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Staat theoretisch einander völlig neutral gegen-
über, obwohl der Katholizismus die Religion fast
des ganzen Volkes ist; doch übt der Staat seine
Hoheit über alle Religionen aus, soweit die Auf-
rechterhaltung der Ordnung und die Achtung vor
den Staatseinrichtungen betroffen wird. Faktisch
ist die Neutralität in manchen Beziehungen zu
ungunsten der Kirche durchbrochen. Der religiöse
Unterricht darf in den Schulen des Bundesstaates,
der Gliedstaaten und Gemeinden nicht erteilt
werden; in allen öffentlichen Anstalten dürfen
keinerlei Kultusübungen stattfinden, zu den in
öffentlichen Anstalten Internierten darf nur in
Fällen äußerster Not ein Seelsorger zugelassen
werden. Religiöse Betätigung, Anlegen einer be-
sondern Tracht oder von Abzeichen außerhalb der
Kultusgebäude ist den Kultusdienern und lange-
hörigen untersagt. Die religiösen Vereine, die sich
freiwillig zur Ausübung des Kultus bilden, können
nur in ganz beschränktem Maße Vermögen er-
werben; dagegen ist den Kultusvereinen die un-
entgeltliche Benutzung der für Nationaleigentum
erklärten und zur Verfügung des katholischen
Kultus gestellten kirchlichen Gebäude (bei Unter-
haltungsverpflichtung) zugestanden.
Der Staat übt eine ausgedehnte Kultuspolizei:
er kann die Versammlungen in Kultusgebäuden
überwachen und unter bestimmten Bedingungen
auflösen; er schließt die Geistlichen von den Amtern
des Präsidenten, Senators und der Deputierten
aus; Kultusdiener können keine Vermächtnisse von
Personen empfangen, denen sie in ihrer letzten
Krankheit als Seelsorger beigestanden oder deren
Beichtväter sie gewesen sind. Religiöse Orden
werden vom Staat nicht anerkannt und zugelassen,
doch sind in der Praxis sowohl die sich der Wohl-
tätigkeit und der Krankenpflege widmenden Kon-
gregationen als auch die älteren Orden geduldet.
Die Ehe ist als ein rein bürgerlicher Vertrag er-
klärt worden. — Trotz dieser zum Teil Kultur-
kampfgeist atmenden Gesetze hat sich, da die heu-
tige Regierung offenen Konflikt vermeidet, ein
modus vivendi zwischen Staat und Kirche her-
ausgebildet; die Kirche hat sich den Verhältnissen
anzupassen verstanden und sich eine feste, auch
materiell erträgliche Stellung errungen. Die
Hierarchie zählt nach der 1906 zum Abschluß ge-
langten Neuordnung in 8 Kirchenprovinzen
8 Erzbistümer, 22 Suffraganbistümer und 1 Apo-
stolisches Vikariat. — Von den im Lande vertre-
tenen protestantischen Konfessionen sind die bedeu-
tendsten die Mexikanische Episkopalkirche, die Pres-
byterianer und Methodisten.
V. Anterrichtswesen. Der Elementarunter-
richt ist obligatorisch und unentgeltlich; jede Ge-
Mexiko.
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schulunterricht ausschließlich unter Leitung der
Bundesregierung bzw. des „höchsten Rates für
den öffentlichen Unterricht". Die Gliedstaaten
ordnen und bezahlen ihr Unterrichtswesen selber.
Die öffentlichen Schulen sind konfessionslos; es
wird Moral ohne Beziehung auf eine Religion
gelehrt.
Neben den öffentlichen Schulen (an 9500 mit
650 000 Kindern) gibt es an 2300 private Un-
terrichtsanstalten, die zum Teil unter Leitung der
kirchlichen Körperschaften stehen. Auch die Mittel-
schulen sind teils von der Bundesregierung und
den Staatenregierungen (an 40), teils von den
Konfessionen (1904: 37 kathol., 23 protestant.),
teils von Privaten (an 45) unterhalten. Gewerb-
liche Bildung vermitteln (1904) 65 Anstalten
und Colleges. Der Universitätsunterricht wird in
staatlichen Fachschulen erteilt: Nationalschulen
für Jurisprudenz, Medizin, Bergbau, Ingenieur-
schule, je 1 nationale Kunstschule für Männer und
Frauen, Akademie der schönen Künste, Musik-
konservatorium, Ackerbau-= und Veterinärschule;
neben der Nationalbibliothek und dem National-
museum (seit Febr. 1909 in 2 Abteilungen ge-
gliedert) bestehen an 140 Bibliotheken und 35 Mu-
seen sowie 45 wissenschaftliche und literarische Ge-
sellschaften. Die Zahl der Zeitschriften und Zei-
tungen beläuft sich auf rund 480 (davon über ½
im Bundesdistrikt).
VI. Wirtschaftliche Verhältnisse. In wirt-
schaftlicher Beziehung ist für Mexiko charak-
teristisch, daß seit etwa 40 Jahren die Zahl der
reichen Minen= und Großgrundbesitzer gesunken,
die der mittleren und kleineren Besitzer dagegen
stark gewachsen ist, besonders durch Aufteilung des
Kommunaleigentums vieler Dörfer. Die In-
dianer treiben meist Ackerbau, vielfach noch (be-
sonders die heidnischen Indianer) in vorkolumbi-
scher Weise, nach uralter Methode. Die Misch-
linge sind in ihrer Mehrheit Arbeiter im Dienste
größerer Unternehmer, oder sie übernehmen als
Halbpartner von dem Gutsherrn Land, Saat-
gut, Werkzeuge und alle landwirtschaftliche Arbeit.
Der kleinere Teil sowie die Mehrheit der Weißen
betreiben selbständig Landwirtschaft, Industrie und
Bergbau, soweit sie nicht im Staats= und Ge-
meindedienst tätig sind. Bei dem geringen Unter-
nehmungsgeist der Einheimischen haben auslän-
dische Kapitalisten, besonders die in den letzten
Jahren alle übrigen überflügelnden Nordameri-
kaner, im wirtschaftlichen Leben Mexikos festen
Fuß gefaßt und große Erfolge errungen, haupt-
sächlich im Eisenbahn= und Bergbau und in der
Industrie. — Die wichtigste Beschäftigung der
Bewohner war von jeher der Ackerbau und ist es
meinde ist verpflichtet, mindestens je 1 Schule noch (an 126 600 qkm Kulturland), wenn auch
auf 4000 Einw. zu unterhalten; doch ist an eine der Bergbau mehr für die Ausfuhr liefert. Die
strikte Durchführung des Schulzwanges nicht zu Ungunst der klimatischen Verhältnisse in den
denken, so daß etwa 5/8 der Bevölkerung des wasserarmen Trockengebieten hat man durch aus-
Lesens und Schreibens unkundig sind. Im Bun= gedehnte künstliche Bewässerung (Bau von Tal-
desdistrikt und in den Territorien steht der Volks= sperren, Erbohrung von artesischen Brunnen) aus-