Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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und Vergehen, während es die militärischen Über- 
tretungen der Disziplinarbestrafung vorbehält und 
die nichtmilitärischen Verbrechen, Vergehen und 
Übertretungen der Militärpersonen den allgemeinen 
Strafgesetzen überläßt. Von den Besonderheiten 
des Militärstrafgesetzbuches sind namentlich das 
erweiterte Anwendungsgebiet und die 
größere Strenge seiner Bestimmungen her- 
vorzuheben. Die Aufgabe der bewaffneten Macht, 
das Reich auch außerhalb seiner Grenzen zu 
schützen, führt notwendig dazu, strafbare Hand- 
lungen der Militärpersonen, welche sie im Aus- 
lande begehen, während sie dort in dienstlicher 
Stellung sich befinden, grundsätzlich ebenso zu be- 
strafen, wie wenn die Handlung von ihnen im 
Reichsgebiet begangen wäre (§7). Sodann findet 
das Militärstrafgesetzbuch nicht nur auf Militär- 
personen, sondern in Kriegszeiten auch auf alle bei 
dem kriegführenden Heer sich aufhaltenden oder 
ihm folgenden Personen (Zivilpersonen, auslän- 
dische Offiziere, Kriegsgefangene) sowie auf alle 
an Bord eines im Kriegszustand befindlichen 
Schiffes dienstlich eingeschifften Personen An- 
wendung (§8 155/161, 166). Die größere 
Strenge zeigt sich in zahlreichen Vorschriften. Die 
Todesstrafe ist in 14 Fällen schwerer militärischer 
Verbrechen im Felde angedroht, nämlich wegen 
schweren Kriegsverrats und Nichtanzeige eines 
Kriegsverrats, ungerechtfertigter Kapitulation, 
Fahnenflucht im Rückfall, Anstiftung eines Kom- 
plotts zur Fahnenflucht, Fahnenflucht vom Posten 
vor dem Feinde, Feigheit im Gefecht, ausdrück- 
licher Verweigerung des Gehorsams vor dem 
Feinde in schweren Fällen, Tätlichkeit gegen Vor- 
gesetzte, Anstiftung eines militärischen Aufruhrs, 
Teilnahme an einem militärischen Aufruhr vor 
dem Feinde, Plünderung mit Tötung, Pflicht- 
verletzung auf Posten vor dem Feinde, Bruch des 
Ehrenworts durch einen Kriegsgefangenen (88 58, 
60, 63, 71, 72, 73, 84, 95, 97, 107, 108, 133, 
141, 159). Die wegen dieser Verbrechen und die 
im Felde wegen nichtmilitärischer Verbrechen er- 
kannte Todesstrafe wird durch Erschießen voll- 
streckt. Neben der gemeinrechtlichen Zuchthaus- 
strafe, deren Vollstreckung übrigens auf die bürger- 
lichen Behörden übergeht, der Festungshaft und 
Gefängnisstrafe findet sich noch als kurzzeitige 
Freiheitsstrafe von nicht mehr als 6 Wochen der 
Arrest, welcher nach dem Rang des zu Bestrafen- 
den abgestuft und zum Teil von recht empfind- 
licher Wirkung ist. Der Arrest kann nämlich sein 
Stubenarrest (gegen Offiziere), gelinder Arrest 
(gegen Unteroffiziere und Gemeine), mittlerer 
Arrest (gegen Unteroffiziere ohne Portepee und 
Gemeine), strenger Arrest (nur gegen Gemeine). 
Beim mittleren Arrest erhält der Verurteilte eine 
harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser und 
Brot; diese Schärfungen kommen am 4., 8., 12. 
und demnächst an jedem 3. Tag in Wegfall. 
Der strenge Arrest, dessen Höchstbetrag 4 Wochen 
ist, wird in dunkler Zelle, im übrigen wie der 
Staatslexikon. III. 3. Aufl. 
Militärstrafrecht, deutsches. 
  
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mittlere Arrest vollstreckt; die Schärfungen kommen 
am 4., 8. und demnächst an jedem 3. Tag in 
Wegfall. Doch tritt, wenn der körperliche Zu- 
stand des Verurteilten die Verbüßung des strengen 
oder mittleren Arrestes nicht zuläßt, eine gelindere 
Arrestart ein (§8 24/27). Geldstrafen sind bei 
militärischen Vergehen nicht zugelassen; wo die 
allgemeinen Strafgesetze Geldstrafe und Freiheits- 
strafe wahlweise androhen, darf, wenn durch die 
strafbare Handlung zugleich eine militärische 
Dienstpflicht verletzt worden ist, auf Geldstrafe 
nicht erkannt werden (§ 29). Eine große Aus- 
dehnung haben sodann die besondern Ehrenstrafen 
gegen Militärpersonen (88 30/43): Entfernung 
aus dem Heer oder der Marine, Dienstentlassung 
(gegen Offiziere), Degradation (gegen Unter- 
offiziere), Versetzung in die zweite Klasse des 
Soldatenstandes (gegen Unteroffiziere und Ge- 
meine), Amtsverlust (gegen Militärbeamte). Eine 
besonders bittere Nebenwirkung der gegen Unter- 
offiziere erkannten Strafen liegt in dem Verlust 
des Anspruchs auf den Zivilversorgungsschein und 
die Unteroffiziersprämie. Die selbstverschuldete 
Trunkenheit des Täters bildet bei strafbaren Hand- 
lungen gegen die Pflichten militärischer Unterord- 
nung sowie bei allen in Ausübung des Dienstes 
begangenen strafbaren Handlungen keinen Straf- 
milderungsgrund (§ 49, Abs. 2). Bei militärischen 
Verbrechen oder Vergehen ist die Strafverfolgung 
unabhängig von einem Strafantrag und die Er- 
kennung der angedrohten Strafe unabhängig von 
dem Alter des Täters (§8 50, 51). Zu den außer- 
ordentlichen Strafverschärfungen, welche anzuwen- 
den sind, wenn die strafbare Handlung im Felde, 
vor dem Feinde, vor versammelter Mannschaft 
(§§ 9/12) begangen ist, kommen auch noch Fälle 
einer „erhöhten Freiheitsstrafe“, d. h. einer Frei- 
heitsstrafe, welche das Doppelte der angedrohten 
Freiheitsstrafe betragen, den Höchstbetrag der zu 
verhängenden Strafart aber nicht übersteigen darf 
(5§ 53, 55, 103, 115, 125, 136). Eine Milde- 
rung der allgemeinen strafrechtlichen 
Verantwortung als Folge der den militärischen 
Untergebenen auferlegten Gehorsamspflicht ent- 
hält die Vorschrift: Wird durch die Ausführung 
eines Befehls in Dienstsachen (nicht eines bloßen 
Dienstbefehls) ein Strafgesetz verletzt, so ist der 
befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich; es 
trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die 
Strafe des Teilnehmers, wenn er den ihm erteilten 
Befehl überschritten oder gewußt hat, daß der 
Befehl des Vorgesetzten ein bürgerliches oder mili- 
tärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte (§ 47). 
Durch kaiserliche Verordnung vom 26. Juli 1896 
sind die Militärstrafgesetze des Deutschen Reichs 
auf die afrikanischen Schutzgebiete mit der Maß- 
gabe ausgedehnt worden, daß im Sinne des 
Militärstrafgesetzbuches unter Heer auch die kaiser- 
liche Schutztruppe verstanden wird. Die einheit- 
liche Reglung des Militärstrafverfahrens durch die 
Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dez. 1898 
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