbstverständlich lehren dieselben 
aber, daß die Seele des Menschen von Gott er- 
schaffen und dem aus dem Tiere entwickelten Leibe 
eingegossen wurde, wodurch das frühere Tier sein 
Wesen verloren und zum Menschen geworden sei. 
Die gewöhnliche Ansicht hält jedoch auch an der 
unmittelbaren Erschaffung des menschlichen Leibes 
fest und verwirft die Entwicklung desselben aus 
tierischen Ahnen, weil sie mit dem biblischen 
Schöpfungsbericht und geoffenbarten Wahrheiten 
nicht vereinbart werden könne und auch natur- 
wissenschaftlich nicht bewiesen sei. 
. Die Menschheit. Die Einheit des Men- 
schengeschlechtes ist die Abstammung aller Menschen 
von einem einzigen Elternpaare. Gegen diese Ein- 
heit hat man verschiedene Einwände erhoben. Der 
erste ist hergenommen aus der Vielheit und Ver- 
schiedenheit der Menschenrassen. Es gibt, so 
heißt es, viele und verschiedene Menschenrassen, 
zwischen denen so tiefgreifende Unterschiede walten, 
daß es unmöglich ist, selbe sämtlich von einem 
Paare abstammen zu lassen. Dieser Einwurf würde 
aber nur dann etwas gegen die Einheit des Men- 
schengeschlechtes beweisen, wenn der Unterschied 
zwischen den verschiedenen Menschenrassen ein 
wesentlicher, spe zifischer wäre. Sind dagegen 
die unterscheidenden Merkmale zwischen den ver- 
schiedenen Rassen nicht von der Art, daß sie einen 
spezifischen Unterschied zwischen selben bedingen, 
dann kann aus der Rassenverschiedenheit auch nicht 
gegen die Abstammung aller Menschen von einem 
Paare argumentiert werden. Ein solcher spezifi- 
scher Unterschied besteht aber nicht. 
Denn: a) Wären die Menschenrassen spezifisch 
voneinander verschieden, so wäre eine Kreuzung 
derselben entweder ganz unmöglich, oder falls sie 
geschähe, würden wenigstens die Bastarde sich nicht 
dauernd fortpflanzen. Denn eine dauernde, unbe- 
grenzte Fortpflanzungsfähigkeit findet tatsächlich 
immer nur innerhalb einer bestimmten Art statt. 
Bastarde, die aus einer Kreuzung von Individuen
	        
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