Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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stanz, statt der obersten Behörde der Landesjustiz- 
verwaltung die oberste Militär= oder Marine- 
justizverwaltungsbehörde zuständig ist (Reichs- 
gesetz vom 14. Juli 1904, 8 10). 
II. Ditziplinarstrafverfahren. (Ugl. Art. 
Militärstrafrecht unter II.) 1) Die Disziplinarge- 
walt steht nur solchen Offizieren zu, denen der Befehl 
über eine Truppenabteilung mit der Verantwor- 
tung für die Disziplin übertragen ist; sie ist nicht 
an die Charge, sondern an die Funktion geknüpft, 
geht daher regelmäßig auf den Stellvertreter über, 
wenn er Offizier ist. Die Art und das Maß der 
Disziplinarstrafe hat der Vorgesetzte innerhalb der 
Grenzen seiner Strafgewalt zu bestimmen. Eine 
und dieselbe strafbare Handlung darf nur von 
einem Vorgesetzten bestraft und regelmäßig nur 
mit einer Disziplinarstrafe abgerügt werden. 
Die Vollstreckung der Disziplinarstrafen muß, so- 
fern die Umstände es gestatten, gleich nach deren 
Festsetzung erfolgen. — 2) Die Disziplinargerichte 
für die richterlichen Militärjustizbeamten sind in 
erster Instanz die Disziplinarkammern 
und in zweiter Instanz der Disziplinarhof 
bei dem Reichsmilitärgericht; für die juristischen 
Mitglieder des Reichsmilitärgerichts bildet der 
Disziplinarhof die erste und letzte Instanz. Die 
Disziplinarkammern bestehen aus 5 Mitgliedern 
(Oberkriegsgerichtsräten und Kriegsgerichtsräten); 
der Disziplinarhof wird aus den juristischen Mit- 
gliedern des Reichsmilitärgerichts gebildet und ist 
bei Anwesenheit von mindestens 7 Mitgliedern 
beschlußfähig. Das Disziplinarverfahren besteht 
in einem schriftlichen Ermittlungsverfahren und 
in einer mündlichen Verhandlung. — Für die 
übrigen Militärbeamten werden nach den Vor- 
schriften des Reichsbeamtengesetzes als Disziplinar= 
behörden erster Instanz Disziplinarkam- 
mern, bestehend aus 5 Mitgliedern, darunter 
wenigstens 3 in richterlicher Stellung, oder wenn 
es sich um Militärbeamte handelt, welche aus- 
schließlich unter Militärbefehlshabern stehen, 
Militärdisziplinarkommissionen, be- 
stehend aus 7 Mitgliedern (4 Offizieren. 3 Mili- 
tärbeamten) gebildet. Die zweite Instanz für alle 
Militärbeamten ist der Disziplinarhof bei 
dem Reichsgericht, welcher mit 7 Mit- 
gliedern, darunter wenigstens 4 in richterlicher 
Stellung, entscheidet. 
III. Die Ehrengerichte der Offtziere (ogl. 
Art. Militärstrafrecht unter III.)zerfallen in Ehren- 
gerichte über Hauptleute, Rittmeister und Sub- 
alternoffiziere, welche durch Offizierkorps gebildet 
werden; in Ehrengerichte über Stabsoffiziere, ge- 
bildet aus 1 General und 9 besonders gewählten 
Stabsoffizieren; in Ehrengerichte über Generale, 
Kommandanten usw., deren Zusammensetzung im 
einzelnen Fall vom Kontingentsherrn bestimmt 
wird. Bei jedem Ehrengericht wird ein Ehren- 
rat gebildet, welcher unter Leitung des Komman- 
deurs als dessen begutachtendes und ausführendes 
Organ die Geschäfte des Ehrengerichts führt. 
Militärwesen des Deutschen Reichs. 
  
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Das ehrengerichtliche Verfahren über einen Haupt- 
mann, Rittmeister oder Subalternoffizier anzu- 
ordnen, ist nur der mit Gerichtsbarkeit über 
Offiziere betraute direkte Befehlshaber desjenigen 
Truppenteils berechtigt, dessen Ehrengericht der 
Bezichtigte unterstellt ist; die Anordnung des ehren- 
gerichtlichen Verfahrens über einen Stabsoffizier 
steht nur dem kommandierenden General zu. Ist 
das ehrengerichtliche Verfahren angeordnet, so läßt 
der Kommandeur den Angeschuldigten und die 
Zeugen durch den Ehrenrat vernehmen. Nach 
Schluß der Untersuchung ist dem Angeschuldigten 
gestattet, seine Verteidigung zu Protokoll zu geben 
oder schriftlich einzureichen, auch demnächst vor 
versammeltem Ehrengericht sich mündlich zu ver- 
teidigen. Der Spruch des Ehrengerichts ist in 
Form eines Erkenntnisses auszufertigen und dem 
Kontingentsherrn zur Entscheidung vorzulegen. 
Gegen einen ehrengerichtlichen Spruch, über 
welchen der Kontingentsherr Entscheidung getroffen 
hat, ist nur mit Genehmigung des Kontingents- 
herrn ein weiteres Verfahren zulässig. 
Literatur. v. Marck, Der Militärstrafprozeß in 
Deutschland u. seine Reform (2 RBde, 1893/95); 
ders., Das bayr. oberste Militärgericht (1897); 
Mittermaier, Militärstrafgerichtsordnung (1899); 
Weiffenbach, Einführung in die Militärstrafge- 
richtsordnung (31904). — Kommentare zur Mi- 
litärstrafgerichtsordnung von Weigel (1899), 
Sturm-Walde (1899), Pechwell (1899), Seiden- 
spinner (21900), Stenglein (1901), Schläger 
(1904), Herz-Ernst (Strafrecht der Militärpersonen, 
5), v. Gronow-Sohl (1906), Herz-Ernst 
(M.St. G.O., 1907). 
Bezüglich des Disziplinarstrafverfahrens sowie 
des ehrengerichtlichen Verfahrens vgl. die Literatur- 
nachweisungen zum Art. Militärstrafrecht. 
LGröber.] 
Militärwesen des Deutschen Reichs. 
[A. Militärgesetzgebung; Militärverordnungs- 
recht. B. Militärverwaltung. C. Militärische 
Befehlsgewalt. D. Verwendung des Militärs. 
E. Klasseneinteilung der Militärpersonen. F. Wehr- 
pflicht. G. Berufsmäßiger Militärdienst. H. An- 
sprüche der Militärpersonen auf Unterhalt und 
Versorgung. J. Sonderrecht des Militärstandes. 
K. Militärlasten. L. Militärkosten.) 
Die Reichsverfassung sagt in ihrem Eingang, 
daß die deutschen Staaten „einen ewigen Bund 
schließen zum Schutze des Bundesgebiets und des 
innerhalb desselben gültigen Rechts“. Zur Durch- 
führung dieses Schutzes bedarf das Reich einer zu 
seiner Verfügung stehenden bewaffneten Macht. 
Der Charakter des Reichs als eines Bundesstaats 
macht es aber möglich und die geschichtliche Ent- 
wicklung der deutschen Verhältnisse hat tatsächlich 
dahin geführt, daß die Befehligung, Gliederung, 
Einrichtung und Ausbildung seiner bewaffneten 
Macht nicht ausschließlich den Organen des Reichs 
übertragen, sondern teilweise den Organen der 
Bundesstaaten belassen ist. Die volle und all- 
seitige Einheitlichkeit besteht nur bei der deutschen 
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