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und Vergehen, während es die militärischen Über-
tretungen der Disziplinarbestrafung vorbehält und
die nichtmilitärischen Verbrechen, Vergehen und
Übertretungen der Militärpersonen den allgemeinen
Strafgesetzen überläßt. Von den Besonderheiten
des Militärstrafgesetzbuches sind namentlich das
erweiterte Anwendungsgebiet und die
größere Strenge seiner Bestimmungen her-
vorzuheben. Die Aufgabe der bewaffneten Macht,
das Reich auch außerhalb seiner Grenzen zu
schützen, führt notwendig dazu, strafbare Hand-
lungen der Militärpersonen, welche sie im Aus-
lande begehen, während sie dort in dienstlicher
Stellung sich befinden, grundsätzlich ebenso zu be-
strafen, wie wenn die Handlung von ihnen im
Reichsgebiet begangen wäre (§7). Sodann findet
das Militärstrafgesetzbuch nicht nur auf Militär-
personen, sondern in Kriegszeiten auch auf alle bei
dem kriegführenden Heer sich aufhaltenden oder
ihm folgenden Personen (Zivilpersonen, auslän-
dische Offiziere, Kriegsgefangene) sowie auf alle
an Bord eines im Kriegszustand befindlichen
Schiffes dienstlich eingeschifften Personen An-
wendung (§8 155/161, 166). Die größere
Strenge zeigt sich in zahlreichen Vorschriften. Die
Todesstrafe ist in 14 Fällen schwerer militärischer
Verbrechen im Felde angedroht, nämlich wegen
schweren Kriegsverrats und Nichtanzeige eines
Kriegsverrats, ungerechtfertigter Kapitulation,
Fahnenflucht im Rückfall, Anstiftung eines Kom-
plotts zur Fahnenflucht, Fahnenflucht vom Posten
vor dem Feinde, Feigheit im Gefecht, ausdrück-
licher Verweigerung des Gehorsams vor dem
Feinde in schweren Fällen, Tätlichkeit gegen Vor-
gesetzte, Anstiftung eines militärischen Aufruhrs,
Teilnahme an einem militärischen Aufruhr vor
dem Feinde, Plünderung mit Tötung, Pflicht-
verletzung auf Posten vor dem Feinde, Bruch des
Ehrenworts durch einen Kriegsgefangenen (88 58,
60, 63, 71, 72, 73, 84, 95, 97, 107, 108, 133,
141, 159). Die wegen dieser Verbrechen und die
im Felde wegen nichtmilitärischer Verbrechen er-
kannte Todesstrafe wird durch Erschießen voll-
streckt. Neben der gemeinrechtlichen Zuchthaus-
strafe, deren Vollstreckung übrigens auf die bürger-
lichen Behörden übergeht, der Festungshaft und
Gefängnisstrafe findet sich noch als kurzzeitige
Freiheitsstrafe von nicht mehr als 6 Wochen der
Arrest, welcher nach dem Rang des zu Bestrafen-
den abgestuft und zum Teil von recht empfind-
licher Wirkung ist. Der Arrest kann nämlich sein
Stubenarrest (gegen Offiziere), gelinder Arrest
(gegen Unteroffiziere und Gemeine), mittlerer
Arrest (gegen Unteroffiziere ohne Portepee und
Gemeine), strenger Arrest (nur gegen Gemeine).
Beim mittleren Arrest erhält der Verurteilte eine
harte Lagerstätte und als Nahrung Wasser und
Brot; diese Schärfungen kommen am 4., 8., 12.
und demnächst an jedem 3. Tag in Wegfall.
Der strenge Arrest, dessen Höchstbetrag 4 Wochen
ist, wird in dunkler Zelle, im übrigen wie der
Staatslexikon. III. 3. Aufl.
Militärstrafrecht, deutsches.
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mittlere Arrest vollstreckt; die Schärfungen kommen
am 4., 8. und demnächst an jedem 3. Tag in
Wegfall. Doch tritt, wenn der körperliche Zu-
stand des Verurteilten die Verbüßung des strengen
oder mittleren Arrestes nicht zuläßt, eine gelindere
Arrestart ein (§8 24/27). Geldstrafen sind bei
militärischen Vergehen nicht zugelassen; wo die
allgemeinen Strafgesetze Geldstrafe und Freiheits-
strafe wahlweise androhen, darf, wenn durch die
strafbare Handlung zugleich eine militärische
Dienstpflicht verletzt worden ist, auf Geldstrafe
nicht erkannt werden (§ 29). Eine große Aus-
dehnung haben sodann die besondern Ehrenstrafen
gegen Militärpersonen (88 30/43): Entfernung
aus dem Heer oder der Marine, Dienstentlassung
(gegen Offiziere), Degradation (gegen Unter-
offiziere), Versetzung in die zweite Klasse des
Soldatenstandes (gegen Unteroffiziere und Ge-
meine), Amtsverlust (gegen Militärbeamte). Eine
besonders bittere Nebenwirkung der gegen Unter-
offiziere erkannten Strafen liegt in dem Verlust
des Anspruchs auf den Zivilversorgungsschein und
die Unteroffiziersprämie. Die selbstverschuldete
Trunkenheit des Täters bildet bei strafbaren Hand-
lungen gegen die Pflichten militärischer Unterord-
nung sowie bei allen in Ausübung des Dienstes
begangenen strafbaren Handlungen keinen Straf-
milderungsgrund (§ 49, Abs. 2). Bei militärischen
Verbrechen oder Vergehen ist die Strafverfolgung
unabhängig von einem Strafantrag und die Er-
kennung der angedrohten Strafe unabhängig von
dem Alter des Täters (§8 50, 51). Zu den außer-
ordentlichen Strafverschärfungen, welche anzuwen-
den sind, wenn die strafbare Handlung im Felde,
vor dem Feinde, vor versammelter Mannschaft
(§§ 9/12) begangen ist, kommen auch noch Fälle
einer „erhöhten Freiheitsstrafe“, d. h. einer Frei-
heitsstrafe, welche das Doppelte der angedrohten
Freiheitsstrafe betragen, den Höchstbetrag der zu
verhängenden Strafart aber nicht übersteigen darf
(5§ 53, 55, 103, 115, 125, 136). Eine Milde-
rung der allgemeinen strafrechtlichen
Verantwortung als Folge der den militärischen
Untergebenen auferlegten Gehorsamspflicht ent-
hält die Vorschrift: Wird durch die Ausführung
eines Befehls in Dienstsachen (nicht eines bloßen
Dienstbefehls) ein Strafgesetz verletzt, so ist der
befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich; es
trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die
Strafe des Teilnehmers, wenn er den ihm erteilten
Befehl überschritten oder gewußt hat, daß der
Befehl des Vorgesetzten ein bürgerliches oder mili-
tärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte (§ 47).
Durch kaiserliche Verordnung vom 26. Juli 1896
sind die Militärstrafgesetze des Deutschen Reichs
auf die afrikanischen Schutzgebiete mit der Maß-
gabe ausgedehnt worden, daß im Sinne des
Militärstrafgesetzbuches unter Heer auch die kaiser-
liche Schutztruppe verstanden wird. Die einheit-
liche Reglung des Militärstrafverfahrens durch die
Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dez. 1898
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