Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Mitglieder der Zentrumsfraktion. Die ablehnende 
Haltung der bayrischen Abgeordneten hatte ihren 
Grund lediglich in dem Umstand, daß bezüglich 
der Einrichtung der obersten militärgerichtlichen 
Instanz für Bayern eine Einigung nicht erzielt 
und in § 33 des Einf. Ges. zur Mil. St.G.O. 
die Lösung dieser Frage einer anderweiten ge- 
setzlichen Reglung vorbehalten worden war. In 
letzterer Beziehung lag die Schwierigkeit in der 
umstrittenen Auslegung des Versailler Bündnis- 
vertrages, auf Grund dessen die bayrische Re- 
gierung ein Reservatrecht Bayerns bezüglich der 
Erhaltung seines obersten militärischen Gerichts- 
hofes in Anspruch nahm, während die übrigen 
Regierungen ein solches Reservatrecht nicht an- 
erkannten. Der Streit fand seine Lösung durch 
eine Vereinbarung des Kaisers mit dem Prinz- 
regenten von Bayern, auf Grund deren das 
Reichsgericht vom 9. März 1899 betr. die Ein- 
richtung eines besondern Senats für das bayrische 
Heer bei dem Reichsmilitärgericht zustande kam. 
In den Reichsgesetzen vom 25. Juni 1900 und 
21. Dez. 1905 ist bestimmt, daß die in der 
Mil. St.G.O. für das Verhältnis „an Bord“ 
gegebenen Vorschriften auf die zum Gouverne- 
ment Kiautschou gehörigen Militärpersonen 
Anwendung finden sollen. Durch kaiserliche Ver- 
ordnung vom 18. Juli 1900 ist die Mil. St. G.O. 
unter teilweiser Abänderung und Ergänzung ihrer 
Bestimmungen auf die afrikanischen Schutztruppen 
ausgedehnt. 
Im einzelnen ist aus dem Inhalt der Mil.= 
St. G. O. alscharakteristisch hervorzuheben: 1) Die 
Militärgerichtsbarkeit umfaßt grund- 
sätzlich nicht bloß die militärischen, sondern auch 
die bürgerlichen Straftaten und erstreckt sich auf 
die Militärpersonen des aktiven Heeres und 
der aktiven Marine, die zur Disposition ge- 
stellten Offiziere sowie auf einige andere, prak- 
tisch weniger in Betracht kommende Klassen von 
Personen. Ausgenommen von der Militärstraf- 
gerichtsbarkeit sind Zuwiderhandlungen gegen 
Finanz= und Polizeigesetze sowie Amtsverbrechen 
und Amtsvergehen, welche von aktiven Militär- 
personen bei einstweiliger Verwendung im Zivil- 
dienst begangen werden. Anderseits sind die Mi- 
litärpersonen des aktiven Heeres und der aktiven 
Marine regelmäßig auch wegen der vor dem 
Diensteintritt begangenen strafbaren Handlungen 
der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstellt, und die 
Zuständigkeit der Militärgerichte dauert trotz Be- 
endigung des die Militärstrafgerichtsbarkeit be- 
gründenden Verhälknisses hinsichtlich der vorher 
begangenen strafbaren Handlungen sowie bezüglich 
der nachher innerhalb Jahresfrist gegen frühere 
Vorgesetzte begangenen Beleidigungen, Körper- 
verletzungen und Herausforderungen zum Zwei- 
kampf fort. Personen des Beurlaubtenstandes sind 
nur wegen Zuwiderhandlungen gegen die auf sie 
Anwendung findenden Vorschriften der Militär- 
strafgesetze, Offiziere des Beurlaubtenstandes auch 
Militärstrafverfahren, deutsches. 
  
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wegen Verfehlungen gegen die Duellgesetze der 
Militärstrafgerichtsbarkeit unterstellt (Mil. St.= 
G.O. 8§ 1/11). — 2) Die Ausübung der Mi- 
litärstrafgerichtsbarkeit ist geteilt zwischen den als 
Gerichtsherren fungierenden militärischen 
Befehlshabern, also den für die Disziplin in 
der Truppe verantwortlichen Inhabern der mi- 
litärischen Kommandogewalt, und den unab- 
hängigen, nur dem Gesetz unterworfenen erken- 
nenden Gerichten. Die Gerichtsherren sind 
nicht Richter; sie haben bei der Urteilsfindung in 
keiner Weise mitzuwirken; es ist ihnen sogar die 
bloße Anwesenheit bei der Hauptverhandlung und 
Beratung der erkennenden Gerichte wie bei den 
Untersuchungshandlungen außerhalb der Haupt- 
verhandlung untersagt. In ihre Hand ist vielmehr 
die Leitung des Ermittlungsverfahrens, die Ent- 
scheidung über die Erhebung der Anklage und die 
Strafvollstreckung gelegt. Zur Durchführung dieser 
Aufgaben sind den Gerichtsherren der niederen 
Gerichtsbarkeit, welche sich nur auf Nichtoffiziere 
und geringere Verfehlungen erstreckt, Gerichts- 
offiziere beigegeben, während den Gerichtsherren 
der höheren Gerichtsbarkeit richterliche Militär- 
justizbeamte (Kriegsgerichtsräte, Oberkriegsge- 
richtsräte) zugeordnet sind. Diese Organe haben, 
soweit sie nicht als erkennende Richter mitwirken, 
den Weisungen des Gerichtsherrn Folge zu leisten; 
anderseits haben sie aber auch in der Regel die 
Entscheidungen und Verfügungen des Gerichts- 
herrn mit zu unterzeichnen und dadurch die 
Mitverantwortlichkeit für die Gesetzlichkeit zu über- 
nehmen, so daß also der Gerichtsherr meistens 
nicht für sich allein vorzugehen vermag. Bei Be- 
denken gegen die Zulässigkeit einer Weisung, Ver- 
fügung oder Entscheidung des Gerichtsherrn sollen 
sie Vorstellung erheben, und wenn diese erfolglos 
bleibt, den Hergang aktenkundig machen; der 
Gerichtsherr ist in diesem Falle verpflichtet, un- 
verzüglich die Entscheidung des Oberkriegsgerichts 
einzuholen. Die richterlichen Militärjustizbeamten 
können wider ihren Willen nur kraft richterlicher 
Entscheidung ihres Amtes enthoben oder in eine 
andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt 
werden (Mil. St.G.O. 8§ 12, 13, 18, 96, 97, 
102, 167, 273, 325). Von der „Allgewalt 
des Gerichtsherrn“ zu reden, ist daher eine Über- 
treibung. — Im Heer sind Gerichtsherren 
der niederen Gerichtsbarkeit: der Regimentskom- 
mandeur, der Kommandeur eines selbständigen 
Bataillons oder eines Landwehrbezirks, der Kom- 
mandant von Berlin und der Kommandant einer 
kleinen Festung; Gerichtsherren der höheren Ge- 
richtsbarkeit: der kommandierende General, der 
Divisionskommandeur, der Gouverneur von Ber- 
lin, der Befehlshaber einer großen Festung oder 
eines in Kriegszustand erklärten Ortes oder Di- 
striktes; hinsichtlich der Generale, welche nicht 
unter dem Befehl eines Divisionskommandeurs 
oder eines andern dem kommandierenden General 
unterstellten Gerichtsherrn stehen, bestimmt der
	        
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