Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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zuständige Kontingentsherr, im Felde der Kaiser 
den Gerichtsherrn. In der Marine sind Gerichts- 
herren der niederen Gerichtsbarkeit: der Kom- 
mandant einer Matrosen= oder Werftdivision und 
der Kommandeur einer selbständigen Abteilung; 
Gerichtsherren der höheren Gerichtsbarkeit: der 
kommandierende Admiral und der Chef einer 
heimischen Marinestation; hinsichtlich der Admi- 
rale sowie der Generale der Marine erfolgt die 
Bestimmung des Gerichtsherrn stets durch den 
Kaiser (Mil.St.G.O. 8§ 19/21). Da das Reichs- 
militärgericht über allen militärischen Verbänden 
steht, ließ sich dasselbe an eine bestimmte Kom- 
mandogewalt nicht anlehnen und ein Gerichtsherr 
für dasselbe nicht gewinnen; an Stelle des Gerichts- 
herrn ist deshalb bei dem Reichsmilitärgericht eine 
Militäranwaltschaft eingerichtet (Mil.St. G.-- 
O. 88 103 ff). — 3) Erkennende Gerichte sind die 
Standgerichte, Kriegsgerichte, Ober- 
kriegsgerichte und das Reichsmilitär- 
gericht. Die Standgerichte sind für Strafsachen 
der niederen Gerichtsbarkeit zuständig; die Kriegs- 
gerichte bilden die erste Instanz für die Fälle der 
höheren Gerichtsbarkeit und die zweite Instanz 
für die standgerichtlichen Fälle; die Oberkriegs- 
gerichte sind Berufungsinstanz gegen die kriegs- 
gerichtlichen Urteile erster Instanz. Vor das 
Reichsmilitärgericht, dessen Sitz in Berlin ist, 
jedoch vom Kaiser verlegt werden kann, gehören 
die Revisionen gegen die oberkriegsgerichtlichen Er- 
kenntnisse; der bayrische Senat, dessen Mitglieder 
vom König von Bayern ernannt werden, ist für 
alle dem Reichsmilitärgericht zugewiesenen Ent- 
scheidungen zuständig, welche die Erkenntnisse 
bayrischer Militärgerichte oder Verfügungen bay- 
rischer Gerichtsherren zum Gegenstand haben. Die 
Standgerichte bestehen aus 3, die Kriegsgerichte 
aus 5, die Oberkriegsgerichte und die Senate des 
Reichsmilitärgerichts aus 7 Richtern. Als Richter 
sfungieren Offiziere und Militärjustizbeamte; die 
Zahl der Juristen beträgt bei den Kriegsgerichten 
1 oder 2 (letzteres bei schwereren Fällen sowie bei 
Aburteilung von Militärbeamten, Sanitätsoffi- 
zieren und Ingenieuren des Soldatenstandes), bei 
Oberkriegsgerichten 2, bei den Senaten des Reichs- 
militärgerichts 3 oder 4 (letzteres, wenn die Re- 
vision lediglich auf die Verletzung prozessualer 
Vorschriften oder von Vorschriften und Rechts- 
grundsätzen der allgemeinen bürgerlichen Gesetze 
gestützt wird). Die Besetzung der Kriegsgerichte 
und Oberkriegsgerichte mit Offizieren ist je nach 
dem militärischen Rang des Angeklagten verschieden. 
Die Militärgerichte treten, mit Ausnahme des 
Reichemilitärgerichts, nur auf Befehl des 
Gerichtsherrn und nur für den einzel- 
nen Fall zusammen; ist der Angeklagte ein Ge- 
neral, so erfolgt die Berufung durch den Kon- 
tingentsherrn, bei den Admiralen, den Generalen 
der Marine sowie im Felde durch den Kaiser. Auch 
das Reichsmilitärgericht ist zwar als ständiges 
Gericht gedacht, aber nicht lediglich mit stän- 
  
  
Militärstrafverfahren, deutsches. 
  
1130 
digen Richtern besetzt. Doch sind immerhin 
die Militärjustizbeamten in allen Instanzen auf 
Lebensdauer angestellt und die Offizierrichter des 
Reichsmilitärgerichts auf 2 Jahre, die der Stand- 
gerichte (ausgenommen im Feld und an Bord) 
und der Oberkriegsgerichte (hier wenn der An- 
geklagte nicht mehr als Oberstrang hat) auf 1 Jahr 
bestellt, während bei den Kriegsgerichten (Falls der 
Angeklagte nicht mehr als Oberstrang hat) die 
Berufung der Offiziere nach einer vom Gerichts- 
herrn alljährlich vor dem Beginn des Geschäfts- 
jahres für die Dauer desselben festzustellenden 
Reihenfolge, von der nur aus dringenden Gründen 
abgewichen werden darf? erfolgt (Mil. St.G.O. 
§§ 41, 53, 68, 79). Eine volle Ständigkeit 
der Militärgerichte ist also nicht vorhanden. — 
4) Die Verteidigung ist in jedem Verfahren, 
ausgenommen das Verfahren vor den Stand- 
gerichten, zugelassen. Der Angeklagte kann sich 
nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens, also 
schon vor Erhebung der Anklage, des Beistandes 
eines Verteidigers bedienen, und es müssen dann 
dem Verteidiger die Untersuchungsakten auf Ver- 
langen vorgelegt, und zwar, sofern keine Bedenken 
entgegenstehen, in dessen Wohnung verabfolgt 
werden. Schon während des Ermittlungsver- 
fahrens darf ein Verteidiger zur Vornahme eines 
Augenscheins zugezogen werden. Bildet ein Ver- 
brechen den Gegenstand der Anklage, oder handelt 
es sich um Verbringung des Beschuldigten in eine 
Irrenanstalt behufs Beobachtung seines Geistes- 
zustandes, so muß der Gerichisherr von Amts 
wegen einen Verteidiger bestellen, falls der An- 
geklagte einen Verteidiger nicht schon erwählt hat. 
Als Verteidiger können nicht nur Militärpersonen, 
sondern auch Rechtsanwälte zugelassen werden, 
und zwar die von der Militärjustizverwaltung 
zu diesem Zweck ernannten Rechtsanwälte unbe- 
schränkt und unbedingt, andere bei den deutschen 
Gerichten zugelassene Rechtsanwälte nur, insoweit 
bürgerliche Verbrechen oder Vergehen den Gegen- 
stand der Anklage bilden und der Gerichtsherr nicht 
die Genehmigung wegen Gefährdung der militär- 
dienstlichen Interessen oder der Staatssicherheit ver- 
sagt (Mil. St. G. O. S 165, 217, 337 ff).— 5) Das 
Ermittlungsverfahren soll die Vorerhe= 
bungen des Staatsanwalts und die gerichtlichen 
Voruntersuchungen im bürgerlichen Strafprozeß er- 
setzen. Auch hier ist keine „Allgewalt" des Gerichts- 
herrn geschaffen. Einmal ist der höhere Gerichtsherr 
befugt, den ihm untergebenen Gerichtsherrn an- 
zuweisen, eine Untersuchung einzuleiten oder fort- 
zusetzen und auf erhobene Rechtsbeschwerde die 
Verfügungen des ihm untergeordneten Gerichts- 
herrn aufzuheben. Sodann muß der Gerichtsherr, 
wenn er die Einleitung eines Ermittlungsverfah- 
rens ablehnt oder die Einstellung verfügt, den- 
jenigen, der die Strafverfolgung beantragt hat, 
unter Angabe der Gründe bescheiden; ist der 
Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm 
gegen diesen Bescheid die Rechtsbeschwerde an 
  
 
	        
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