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Assoziation bestehen in Frankreich, Holland und
der Schweiz. Im Ziel mit dem sozialistischen
Antimilitarismus übereinstimmend, unterscheidet
sich der anarchistische Antimilitarismus von ihm
durch die Kampfesmethode, welche die individuelle
und kollektive Dienstverweigerung, den Militär-
streik und die Desertion empfiehlt. Von den ein-
zelnen Ländern zeigt Frankreich unter dem Ein-
fluß von Hervé die größten Erfolge der antimili-
taristischen Propaganda in der Armee: es mehren
sich dort die Fälle, in denen die Mannschaften de-
sertieren oder den Gehorsam verweigern; anti-
militaristische Kundgebungen der Unteroffiziere
und Soldaten sind häufig, selbst einzelne Offi=
ziere bekennen sich offen zum Antimilitarismus;
bei zahlreichen Streiks erklären sich die zum Ein-
schreiten berufenen Truppen mit den Streikenden
solidarisch (Parole: Schießt nicht! Vous ne
tirerez pas!). In der Schweiz besteht seit 1905
eine eigne antimilitaristische Liga, die sich zur
Aufgabe gesetzt hat, 1) die Arbeiterschaft darüber
aufzuklären, daß die Armee innerhalb der bürger-
lichen Gesellschaft dazu dient, die Befreiung der
Arbeiterschaft zu verhindern, 2) alle Mittel zu
propagieren, die geeignet sind, die Armee als
Machtmittel der Kapitalisten unschädlich zu machen
(Broschüre: „Der Hofhund des Kapitals“). In
Deutschland hat sich eine besondere antimilitari-
stische Agitation der Sozialdemokratie bisher wenig
an die Offentlichkeit gewagt; die Broschüre Lieb-
knechts „Militarismus und Antimilitarismus“,
welche die Benützung der Jugendorganisationen
zur Bekämpfung des Militarismus vorschlug, trug
ihrem Verfasser wegen Vorbereitung eines hoch-
verräterischen Unternehmens eine Freiheitsstrafe
von 1 Jahr und 6 Monaten Festungshaft ein
Militärstrafrecht, deutsches.
(Urteil des Reichsgerichts vom 12. Okt. 1907).
Literatur. Schulz-Bodmer, Rettung der Gesell-
schaft aus den Gefahren der Militärherrschaft
(1859); Wasserburg, Gedankenspäne über den M.
(1874); Annuarius Osseg (d. h. Pachtler S. J.),
Der europ. M. (1876, neue Ausg. 1880); Wiede,
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„erneute gemeine deutsche Reuterbestallung und
der deutschen Knechte Artikel“ Maximilians II.
von 1570. Die Anfänge des preußischen Militär-
strafrechts bildete das „Kriegsrecht oder Artikuls-
brief“ des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von
Brandenburg aus dem Jahre 1656, welche den
Kriegsartikeln Gustav Adolfs von Schweden
(1621) nachgebildet waren. Eine Erinnerung an
diese erste Stufe des Militärstrafrechts sind noch
die heutigen „Kriegsartikel“, welche den nen ein-
gestellten Soldaten vor Ableistung des Fahnen-
eides vorgelesen werden und deren Inhalt den
Soldaten auch späterhin durch öftere Verlesung
eingeprägt wird (neueste Fassung der Kriegsartikel
für das Heer vom 22. Sept. 1902, für die Ma-
rine vom 10. Jan. 1903). Die heutigen Kriegs-
artikel haben aber keine selbständige rechtliche
Bedeutung, sie sind vielmehr lediglich eine mili-
tärische Pflichtenlehre, bestehend in der Hauptsache
aus einer Zusammenstellung der wichtigsten gelten-
den Strafbestimmungen. Die zweite Stufe der
Entwicklung des Militärstrafrechts bilden die
Kodifikationen, welche in den einzelnen
deutschen Staaten in Form von Militärstrafgesetz-
büchern erlassen wurden, so in Württemberg
(20. Juli 1818), Hannover (1. Jan. 1841),
Preußen (3. April 1845), Sachsen (4. Febr.
1822, 14. Febr. 1835, 11. Aug. 1855), Bayern
(19. Aug. 1813, 29. April 1869). Die nord-
deutsche Verfassung und die Reichsverfassung
(Art. 4, Ziffer 14 und Art. 61) sicherten für das
Bundesgebiet bzw. Reichsgebiet die Einheitlichkeit
des Militärstrafrechts zunächst auf der Grundlage
des preußischen Rechts, das in Sachsen mit einigen
Anderungen durch das sächsische Gesetz vom 4. Nov.
1867, in den übrigen Bundesstaaten unverändert
eingeführt wurde. Nach Gründung des Deutschen
Reichs erfolgte diemmotwendige einheitliche Reglung
des deutschen Militärstrafrechts und zugleich der
Abschluß der bisherigen Entwicklung in dem
Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche
*8 i: Reich vom 20. Juni 1872. Ihm ist das preu-
Der M. (1877); Graf Ad. v. Hompesch, Pauperis-5 .... .
mus u. 9 (1 9ö•n u Sälden * —iie TWenen — ßische Militärstrafgesetzbuch zugrunde gelegt. Bei
u. Kultur (21893); Der M. im heutigen Deutschen seiner Ausarbeitung wurden die Erfahrungen des
Reich, von einein Historiker sQuidde] ( 1898); deutsch-französischen Krieges eingehend verwertet
v. Massow, M. oder Milizsystem (1900); Bleib= und als leitender Gedanke betrachtet: das Militär-
treu, Der M. im 19. Jahrh. (1901); Walker, Be= strafrecht in Bezug auf systematischen Aufbau des
trachtungen über das moderne Militärwesen u. Gesetzes tunlichst dem bürgerlichen Strafgesetzbuch
Völkerleben (1904); Militär u. Zivil, von einem für das Deutsche Reich zu assimilieren und mit
Ssor gicher (1904); K. Liebknecht. M. u. Anti-M. den Grundgedanken desselben und dadurch mit den
Bloch, Der zukünftige Krieg (1899); v. Falken= schaft in Einklang zu bringen, beides aber immer
hausen, Der große Krieg der Jetztzeit (1909). nur soweit, als die besondern Bedürfnisse des
H. Sickenberger, rev. Gröber.] Heeres und die als oberstes Gesetz geltende Rück-
Militärstrafrecht, deutsches. I. Kri. sicht auf die Erhaltung der Disziplin in demselben
minalstrafrecht. Die Anfänge eines eignen damit vereinbar erschien (vgl. Motive). So ent-
Militärstrafrechts sind in den Kriegsartikeln spricht namentlich das Strafensystem und die daran
der Landsknechte und in den Reuterbestal- anknüpfende Einteilung der Straftaten im Mili-
lungen zu finden. Die ersten Kriegsartikel er= tärstrafgesetzbuch dem Vorgang des bürgerlichen
ließ Maximilian I. im Jahre 1508; von großer Strafgesetzbuches. Das Militärstrafgesetzbuch be-
Bedeutung für die spätere Gesetzgebung wurde die handelt übrigens nur die militärischen Verbrechen