Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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von der Tenne zeigt, auf welcher die Spreu mit dem 
Weizen bis zur Zeit der Sonderung vereinigt ist, 
und wie das Gleichnis vom Acker erkennen läßt, 
auf welchem Unkraut und Weizen wächst (Catech. 
Rom. I, c. 10, 8). Als irdische Gemeinschaft konnte 
die Kirche nicht der irdischen Mittel und rechtlichen 
Formen entbehren. Auf die Person Petri hatte 
Christus die Kirche gegründet: es bedurfte einer 
persönlichen Autorität, welche wie ein Fundament 
das Ganze trägt und zusammenhält. Und je mehr 
die Zahl der Gläubigen wuchs, desto notwendiger 
wurde die rechtliche Ordnung, die Organisation 
des Kultus, der Disziplin, der Vermögensverwal- 
tung, der Amter, die Aufstellung eines sanktio- 
nierten Glaubensbekenntnisses. Nur daß Buch- 
stabe und Gesetz den Geist nicht ertöten durften;. 
die hierarchische und rechtliche Ordnung sind nur 
Mittel zum Zweck, das Reich der Gnade und 
Tugend in der Welt und in den Seelen herzu- 
stellen. 
In den apostolischen Briefen tritt die 
eschatologische Bedeutung des „Reiches Gottes“ 
in den Vordergrund. Allein die Verfasser kennen 
auch ein geistlich-sittliches Reich auf Erden zur 
Vorbereitung auf den Himmel, welches bereits 
einen Vorgeschmack der Seligkeit bietet. Je mehr 
der eschatologische Charakter des „Reiches Gottes“ 
betont wird, an dem die Unreinen und Sünder 
Kirche. 
  
keinen Anteil haben sollten, desto mehr hat sich 
das Wort „Kirche“ für das diesseitige Reich ein-- 
gebürgert (Jak. 5, 14. 3 Joh. 9. 10; in der 
Apostelgeschichte und bei Paulus oft). Die pau- 
linischen Bilder, welche die Kirche als einen leben- 
digen, auf Christus als Eckstein erbauten Tempel, 
als einen Leib, dessen Haupt Christus, als ehe- 
liche Verbindung zwischen Christus und--seiner 
Gemeinde darstellen, zeigen die Kirche als einen 
wohlgefügten Organismus, in welchem ein mensch- 
liches und ein göttliches Element erkennbar ist. 
Die Apostelgeschichte gebraucht das Wort „Kirche“ 
für die Einzelkirchen wie für die Gesamtkirche 
(5, 11), die Gesamtheit der Gläubigen (8, 1. 3), 
die Kirche zu Jerusalem als die Mutterkirche 
(11, 22; 12, 1; 15, 22; 16, 5), die Kirchen 
zu Antiochien, Syrien, Kilikien als die Tochter- 
kirchen. In der Abhaltung des Apostelkonzils zu 
Jerusalem, in der Bestellung der Sieben zum 
Armendienste, in der Berufung des Saulus und 
Barnabas zeigt sich unverkennbar eine rechtliche 
Organisation. Stellen wie Apg. 13, 1—3; 15, 
25—28; 20, 28, wo von der Bestellung kirch- 
licher Organe und von der Einsetzung von 
Bischöfen die Rede ist, welche „die Kirche Gottes 
regieren“ sollen, widerlegen die Behauptung, 
daß die Kirche von Anfang an nur charisma- 
tische Organisation gehabt habe. Es bedurfte 
nicht erst eines „Abfalles“, einer „Trübung und 
Verkehrung“ des ursprünglichen Christentums oder 
einer „Umbildung des Kirchenbegriffs“, um die 
„katholische“ Kirche entstehen zu lassen. Der 
  
„hierarchische“ Kirchenbegriff begegnet uns schon 
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bei Klemens von Rom und Ignatius von Anti- 
ochien. Die beherrschende Idee des ersten Klemens- 
briefes ist die Notwendigkeit des Gehorsams gegen 
die kirchlichen Vorgesetzten. Kraft seines Amtes 
als Bischof von Rom hält sich Klemens für be- 
rechtigt und verpflichtet, die Angelegenheiten der 
Christengemeinde zu Korinth in Ordnung zu brin- 
gen. Ignatius betont die Notwendigkeit der Ver- 
bindung mit dem Bischof, der die Stelle Gottes 
vertrete. „Alle sollen die Diakonen ehren wie 
Jesum Christum, ebenso den Bischof, welcher das 
Abbild des Vaters ist, die Priester aber wie den 
Senat Gottes und wie das Kollegium der Apostel. 
Ohne diese ist von einer Kirche keine Rede“ (Trall. 
3, 1). Die Bischöfe sind sichtbar zusammenge- 
halten durch den römischen Bischof, unsichtbar 
durch den Heiligen Geist und die Gnade Christi. 
Die römische Kirche nennt Ignatius die npo- 
u##### se alng. Klemens und Ignatius 
sind zugleich die wichtigsten Zeugen für den Pri- 
mat des römischen Bischofs und für den mon- 
archischen Episkopat um die Wende des 1. und 
2. Jahrhunderts. Bei Tertullian tritt uns die 
Anstaltskirche mit einer militärisch-straffen Diszi- 
plin entgegen (K. Adam, Der Kirchenbegriff Ter- 
tullians (1907) 48); die Hierarchie ist „das feste 
Knochengerüst, welches den Leib der Kirche hält 
und trägt“. Cyprian von Karthago lehrt: Es 
gibt nureine auf Petrus gegründete Kirche: super 
unum aedificat ecclesiam, et quamvis apo- 
stolis omnibus post resurrectionem Mam 
parem potestatem tribuat. tamen ut uni- 
tatem manifestaret, unitatis eiusdem ori- 
ginem ab uno incipientem sua auctoritate 
disposuit (De cath. eccl. unitate cap. 4, Ausg. 
Hartel I 212). Außer dieser Kirche gibt es kein 
Heil. „Derjenige kann Gott nicht zum Vater 
haben, welcher die Kirche nicht zur Mutter haben 
will“ (cap. 6, Hartel I 214). Nach Ep. 33, 1 
(Hartel II 566) gehört es zum Wesen der Kirche, 
daß sie super episcopos constituatur et om- 
nis actus ecclesiae per eosdem praepositos. 
Ssubernetur.. ecclesia in episcopo et clero 
et in omnibus stantibus sit constituta (B. 
Poschmann, Die Sichtbarkeit der Kirche nach der 
Lehre des hl. Cyprian /1907.). Bei Augustinus 
erscheint die sichtbare Kirche als „Reich Gottes“, 
als civitas Dei im Gegensatz zur civitas ter- 
rena, dem aus Sünde und Ehrgeiz entstandenen, 
auf das Irdische gerichteten Weltstaat; sie ist der 
vom Heiligen Geist beseelte Leib Christi (cor- 
pus Christi, multitudo fidelium, universitas 
christianorum, aber auch communio sancto- 
rum, numerus electorum). Durch seine Schrift 
De civitate Dei hat Augustinus den Grund gelegt 
für die mittelalterliche Idee der ecclesia uni- 
Versalis, der respublica christiana, in welcher 
Geistliches und Weltliches wie Seele und Leib in 
demselben Körper zusammengeschlossen sind, ein- 
ander dienend und ergänzend. Die Seele der 
ecclesia universalis ist das Sazerdotium. Dar-
	        
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